125 Jahre nach dem Start der „Elektrischen”
in Berlin erlebt dieses Verkehrsmittel weltweit
eine Renaissance. Aus verkehrlichen, wirtschaftlichen und
umweltpolitischen Gründen haben allein
in Europa in den letzten 15 Jahren mehr als
25 Großstädte sogar völlig neue Straßenbahnsysteme
aufgebaut. Doch hier in Berlin, der Hauptstadt
der Feinstaubbelastung, bekennen sich
viele Verantwortliche bestenfalls auf dem
Papier zur umweltfreundlichen
Straßenbahn. Selbst der Bau
hochwirtschaftlicher Strecken wie zum Alexanderplatz
(„Alex II”) oder zum Hauptbahnhof
wird immer wieder verzögert, weil die
Verkehrsplaner des Senats dem Autoverkehr
Vorrang einräumen.
Ausbau statt Abbau
Anstatt alle Energie in den - gerade auch aus
wirtschaftlichen Gründen gebotenen - Ausbau
des Straßenbahnnetznetzes zu stecken,
wird nun schon wieder, wie bereits in den
Jahren nach der Wende, an Stilllegungsplänen
gearbeitet. Angeblich zu niedrige Fahrgastzahlen
lassen nach Einschätzung der
BVG einen Ersatz durch Busse kostengünstiger
erscheinen. Für einen großen Teil der zur
Disposition gestellten Streckenabschnitte ist
dies jedoch ein Trugschluss.
Auf nicht wenigen der in Frage gestellten
Abschnitte fährt die Straßenbahn auf einem
eigenen Bahnkörper. Busse würden hier im
Autoverkehr stecken bleiben und durch längere
Fahrzeiten nicht nur für die Fahrgäste unattraktiver
sein, sondern auch durch erhöhten
Personaleinsatz Mehrkosten verursachen.
Unersetzbare Uferbahn
|
Die Schmöckwitzer Uferbahn, befahren von der Linie 68, ist eine der schönsten Straßenbahnstrecken Deutschlands. Ihr Potenzial als Ausflugs- und Touristenstrecke wird von der BVG nicht ausreichend vermarktet. Foto: Alexander Frenze |
|
Wie wichtig eine Gesamtbetrachtung ist,
zeigt das Beispiel der Schmöckwitzer Uferbahn.
Um einige hunderttausend Euro für
die erforderliche Beseitigung von Langsamfahrstellen
einzusparen, will die BVG die Straßenbahnlinie
68 Ende 2007 stilllegen. Damit
würde jedoch eine mit Millioneninvestitionen
in den 80er und 90er Jahren in einen guten
Zustand gebrachte Strecke aufgegeben.
Außerdem wären erhebliche Investitionen erforderlich,
um die Züge in Grünau statt heute
in Schmöckwitz enden lassen zu können.
Schließlich wäre es gar nicht möglich, einen
Bus die Strecke der Straßenbahn befahren
zu lassen, es sei denn, man würde den
Bereich Regattastraße und die Trasse durch
den Wald für einen Bus ausbauen, was hoffentlich
selbst die autofixiertesten Berliner
Verkehrsplaner nicht ernsthaft erwägen.
Metrolinien in Pankow
Die Streckenäste nach Rosenthal und Niederschönhausen
sind erst vor einem Jahr
zur Metrostraßenbahnlinie M 1 aufgewertet
worden. Im Berufsverkehr reichen die
150 Plätze der eingesetzten Züge kaum aus,
um den Fahrgastandrang zu bewältigen. Die
BVG weigert sich trotz entsprechender Forderungen
von Fahrgästen und der Senatsverkehrsverwaltung,
hier zusätzliche Züge
fahren zu lassen, weil es ihr seit Jahren nicht
gelingt, die technischen Voraussetzungen für
den Einsatz von Verstärkerzügen zu schaffen.
Stattdessen fahren schon jetzt während des
Berufsverkehrs Busse parallel.
Der Streckenast nach Buchholz ist erst vor
wenigen Jahren in die Neubausiedlung Französisch-Buchholz
verlängert worden. Seitdem
ist die Strecke mit 10 000 Fahrgästen am
Tag nicht nur gut ausgelastet, sondern nach
BVG-Standards sogar „metrolinienwürdig"
Mahlsdorf: Verlängern statt einstellen
Die Strecke nach Mahlsdorf sollte nach BVG-Vorstellungen
noch vor einem Jahr wegen
des erheblichen Fahrgastpotenzials ebenfalls
zur Metrolinie aufgewertet werden. Lediglich
weil die BVG bei der Streckensanierung der
überwiegend eingleisigen Strecke in den
90er Jahren den Einbau einer Ausweichstelle
versäumte, ist hier der zunächst beabsichtigte
10-Minuten-Takt noch nicht eingeführt
worden, obwohl in Mahlsdorf durch kontinuierliche
Neubebauung zusätzliche Fahrgäste
gewonnen werden könnten. Noch höhere
Fahrgastzahlen wären mit der Durchbindung
der Strecke nach Hellersdorf möglich, wie
sie im Stadtentwicklungsplan Verkehr des
Senats enthalten ist. Auch die Strecke nach
Friedrichshagen weist mit ca. 4000 Fahrgästen
am Tag eine akzeptable Auslastung auf.
Straßenbahn kann und muss
noch schneller werden
Dass die Berliner Straßenbahn gerade in wirtschaftlicher
Hinsicht große Reserven hat, darf
bei der Bewertung des bestehenden Straßenbahnnetzes
nicht ignoriert werden.
|
Noch Anfang 2006 gab es am Hauptbahnhof Tram-Signets. Doch zu dieser Zeit war leider schon klar, dass durch ein stümperhaftes Planfeststellungsverfahren frühestens 2009 die erste Straßenbahn den neuen Fernbahnhof erreicht. Foto: Marc Heller |
|
Die Beschleunigungspotenziale für die
Straßenbahn sind in Berlin noch längst nicht
ausgeschöpft. Nur an den wenigsten Ampeln
hat die Straßenbahn eine echte Vorrangschaltung.
Häufig bestehen nur Anforderungsschaltungen,
die in der Regel aber
noch immer mit Wartezeiten von bis zu einer
Minute verbunden sind. Andere Städte machen
Berlin längst vor, dass eine intelligente
Vorrangschaltung an fast allen Kreuzungen
auch ohne Beeinträchtigung des Autoverkehrs
möglich ist.
Teure Neubauzüge
mindern Wirtschaftlichkeit
Begründet wird die mögliche Einstellung der
Straßenbahnstrecken seitens der BVG auch
mit der notwendigen Neubeschaffung von
Straßenbahnzügen, sobald die Anfang der
90er Jahre modernisierten Tatra-Züge abgeschrieben
sind. Die BVG hat jedoch für die neu
zu beschaffenden Züge zu hohe Standards
festgelegt (z.B. 100%-Niederflurfahrzeug),
womit preiswerte Neuanschaffungen, wie
z.B. in Leipzig oder Bremen praktiziert, in
Berlin ausgeschlossen werden und damit die
Wirtschaftlichkeitsschwelle für den Betrieb
von Straßenbahnen unnötig hoch gelegt
wird.
Bei einer seriösen Bewertung des Straßenbahnnetzes
sind auch die stadtplanerischen
Entwicklungspotenziale entlang der Strecken
einzubeziehen. Insbesondere die Strecken in
den Außenbezirken weisen hier die größten
Wachstumspotenziale auf.
Das Berliner Straßenbahnnetz ist in den
letzten 15 Jahren für viel Geld modernisiert
worden. In den nächsten 15 Jahren müssen
nun durch Ergänzungen und Lückenschlüsse
die Folgen der Berliner Teilung und einer zu
autofixierten Verkehrsplanung überwunden
werden, anstatt ganze Teilnetze, noch dazu in ... IGEB Stadtverkehr
|