Verkehrsrecht & Tarife

Zurück zur Behördenbahn? Kein Börsengang ohne Schienennetz

Eine Herauslösung des Netzes bei der DB AG im Zuge des geplanten Börsengangs wäre ein Rückschritt zur Behördenbahn, resümierte der 24. Bundesverbandstag des Deutschen Bahnkunden-Verbands am 13. Mai 2006 in Mainz.

In einer fast dreistündigen Debatte befassten sich die auf dem Bundesverbandstag anwesenden Mitglieder mit dem geplanten Börsengang der DB AG und den in diesem Zusammenhang entwickelten Privatisierungsmodellen. Hierbei stellte sich überwiegende Übereinstimmung mit den Grundpositionen der über die „Allianz pro Schiene" verbundenen Meinungsführer, Fahrgast-, Verkehrs- und Umweltverbände, Gewerkschaften sowie Bahnunternehmen ein.

Dieses betrifft insbesondere die kritischen Anmerkungen zu dem von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Booz-Allen-Hamilton-Gutachten sowie die Versäumnisse der neuen Bundesregierung, eine klare und eindeutige Strategie für die Förderung des Schienenverkehrs schlechthin vorzustellen. Der Bund ist daher dringend aufgerufen, vor einem DB-Börsengang bahnpolitische Ziele und Strategien zu entwickeln. Ansonsten wäre der Bezugspunkt jedweder Diskussion zu diesem Thema ausschließlich in der Frage der möglichen Haushaltseinsparung zu finden.

Die Frage des Börsengangs der DB - mit oder ohne Schienennetz - ist aus Sicht des Bahnkunden-Verbands eng verbunden mit derFragedesNetzerhalts schlechthin, welcher seit jeher wesentliches Satzungsziel unserer gemeinnützigen Organisation ist. Schon im Januar 1993, also noch vor der großen Bahnstrukturreform, hatte sich der Verband im Rahmen der Anhörung im Bundesverkehrsministerium zur Frage des Erhalts der Bahn-Infrastruktur positioniert und Forderungen an die Politik nach Bestandsgarantien für das Bahnnetz einschließlich der Zweigstrecken gefordert. Seinerzeit wurde als geeigneter Weg die Überantwortung dieser Fragen an die politischen Gremien bzw. Parlamente und der Verbleib des Schienenfahrwegs als öffentliches Eigentum gesehen. Bei einer rein eigenwirtschaftlich agierenden Gesellschaft hingegen befürchtete der Bahnkunden-Verband weitere Streckenstilllegungen.

Der Gesetzgeber entschied sich seinerzeit bekanntlich für die Übertragung der im Bundeseisenbahnvermögen gepoolten betriebsnotwendigen Grundstücke und Bahnanlagen auf die DB AG. Wenngleich es in der Folgezeit zu einem bedauernswerten Rückgang des Schienennetzes gekommen war, konnte der schrittweise optimierte, allerdings noch deutlich verbesserungswürdige „Erhaltungsmechanismus" des §11 Allgemeines Eisenbahngesetz doch für die Übertragung von Bahnstrecken an Dritte und den Erhalt von bestandsgefährdeter Eisenbahninfrastruktur sorgen.

Heute - mehr als 13 Jahre danach - müssen wir feststellen, dass die sich zuspitzende Situation bei den öffentlichen Haushalten im Fall einer „Staatsnetz-Lösung" wahrscheinlich noch sehr viel schneller zu einem Exitus vieler Strecken geführt hätte.

An dieser unbefriedigenden Situation, was die Bereitstellung von öffentlichen Finanzmitteln - insbesondere für den laufenden Erhalt von Schieneninfrastruktur - angeht, hat sich leider nichts geändert. Noch immer wird die Möglichkeit des Streckenerhalts eindeutig von der Frage bestimmt, ob bestellter SPNV oder ausreichend starker eigenwirtschaftlicher Güter- bzw. Personenfernverkehr über die betreffenden Schienen rollt. Brechen diese Garanten weg, so stehen den Kosten der Streckenvorhaltung keine ausreichenden Trasseneriöse mehr gegenüber und die Schieneninfrastruktur wird zur Disposition gestellt.

Es steht zu befürchten, dass bei einer erneuten Rückführung der Gleisnetze in öffentliches Eigentum dieser Effekt noch verstärkt würde. Noch schneller locken dann auch bahnfremde Nutzungen wie Umgehungsstraßen, Radwege, Skater- und Draisinenbahnen oder Kabeltrassen sowie Erzielung von Schrotterlösen. Stehen z.B. kostenträchtige Eisenbahnkreuzungsmaßnahmen an, so könnten „vernünftige" und „volkswirtschaftlich" denkende Politiker ohne große Hürden die Aufgabe des störenden Verkehrswegs Schiene beschließen und vollziehen.

Andererseits wäre die dann wieder notwendige Schaffung von Behördenstrukturen für die Bewirtschaftung des Gleisnetzes eine erfahrungsgemäß teure und schwerfällige Lösung des Problems, verbunden mit noch stärkeren Haushaltsbelastungen bzw. Trassennutzungsentgelten. An sich positive Initiativen der DB Netz AG, wie die Mittelstandsoffensive „Regent" (Schaffung kleinräumiger Netzeinheiten mit einfacheren Organisationsstrukturen) würden zunichte gemacht.

Letztlich wäre eine Herauslösung des DB-Netzes nur über entsprechende Veränderungen der Bahngesetzgebung möglich. Diese Gesetzgebung könnte dann jedoch auch Nichtbundeseigene Bahnunternehmen, die erfahrungsgemäß sogar noch günstiger als die DB AG wirtschaften können, treffen bzw. in deren Existenz bedrohen. Auch hier zeigt sich, dass eine Herauslösung des Netzes mit unerfreulichen Nebenwirkungen verbunden wäre.

Im europäischen Vergleich ist der Wettbewerb im Eisenbahnverkehr in Deutschland weit vorangeschritten und hat dem Bahnkunden überwiegend Verbesserungen gebracht. Nachdem es Genehmigungs-, Aufsichts- und Regulierungsbehörden gibt, die nach Erkenntnis des Bahnkunden-Verbands für Deutschland sicherstellen, dass es hier keine britischen Verhältnisse geben wird, stellt sich die Frage, warum nicht auch unter diesem Schutz ein Wettbewerb im Netz stattfinden soll. Sicher kann nur ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen eine bestimmte Strecke betreiben, die dann jedem Verkehrsunternehmen zur Verfügung steht. Doch vor der Stilliegung oder gar Entwidmung steht jedem anderen Infrastrukturunternehmen die Übernahme einer Strecke frei, die dann wiederum von allen Verkehrsunternehmen genutzt werden kann.

Einzige Ungleichbehandlung ist die Infrastrukturförderung, die über das Bundesschienenwegeausbaugesetzauf ein Unternehmen monopolisiert ist. Dies muss geändert werden. Jedes Eisenbahninfrastrukturunternehmen unterliegt den gleichen gesetzlichen Anforderungen und muss daher auch die gleichen Pflichten erfüllen wie das bundeseigene Unternehmen.

Es ist nicht nachvollziehbar, wenn andere Infrastrukturen, dieja auch einer Regulierung unterliegen, privatwirtschaftlich betrieben werden, wenn sogar über eine Privatisierung der Bundesautobahnen diskutiert wird und dann bei der Eisenbahn genau der entgegengesetzte Weg zurück zur faktisch staatlichen Infrastruktur eingeschlagen würde.

Deutschland wird sich ein großes Eisenbahnnetz bewahren können, wenn es dies auch nach einer Privatisierung unter den Schutz des Wettbewerbs stellt. Andernfalls werden die öffentlichen Kassen darüber entscheiden, wo in Deutschland noch eine Schiene liegen wird.

Deutscher Bahnkunden-Verband

aus SIGNAL 3/2006 (Juni/Juli 2006), Seite 18

 

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