In einer fast dreistündigen Debatte befassten
sich die auf dem Bundesverbandstag anwesenden
Mitglieder mit dem geplanten Börsengang
der DB AG und den in diesem Zusammenhang
entwickelten Privatisierungsmodellen.
Hierbei stellte sich überwiegende
Übereinstimmung mit den Grundpositionen
der über die „Allianz pro Schiene" verbundenen
Meinungsführer, Fahrgast-, Verkehrs- und
Umweltverbände, Gewerkschaften sowie
Bahnunternehmen ein.
Dieses betrifft insbesondere die kritischen
Anmerkungen zu dem von der Bundesregierung
in Auftrag gegebenen Booz-Allen-Hamilton-Gutachten
sowie die Versäumnisse
der neuen Bundesregierung, eine klare und
eindeutige Strategie für die Förderung des
Schienenverkehrs schlechthin vorzustellen.
Der Bund ist daher dringend aufgerufen, vor
einem DB-Börsengang bahnpolitische Ziele
und Strategien zu entwickeln. Ansonsten
wäre der Bezugspunkt jedweder Diskussion
zu diesem Thema ausschließlich in der Frage
der möglichen Haushaltseinsparung zu finden.
Die Frage des Börsengangs der DB - mit
oder ohne Schienennetz - ist aus Sicht des
Bahnkunden-Verbands eng verbunden mit
derFragedesNetzerhalts schlechthin, welcher
seit jeher wesentliches Satzungsziel unserer
gemeinnützigen Organisation ist. Schon im
Januar 1993, also noch vor der großen Bahnstrukturreform,
hatte sich der Verband im
Rahmen der Anhörung im Bundesverkehrsministerium
zur Frage des Erhalts der Bahn-Infrastruktur
positioniert und Forderungen
an die Politik nach Bestandsgarantien für das
Bahnnetz einschließlich der Zweigstrecken
gefordert. Seinerzeit wurde als geeigneter
Weg die Überantwortung dieser Fragen an
die politischen Gremien bzw. Parlamente
und der Verbleib des Schienenfahrwegs als
öffentliches Eigentum gesehen. Bei einer rein
eigenwirtschaftlich agierenden Gesellschaft
hingegen befürchtete der Bahnkunden-Verband
weitere Streckenstilllegungen.
Der Gesetzgeber entschied sich seinerzeit
bekanntlich für die Übertragung der im Bundeseisenbahnvermögen
gepoolten betriebsnotwendigen
Grundstücke und Bahnanlagen
auf die DB AG. Wenngleich es in der Folgezeit
zu einem bedauernswerten Rückgang
des Schienennetzes gekommen war, konnte
der schrittweise optimierte, allerdings noch
deutlich verbesserungswürdige „Erhaltungsmechanismus"
des §11 Allgemeines Eisenbahngesetz
doch für die Übertragung von
Bahnstrecken an Dritte und den Erhalt von
bestandsgefährdeter Eisenbahninfrastruktur
sorgen.
Heute - mehr als 13 Jahre danach - müssen
wir feststellen, dass die sich zuspitzende
Situation bei den öffentlichen Haushalten im
Fall einer „Staatsnetz-Lösung" wahrscheinlich
noch sehr viel schneller zu einem Exitus
vieler Strecken geführt hätte.
An dieser unbefriedigenden Situation, was
die Bereitstellung von öffentlichen Finanzmitteln
- insbesondere für den laufenden Erhalt
von Schieneninfrastruktur - angeht, hat sich
leider nichts geändert. Noch immer wird die
Möglichkeit des Streckenerhalts eindeutig
von der Frage bestimmt, ob bestellter SPNV
oder ausreichend starker eigenwirtschaftlicher
Güter- bzw. Personenfernverkehr über
die betreffenden Schienen rollt. Brechen
diese Garanten weg, so stehen den Kosten
der Streckenvorhaltung keine ausreichenden
Trasseneriöse mehr gegenüber und die Schieneninfrastruktur
wird zur Disposition gestellt.
Es steht zu befürchten, dass bei einer erneuten
Rückführung der Gleisnetze in öffentliches
Eigentum dieser Effekt noch verstärkt
würde. Noch schneller locken dann auch
bahnfremde Nutzungen wie Umgehungsstraßen,
Radwege, Skater- und Draisinenbahnen
oder Kabeltrassen sowie Erzielung von
Schrotterlösen. Stehen z.B. kostenträchtige
Eisenbahnkreuzungsmaßnahmen an, so
könnten „vernünftige" und „volkswirtschaftlich"
denkende Politiker ohne große Hürden
die Aufgabe des störenden Verkehrswegs
Schiene beschließen und vollziehen.
Andererseits wäre die dann wieder notwendige
Schaffung von Behördenstrukturen
für die Bewirtschaftung des Gleisnetzes eine
erfahrungsgemäß teure und schwerfällige
Lösung des Problems, verbunden mit noch
stärkeren Haushaltsbelastungen bzw. Trassennutzungsentgelten.
An sich positive Initiativen
der DB Netz AG, wie die Mittelstandsoffensive
„Regent" (Schaffung kleinräumiger
Netzeinheiten mit einfacheren Organisationsstrukturen)
würden zunichte gemacht.
Letztlich wäre eine Herauslösung des DB-Netzes
nur über entsprechende Veränderungen
der Bahngesetzgebung möglich. Diese
Gesetzgebung könnte dann jedoch auch
Nichtbundeseigene Bahnunternehmen, die
erfahrungsgemäß sogar noch günstiger als
die DB AG wirtschaften können, treffen bzw.
in deren Existenz bedrohen. Auch hier zeigt
sich, dass eine Herauslösung des Netzes mit
unerfreulichen Nebenwirkungen verbunden
wäre.
Im europäischen Vergleich ist der Wettbewerb
im Eisenbahnverkehr in Deutschland
weit vorangeschritten und hat dem
Bahnkunden überwiegend Verbesserungen
gebracht. Nachdem es Genehmigungs-, Aufsichts-
und Regulierungsbehörden gibt, die
nach Erkenntnis des Bahnkunden-Verbands
für Deutschland sicherstellen, dass es hier
keine britischen Verhältnisse geben wird,
stellt sich die Frage, warum nicht auch unter
diesem Schutz ein Wettbewerb im Netz stattfinden
soll. Sicher kann nur ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen
eine bestimmte
Strecke betreiben, die dann jedem Verkehrsunternehmen
zur Verfügung steht. Doch vor
der Stilliegung oder gar Entwidmung steht
jedem anderen Infrastrukturunternehmen
die Übernahme einer Strecke frei, die dann
wiederum von allen Verkehrsunternehmen
genutzt werden kann.
Einzige Ungleichbehandlung ist die Infrastrukturförderung,
die über das Bundesschienenwegeausbaugesetzauf
ein Unternehmen
monopolisiert ist. Dies muss geändert werden.
Jedes Eisenbahninfrastrukturunternehmen
unterliegt den gleichen gesetzlichen
Anforderungen und muss daher auch die
gleichen Pflichten erfüllen wie das bundeseigene
Unternehmen.
Es ist nicht nachvollziehbar, wenn andere
Infrastrukturen, dieja auch einer Regulierung
unterliegen, privatwirtschaftlich betrieben
werden, wenn sogar über eine Privatisierung
der Bundesautobahnen diskutiert wird und
dann bei der Eisenbahn genau der entgegengesetzte
Weg zurück zur faktisch staatlichen
Infrastruktur eingeschlagen würde.
Deutschland wird sich ein großes Eisenbahnnetz
bewahren können, wenn es dies
auch nach einer Privatisierung unter den
Schutz des Wettbewerbs stellt. Andernfalls
werden die öffentlichen Kassen darüber entscheiden,
wo in Deutschland noch eine Schiene
liegen wird.
Deutscher Bahnkunden-Verband
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