Auch 24 Jahre nach dem Fall des Eisernen
Vorhangs wächst nicht zusammen, was zusammen
gehört. Im Gegenteil: Die Bahnverbindungen
zwischen Deutschland und unseren
östlichen Nachbarländern sind heute
schlechter als zu Zeiten des Kalten Krieges.
Zwischen dem bulgarischen Vidin und
dem rumänischen Calafat wurde kürzlich
eine neue Brücke über die Donau eröffnet. In
diese Autobahnbrücke wurde nicht nur eine
Eisenbahnlinie, sondern auch ein separater
Fahrradstreifen für den Donau-Radweg integriert.
Während hier ein nachbarschaftliches Zukunftsprojekt
par excellence für das nachhaltige
Zusammenwachsen von Europa realisiert
wurde,
vernachlässigt Deutschland die grenzüberschreitenden
Bahnstrecken. Das demonstrieren
die vielen Lücken im Schienennetz zu
unseren Nachbarn – so wie auch die Tatsache,
dass es 1972 noch 18 tägliche Fernzugverbindungen
zwischen Deutschland und Polen gab,
während es heute nur noch sechs sind.
Typisch für die Missstände ist die Bahnstrecke
zwischen Berlin und Szczecin (Stettin). Hier
hat die Deutsche Bahn die letzten 30 km vor
der Grenze noch immer nicht elektrifiziert, so
dass ab Berlin bzw. Angermünde nur noch Dieseltriebzüge
des Nahverkehrs fahren. Für die
150 Kilometer benötigt man heute knapp zwei
Stunden – wie vor 100 Jahren. Die Bundesregierung
als Ankündigungsweltmeister hat
die eigentlich für 2016 geplante Ertüchtigung
abermals auf nun 2020 verschoben. Um die
Strecke für eine Zuggeschwindigkeit von 160
Stundenkilometern tauglich zu machen und
sie zu elektrifizieren, wären etwa 100 Millionen
Euro nötig.
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Bahnhof Szczecin Główny (Stettin Hbf). Der DB-Regio-Dieseltriebwagen (BR 628) aus Angermünde fährt bis Passow unter DB-Fahrleitung (15 000 V, 16 2/3 Hz), dann 30 km ohne Oberleitung in Deutschland, 10 km ohne Oberleitung in Polen und ab Bahnhof Szczecin Gumieńce unter PKP-Fahrleitung (3000 V =). Foto: Florian Müller |
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Eine Delegation des EU-Verkehrsausschusses
hatte sich vom 15. bis 17. Juli 2013 über
die grenzüberschreitenden Schienenverbindungen
zwischen Deutschland und Polen
informiert. Die Mitglieder des Europäischen
Parlaments haben dabei auch die Auswirkungen
der Elektrifizierungslücke auf der Strecke
nach Stettin praktisch „erfahren“ können. Alle
Fraktionen waren sich einig, dass dieser Zustand
unhaltbar ist und schnellstens Verbesserungen
erforderlich sind – ebenso von Berlin
nach Wrocław (Breslau) und nach Świnoujście
(Swinemünde) über die Karniner Brücke.
An Geldmangel kann es eigentlich nicht
liegen. Zehn Milliarden Euro, die sich nach
den bisherigen Erfahrungen locker verdoppeln
können, stehen für Stuttgart 21 zur
Verfügung. Mit diesem Geld soll ein neuer
Bahnhof gebaut werden, der nur halb so
leistungsfähig ist wie der bestehende und
der wegen seiner Schräglage nicht nur den
EU-Normen widerspricht, sondern auch ein
Gefährdungspotenzial darstellt. Zudem ist
die Neubaustrecke von Stuttgart nach Ulm
noch steiler als die existierende Geislinger
Steige, so dass auch der neue Abschnitt für
den Güterverkehr nicht geeignet ist. Dabei
wäre eine rege Nutzung durch Güterzüge
Voraussetzung für die Wirtschaftlichkeit der
Strecke im EU-Korridor Paris—Bratislava.
Trotzdem wird diese drei Milliarden Euro
teure Neubaustrecke mit knapp 400 Millionen
Euro von der EU kofinanziert. Diese
Summe würde reichen, um die Ertüchtigung
und Elektrifizierung der drei erwähnten
Bahnverbindungen zwischen Deutschland
und Polen vollständig zu finanzieren. Nicht
nur verkehrspolitisch ist das blamabel. Europapolitisch
ist vor allem die eisenbahntechnische
Abschottung gegenüber unseren
östlichen Nachbarn ignorant. Ohne das mutige
Engagement von Solidarność mit Lech
Wałesa und der Charta 77 mit Václav Havel
wäre der Eiserne Vorhang 1989 nicht gefallen
und das gespaltene Deutschland nicht
wiedervereinigt worden. Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament
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