Im Herbst 1995 lagen die Pläne für die U5-Verlängerung für den Abschnitt
Alexanderplatz bis Pariser Platz aus. Unter Hinweis auf Entscheidungen des
Berliner Senats zugunsten der U5 war im Erläuterungsbericht unter
"Verkehrliche Begründung" der folgende aufschlußreiche Satz zu lesen:
"Indem der Souverän des Landes Berlin in der beschriebenen Form seinen
Willen kundgetan hat, hat sich damit gleichzeitig die Frage nach
alternativen Verkehrsmitteln für diese Verkehrsbeziehung vom Grunde
her erledigt." Diese Formulierung zeigt nicht nur das Demokratieverständnis
der Berliner Verwaltung, sondern sie läßt auch erahnen, wie ernsthaft man
über Alternativen zur sündhaft teuren U5 nachgedacht hat.
Der Berliner Fahrgastverband hat es sich dennoch nicht nehmen lassen,
dem Souverän zu widersprechen und am 17. Oktober die nachfolgende
Stellungnahme zu den ausgelegten Plänen abzugeben. Diese ist unverändert
aktuell. Zwar hat sich die Koalition auf eine Zurückstellung des U5-Baues
verständigt (s. "Der Milliarden- Poker" auf S. 17) , aber das
Planfeststellungsverfahren wird fortgesetzt.
Der Berliner Fahrgastverband lehnt die Verlängerung der U-Bahn-Linie 5 aus
verkehrlichen und aus finanziellen Gründen ab. Allein der Bau der ca. 4 km
langen Verlängerungsstrecke zwischen Alexanderplatz und Lehrter Bahnhof soll
nach heutigen Kostenschätzungen ca. 1,7 Mrd DM kosten (dies entspräche
einem Preis von über 400 Mio DM/km !). Bei einer derartigen
Mittelkonzentration würde eine weitere Verzögerung bei Wiederherstellung,
Sanierung und Neubau sehr viel wichtigerer und unter Kosten-Nutzen
Gesichtspunkten weitaus günstigerer ÖPNV-Vorhaben um mehrere Jahre drohen.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB e.V. äußert daher zu den zum Zwecke der
Planfeststellung ausgelegten Plänen und dem Erläuterungsbericht folgende
Bedenken:
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Im Herbst 1995 war die Auslegung der Pläne für die U5-Verlängerung vom Alexanderplatz zum Lehrter Bahnhof. Gegenstand dieses Planfeststellungsverfahrens war allerdings nur der 2411 m lange „2. Planungsabschnitt Berliner Rathaus bis Pariser Platz“ (im Lageplan die schwarze Linie von Bhf Berliner Rathaus bis Bhf Brandenburger Tor). Der Tunnel vom Alexanderplatz bis zum Roten Rathaus ist schon vorhanden, und der Abschnitt vom Pariser Platz bis zum Lehrter Bahnhof wurde bereits zusammen mit den anderen Tiergartentunneln planfestgestellt. Zeichnung: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen H IX |
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Die geplante U-Bahn-Linie 5 würde von Kaulsdorf bis Moabit parallel zur
bestehenden S-Bahn-Linie 5 Führen, wobei sich auf dem hier relevanten
Abschnitt sogar die fußläufigen Einzugsbereiche der Bahnhöfe teilweise
überschneiden. Die errechnete Entlastung der Stadtbahn (laut
Erläuterungsbericht Fahrgastrückgang um ein Viertel, ohne daß dadurch
nennenswerte Reduzierungen im betrieblichen Aufwand möglich wären), ist
aber überhaupt nicht erforderlich, da sie - auch ohne U5 - Kapazitätsreserven
haben wird. Die prognostizierten hohen Fahrgastzahlen für die U5
resultieren - u.a. wegen der rechnerisch zugrundegelegten Weiterführung
der U5 bis nach Moabit/Jungfernheide - zu erheblichen Teilen aus
Fahrgastverlagerungen von der Stadtbahn und der U-Bahn-Linie 2. Insofern
kann die in der verkehrlichen Begründung dargestellte Zielstellung
(Erläuterungsbericht S. 8), daß "Verkehrsströme
herausgehobener Verkehrsbeziehungen auf unabhängige Bahnen zu legen sind",
nicht als ausreichende Begründung Für die U5 angesehen werden, da ein
erheblicher Teil der U5-Fahrgastpotentiale bereits das bestehende
Schnellbahnnetz nutzen kann und von der U5-Verlängerung nur in Form
von minimalen Reisezeitverkürzungen profitieren würde.
Keine Standardisierte Bewertung
Eine derartige, hier rechnerisch zugrundegelegte Verlängerung der U5 bis
nach Moabit ist jedoch aus finanziellen Gesichtspunkten nur sehr langfristig
realisierbar. Wenn es überhaupt zu einer Verlängerung der U5 bis zum Lehrter
Bahnhof käme, würde der Lehrter Bf für einen sehr langen Zeitraum der
Endbahnhof der U5 sein. Es ist daher als ein schwerwiegender Planungsfehler
anzusehen, daß im Rahmen des Standardisierten Bewertungsverfahrens kein
Wert für eine Teil-Streckenverlängerung vom Alexanderplatz zum Lehrter Bf
ermittelt wurde. Das Nichterfassen dieses Zustandes als einen möglichen
Planfall zeigt, daß hier ganz offensichtlich auch von Seiten des Senates
ein schlechter Wert, wahrscheinlich sogar unter 1 (d.h. gesamtwirtschaftlich
nicht sinnvoll), erwartet wurde.
Aber auch die für die Verkehrsprognose zugrundegelegten Annahmen sind
unvollständig (Erläuterungsbericht S. 16). So wurde z.B. nicht
berücksichtigt, daß im Bereich der Friedrichstraße eine Straßenbahn
geplant ist, für deren ersten Abschnitt (Verküpfüng mit dem S- und U-Bf
Friedrichstraße) immerhin das Planfeststellungsverfahren bereits eingeleitet
wurde.
Alternativen wurden nicht untersucht
Wie bei vergleichbaren Planungen in anderen Bundesländern üblich, hätte
als Alternative zur U5 im Standardisierten Bewertungsverfahren
selbstverständlich auch ein Wert für eine alternative Straßenbahnstrecke
ermittelt werden müssen, zumal im Auftrag der BVG erstellte Modelrechnungen
Vorteile einer derartigen ÖPNV-Erschließung erwarten lassen (IVU:
Modellrechnungen zur Belastung verschiedener Varianten des
ÖPNV-Schienennetzes der Region Berlin. Im Auftrag der BVG. Berlin 1993).
Die in dieser Untersuchung ermittelte optimale Streckenführung einer
Straßenbahn über Französische Straße, Friedrichstraße, Bf Friedrichstraße,
Reichstagsufer, Moltkestraße, Friedrich-List-Ufer, Lehrter Bf,
Invalidenstraße und Turmstraße weiter zum Bf Jungfernheide hätte eine
deutlich geringere maximale Querschnittsbelastung als die geplante U5, weil
die Verlagerung von Stadtbahn und U2 entfallen würde. Somit wäre eine
Straßenbahn zur Bewältigung des Verkehrs völlig ausreichend und böte
sogar Vorteile: Durch umsteigefreie Direktverbindungen würden durch
mögliche Linienüberlagerungen Fahrgäste aus den Einzugsbereichen der
drei großen Straßenbahnradialen Prenzlauer Allee, Greifswalder Straße
und Landsberger Allee erheblich profitieren.
Kapazität der Straßenbahn ausreichend
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Alles andere als fahrgastgerecht ist der zum Planfeststellungsverfahren ausgelegte Entwurf für die Zugänge zum U-Bf Spreeinsel (siehe Planausschnitt). Die Fahrgäste sollen durch verwinkelte Tunnel in die Nebenstraßen geschickt werden, während die meisten von ihnen zu Zielen auf der Straße Unter den Linden wollen. Zeichnung: SenBauWohn H IX |
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Die stärkste Streckenbelastung wäre auf dem Abschnitt zwischen Turmstraße
und Lehrter Bf mit über 50.000 Fahrgästen je Tag und Richtung zu erwarten.
Ähnlich hohe Werte würden in den Abschnitten Friedrichstraße und
Französische Straße erreicht, da hier wegen der besonderen Attraktivität
der Straßenbahn noch mit einem erheblichen Anteil von Kurzstreckenfahrten
zu rechnen ist, die wegen des größeren Bahnhofsabstandes und der
erschwerten Zugänglichkeit von der U5 nicht abgedeckt werden könnten. In
diesen Abschnitten wäre bei der Straßenbahn in der Spitzenzeit mit einem
Aufkommen von 4.000 Fahrgästen je Stunde in der Lastrichtung zu rechnen.
Diese beachtlichen Belastungen überschreiten jedoch selbst unter
Zugrundelegung der restriktiven Vorgaben des Berliner Senats für die
Straßenbahn nicht die Leistungsfähigkeit des Straßenbahnsystems. Im
übrigen muß daraufhingewiesen werden, daß bei Zugrundelegung andernorts
üblicher Standards und eines in Doppeltraktion geführten GT8-Zuges bis
zu 20.000 Fahrgäste je Richtung und Stunde befördert werden können.
Sollte es trotz der benannten grundsätzlichen Bedenken zu einem Bau der
U5-Verlängerung kommen, so wären bei der Realisierung folgende Punkte zu
beachten:
Am U-Bf Spreeinsel wären unbedingt am westlichen Bahnsteigende zusätzliche
Zugänge erforderlich, da mit den vorgesehenen Zugängen ausgerechnet die am
stärksten frequentierten Einrichtungen im Bahnhofsumfeld (Humboldt-Uni und
Staatsoper) nur mit erheblichen Umwegen zu erreichen wären.
Bezüglich der Umsteigesituation zur U6 am geplanten U-Bf Unter den Linden
würde die mittige Lage des U5-Bahnsteiges unter der U6 eine Entflechtung
der Ströme der umsteigenden Fahrgäste ermöglichen und vom Straßenniveau auf
beide Bahnsteigebenen durchgehende Aufzüge erlauben. Der Bahnsteig der U5
sollte daher nach Westen verschoben werden.
Aufgrund der hier vorgesehenen erheblichen baulichen Aufwendungen
(Überführungsbauwerk!) halten wir die Anlage von Abstellgleisen westlich
des geplanten U-Bfs Unter den Linden für wirtschaftlich nicht vertretbar.
IGEB
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