Titelthema Bauarbeiten und SEV

SEV-Tragödie bei der U 5

„Über die Unfähigkeit, einen bedarfsgerechten Ersatzverkehr zu organisieren“
Bauarbeiten sind lästig, aber notwendig. Das steht außer Frage. Doch umso wichtiger ist es, Beeinträchtigungen für die Fahrgäste möglichst gering zu halten und Ersatzmaßnahmen zu ergreifen, die ihren Bedürfnissen am ehesten gerecht werden.

U-Bahn
Ein leider schon klassischer Missstand bei Bauarbeiten der BVG: Auf den Zugzielanzeigern am Bahnsteig wird nicht der tatsächliche Endbahnhof „Tierpark“ des Zuges angezeigt, sondern der des Regelverkehrs „Hönow“. An diesem Zug steht es – ausnahmsweise – richtig. Foto: Marc Heller

Hierbei darf die betroffene Linie nicht singulär betrachtet werden. Vielmehr ist die Netzwirkung entscheidend, wie sich die Fahrgäste umorientieren, und daher entscheidet auch die Einbettung einer Maßnahme in das bestehende Netz darüber, wie gut oder schlecht sie angenommen wird. Ein Versteifen auf rein betriebliche Belange und den 1:1-Ersatz führt unweigerlich zum Scheitern, wie im Folgenden nachvollzogen werden kann. Denn gern vergessen wird die alte Erkenntnis: Wer kann fährt Bahn. Nur wer muss fährt Bus!

1. Akt:
Das Scheitern an der Fahrgastfirewall

Seit 10. Juni 2014 ist die U 5 wieder einmal Austragungsort eines seltsamen Schauspiels. Es gelang der BVG, zwei geplante Baumaßnahmen zu einer Maßnahme zusammenzulegen – zulasten der Fahrgäste. Neben der Kabelkanalerneuerung zwischen Tierpark und Biesdorf-Süd wird auch der Bahndamm am Elsterwerdaer Platz stabilisiert und damit eine störende Langsamfahrstelle beseitigt. Dies dient auch der zuletzt immer mal wieder unzureichenden Anschlusssicherheit in Wuhletal zur S 5. Eben jene dient während der Sperrung zwischen Tierpark und Wuhletal auch als bequeme Hauptumfahrung der Baustelle. Dies vorherzusehen bedurfte auch keiner Hellseher, sondern gehört schlicht zum Erfahrungsschatz der seit der U-Bahn-Eröffnung vergangenen 2,5 Dekaden. Ziel der Ersatzmaßnahmen musste also eine adäquate Anbindung von Wohngebieten und Badesee in Biesdorf und dem Busknoten Elsterwerdaer Platz sein.

Grafik
Der U5-Schienenersatzverkehr (SEV) zwischen Tierpark und Wuhletal in der Zeit vom 10. Juni bis 8. August 2014. Grafik: Holger Mertens

Der Berliner Fahrgastverband IGEB schlug die Nutzung von vorhandenen Buslinien anstelle des angedachten 1:1-Ersatzverkehrs vor. Zwischen Lichtenberg, dem Umsteigeknoten zwischen U 5 und S-Bahn, und Waldesruh verkehrt die Buslinie 108 über den Elsterwerdaer Platz. Eine Verdichtung dieser Buslinie sollte den westlichen Anschluss dieses Busknotens sicherstellen und hätte so für einen Teil der Fahrgäste lediglich den Umsteigepunkt zur Rhinstraße und nach Lichtenberg verlagert und mit der Haltestelle Weißenhöher Straße auch einen Teil des Biesdorfer Einzugsgebietes erschlossen. Für die östliche Anbindung hatte sich bereits bei einer vorangegangenen Baumaßnahme die Verlängerung der Linien 191 und 291 von Wuhletal zum Elsterwerdaer Platz bewährt und den Fahrgästen aus Kausldorf-Nord einen zusätzlichen Umsteigevorgang in Wuhletal erspart. Die direkte Anbindung des U-Bahnhofs Biesdorf Süd sollte der umgesetzte Shuttlebus mit zusätzlichem Halt an der Weißenhöher Straße übernehmen. Doch der IGEB-Vorschlag war wohl zu revolutionär. Nicht genügend Busse, falsche Gefäßgrößen und die alltäglichen Stauquellen wurden als Ablehnungsgründe genannt.

Für diesen Fall hatte die IGEB einen „Plan B“ bereit, um wenigstens den angedachten Ersatzverkehr von Tierpark nach Wuhletal mit Zwischenhalt am Elsterwerdaer Platz aus Fahrgastsicht attraktiver zu gestalten. Vorgeschlagen wurde die Bedienung von drei zusätzlichen Haltestellen. Am Tierpark/Alfred-Kowalke-Straße hätte den 250 Meter entfernt liegenden U-Bahnhof Friedrichsfelde mit erschlossen, Alt-Friedrichsfelde/Rhinstraße den Umstieg zur Straßenbahn und Buslinie 194 erleichtert und die Haltestelle Weißenhöher Straße die bereits oben erwähnte Erschließungsfunktion der Biesdorfer Wohngebiete erfüllt und den Umstieg zum Shuttlebus ermöglicht.

Doch auch hier entschied die „Fahrgastfirewall“ auf komplette Ablehnung. Begründung: Zusätzliche Halte kosten zusätzliche Fahrzeit, und zusätzliche Fahrzeit bedeutet den Einsatz zusätzlicher Busse. Auch die eiligst eingeleitete Prüfung einer Umklappung nach Lichtenberg mit Zusatzhalt an der Rhinstraße – quasi Plan C – scheiterte an der dafür notwendigen temporären Busaufstellfläche unter der Lichtenberger Brücke.

2. Akt:
Der Stau-Ersatzverkehr und Badeshuttle

Ersatzbus im Stau
Bushaltestelle Alt-Friedrichsfelde/Rhinstraße: Die SEV-Busse stehen an der roten Ampel, anstatt in dieser Zeit den Umstieg zur Straßenbahn zu ermöglichen. Foto: Tom Gerlich

Neugierig wurde nun der Beginn der Bauarbeiten in der Hoffnung abgewartet, dass es nicht so schlimm kommt, wie von der IGEB erwartet. Doch es kam schlimmer. Das aufgebotene Bus-Bataillon aus 22 Gelenkbussen vollzog bereits am ersten Tag erfolgreich das Manöver Fahrgastvergraulung. Die Busse waren in der Weißenhöher Straße nicht nur Stauopfer, sondern durch die Ein- und Ausfahrt in den mit bis zu 6 Fahrzeugen belagerten Busbahnhof am Elsterwerdaer Platz eben auch für jenen Stau mit verantwortlich. Die Passierdauer betrug bis zu 12 Minuten, und so standen Busse zwar an der Haltestelle Weißenhöher Straße im Stau, doch ein Fahrgastwechsel konnte nicht stattfinden.

Auch an der Kreuzung Alt-Friedrichsfelde/Rhinstraße erfolgt seither ein gar surreales Schauspiel. Da nähert sich ein Bus in Richtung Tierpark und hält vor der rot zeigenden Ampel an. Er tut dies jedoch nicht auf der Busspur samt Fahrgastwechsel an der dort liegenden Haltestelle der Linien 108 und 194, sondern eine Spur weiter, zusammen mit allen anderen Verkehrsteilnehmern.

Lustige Verwirrspiele gibt es dann am U-Bahnhof Tierpark. Der ankommende Bus hält hinten, um die Fahrgäste herauszulassen. Anschließend zieht er zur Fußgängerampel vor und kommt bei deren Rotstellung direkt an der Einstiegshaltestelle vor dem U-Bahn-Ausgang zu stehen. Im Anschluss dreht er eine Ehrenrunde um den U-Bahn-Eingang, wo auf der Rückseite die wohlverdiente Pause vom Staustress winkt, bevor der Bus dann wieder an der Ankunftshaltestelle vorbei zur Einstiegshaltestelle und mit der dritten Spitzkehre zunächst den Rückweg zur Straße Alt-Friedrichsfelde antritt, von der die Fahrgäste erst in Lichtenberg unterirdisch abschwenkten. Kein Wunder also, dass die Fahrgäste schon am zweiten Tag die Nase voll hatten und die Busse größtenteils fahrgastfrei durch die Gegend fuhren. Es dauerte dann noch eine Weile, bis auch die BVG ein Einsehen hatte und nach zahlreich gefahrenen Leerkilometern den Buseinsatz zunächst leicht reduzierte und schließlich gar halbierte.

Dagegen platzte der Shuttlebus zum Biesdorfer See (mit sonst angeschlossenem U-Bahnhof) zeitweise aus allen Nähten. Bereits am ersten Einsatztag kam es bei bestem Badewetter zur vorhersehbaren Überlastung. Über eine Stunde hinweg konnten 100 Prozent Auslastung und zurückgelassene Fahrgäste am Elsterwerdaer Platz beobachtet werden, während zugleich fahrgastfreie SEV-Busse auf der Hauptlinie vorbeikamen. Doch während der Abbau der Überkapazität nach mehrfacher Redundanzzählung irgendwann funktioniert hat, war die Bereitstellung eines weiteren Kleinbusses als operative Reserve offenbar außerhalb der BVG-Möglichkeiten.

3. Akt:
Die U 5 nach „Tier-now”

Den finalen Akt der Tragödie liefert jedoch zweifelsfrei die Fahrgast(fehl)information. Freudig präsentiert DAISY den ganztägigen 5-Minuten-Takt nach Hönow. Das ist der Zeitpunkt, zu dem ein geübter U 5-Fahrgast spätestens skeptisch wird, endet doch tagsüber jeder zweite Zug bereits in Kaulsdorf Nord. So ist der Zeitpunkt erreicht, um dem Inhalt der Laufschrift wieder Beachtung zu schenken. Alternativ sollte auch ein Blick auf den Aushangfahrplan helfen, doch hier scheint eher DAISY Bestätigung zu finden, denn nur eine Fahrt verkündet mit der Fußnote „Frankfurter Allee“ einen verkürzten Linienweg – stünde da nicht zwischen Fahrtrichtungsangabe (S+U Alexanderplatz > U Hönow) und der Perlschnur der kompletten Linie „Gültig vom 10.06.-07.08.2014! Schienenersatzverkehr zwischen Tierpark und Wuhletal mit Bussen!“. Diese unzureichende Fahrgastinformation muss man wohl als Kapitulation des Bedieners vor der Bearbeitungssoftware verstehen.

Der so informatorisch vorbelastete Fahrgast wird nun Zeuge eines besonderen Schauspiels, denn während DAISY, „Hönow“ blinkend, die nahende Abfahrt ankündigt, erreicht ein mit „U 5 Tierpark“ beschilderter Zug des Typs H den Bahnsteig und lässt auch akustisch mit „Zug nach Tierpark“ wenig Zweifel daran, wo die Reise hingeht. Diese Handhabung ist jedoch keinesfalls einheitlich, denn die älteren F-Züge schildern dem Verwirrauftrag folgend „U 5 Hönow“, und der fahrgastinformatorisch hochgerüstete H-Zug 5035 kann sich im Inneren nicht entscheiden, ob er nun nach Hönow oder Tierpark fahren möchte, und zeigt daher einfach beide Ziele an.

Voller Ersatzbus
Hoffnungslos überlasteter Shuttlebus zum Biesdorfer See. Fahrgäste mussten zurückbleiben. Für die erwartbaren Schönwetter-Lastspitzen gab es keine Reserve. Foto: Tom Gerlich

Bei der Ankunft am Bahnhof Lichtenberg sind je nach Fahrzeugeinsatz verschiedene Szenarien zu beobachten. In den mit „Tierpark“ beschilderten H-Zügen ist auch die Sonderansage gut zu verstehen, die ab Lichtenberg die Umfahrung mit der S 5 empfiehlt, weswegen dort ein Großteil der Fahrgäste den Zug verlässt. In den mit „Hönow“ beschilderten F-Zügen hängt die Verbleibquote dagegen von der Lautstärkeeinstellung des einzelnen Fahrzeugs ab. Da, wo die Ansage leise kaum verständlich abgespielt wird, bleiben deutlich mehr Fahrgäste sitzen und tappen in die „SEV-Falle“. Immerhin bemerken sie so aber auch nicht die falsche Sonderansage in Friedrichsfelde, die in Richtung Hönow meist manuell unterdrückt wird und daher nur in Richtung Alexanderplatz zu hören ist, wo sie nicht minder für Verwirrung sorgt. Denn laut Ansage soll in Friedrichsfelde in den SEV gewechselt werden, welcher weder direkt am U-Bahnhof noch auf der etwa 250 Meter entfernten Hauptstraße Am Tierpark hält. Doch auch das ist für die BVG offensichtlich kein Grund, dort noch nachträglich eine Haltestelle einzurichten.

Zwar wird auch vor „Wuhletal“ per Ansage auf die Umfahrungsmöglichkeit mit der S-Bahn hingewiesen, doch die BVG-Ausschilderung am Bahnsteig verschweigt die am selben Bahnsteig gegenüber abfahrende S-Bahn und verweist schon nahezu krampfhaft auf den SEV, wodurch sich auch in dieser Fahrtrichtung Einzelne finden, die die SEV-Strapazen auf sich nehmen, statt bequemer und schneller mit der durchaus gut gefüllten S-Bahn zu fahren.

Abgesang

Besser als bei dieser U 5-Maßnahme lässt sich das Wirken der BVG-typischen „SEV-Falle“ jedenfalls kaum beobachten, und so ist es letztendlich auch nicht verwunderlich, dass die Busse vom Tierpark nach Wuhletal besser gefüllt sind als andersherum.

Sinnbildlich für die offensichtlichen organisatorischen Mängel der BVG wirkt deren Hauptquartier an der Holzmarktstraße mit den, symbolisch für die drei Betriebsbereiche stehenden, drei getrennten „Elfenbeintürmen“ des BVG-Verwaltungsgebäudes.

Völlig unverständlich ist, dass einerseits mühevoll einige Angebotsverbesserungen im BVG-Netz nach spitzem Rechnen und dem einen oder anderen Trick erfolgreich umgesetzt wurden, während es an anderen Stellen noch immer massiv klemmt. Beim Schienenersatzverkehr bleibt der verantwortungsvolle Umgang mit den zur Verfügung gestellten Mitteln jedenfalls auf der Strecke. Im Fall der U 5 wurden Fahrgastkilometer durch leer fahrende Busse in einem denkwürdigen Umfang verschenkt, der für andere Maßnahmen fehlt. Ein „weiter so“ und Übergang zur Tagesordnung darf es nach diesem Debakel nicht geben. (ge)

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 4/2014 (August/September 2014), Seite 5-6

 

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