Fahrgäste der U 3 in Berlin werden dies kennen:
Übervolle Züge zwischen Heidelberger
Platz und Thielplatz. Kein Wunder, setzt die
BVG doch auf dieser Linie immer wieder
Züge mit nur vier Wagen ein. Bestünde die
Lösung nun darin, die U 3 zur Großprofil-U-Bahn oder
zur S-Bahn-Strecke auszubauen?
Sicher nicht! Zu recht würde man
einwenden, dass eher die Kapazitäten des
vorhandenen U-Bahn-Systems auszunutzen
wären, sprich: regelmäßig Sechs- oder Acht-Wagen-Züge einzusetzen.
Wäre die U 3 jedoch eine Straßenbahn-Strecke, würden viele Menschen sofort
nach einem Ersatz durch eine U-Bahn rufen,
ohne an die Möglichkeiten zu denken, die
ein Straßenbahn-System bietet. Diese Verhaltensweise
lässt sich etwa regelmäßig beobachten,
wenn es um die vollen Züge auf
der Berliner Straßenbahnlinie M 4 geht.
Welche Potenziale indessen zeitgemäße
Straßenbahn-Systeme bieten, kann man in
anderen Ländern nachvollziehen. Einige
der modernen Straßenbahnbetriebe Frankreichs
vermögen täglich Nachfragen zu bewältigen,
die für viele Menschen in Deutschland
unvorstellbar klingen.
Der Straßenbahn in Montpellier beispielsweise
gelingt es täglich, auf der Linie 1 bei
einem Fünf-Minuten-Takt über 130 000
Fahrgäste zu befördern. Die Straßburger
Elektrische kommt mit der Linie A diesem
Wert nahe und erreichte bei Veranstaltungen
an einem Tag sogar 180 000 Fahrgäste!
Hohe Beförderungsleistungen sind auch
von Straßenbahn-Systemen jenseits des Ärmelkanals
bekannt: Die Tram Dublin (Luas)
konnte bereits bis zu 145 000 Fahrgäste
befördern, wenn auch auf zwei separaten
Linien.
Dabei ist zu betonen, dass die in Montpellier
eingesetzten Citadis-Straßenbahnen
maximal 43,70 Meter lang sind, in Straßburg
kommen bis zu 45,06 Meter lange Züge zum
Einsatz. Bekanntlich dürfen Straßenbahnen,
jedenfalls in Deutschland, auch noch länger
sein. Beförderungszahlen von pro Tag
130 000 Fahrgästen könnten hier also noch
überboten werden.
Demgegenüber nimmt sich die Nachfrage
der Hamburger Metrobus-Linie 5 mit
rund 60 000 Fahrgästen pro Tag geradezu
bescheiden aus. Selbst eine Verdoppelung
dieser Zahl würde ein Straßenbahn-System
noch längst nicht an seine Kapazitätsgrenzen
bringen.
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60 000 Fahrgäste täglich überfordern die Hamburger Metrobus-Linie 5, wären aber für die Straßenbahn kein Problem. Doch nach seinem Wahlsieg 2011 stoppte Olaf Scholz das weit fortgeschrittene Projekt. Abb.: SIGNAL 3/2010 |
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Noch viel weniger ließen sich neue
U-Bahn-Bauprojekte in Berlin mit der hohen
Beförderungskapazität von U-Bahn-Zügen
begründen. Ernsthafte Diskussionen über
eine Verlängerung der U 1 Richtung Ostkreuz
und Westkreuz wären erst dann gerechtfertigt,
wenn auf der Stadtbahn sowohl
die S-Bahn als auch die Regionalbahnen an
ihre Leistungsgrenzen stoßen würden. Hiervon
kann aber bis auf weiteres nicht ausgegangen
werden, schon gar nicht am westlichen
Streckenende der U 1. Allenfalls könnte
in Erwägung gezogen werden, für eine zu
verlängernde U 1 eine Trasse freizuhalten.
Selbst auf dem Abschnitt von Uhlandstraße
bis Adenauerplatz – wo Teile der BVG eine
Verlängerung der U 1 für sinnvoll erachten –
sind die Busse M 19 und M 29 nicht so überfüllt,
dass man in den Untergrund gehen
müsste. Anstelle einer punktuellen Verlängerung
der U 1 wäre hier sehr viel eher die
Straßenbahn zu favorisieren, insbesondere
auch für die weitergehende Erschließung
der Ortsteile Grunewald und Schmargendorf
(Roseneck). Das Gleiche gilt für das
Märkische Viertel, wo eine Erschließung per
Bus/Straßenbahn nicht nur kostengünstiger
wäre, sondern auch den Verkehrsströmen
(Tegel, Kurt-Schumacher-Platz, Jungfernheide,
Pankow) weitaus besser entspräche. Bei
einer Einwohnerzahl von weniger als 40 000
ließe sich auch hier eine U-Bahn (U 8-Verlängerung)
nicht mit dem Argument der Beförderungskapazität
rechtfertigen.
Bekanntlich sind die finanziellen Ressourcen
sowohl für den Bau als auch den Betrieb
von Schienenbahnen deutschlandweit begrenzt.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden
die Bundesmittel nach Auslaufen des
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes
ab 2019 auch für die Sanierung vorhandener
(Tunnel-)Bahnen verwendet werden
müssen – insbesondere im Ruhrgebiet. Vor
dem Hintergrund der knappen Mittel und
des Sanierungsstaus im Bereich des ÖPNV
erscheint es nicht hilfreich, wenn jetzt Städte
wie Hamburg, München und Berlin mit
zweifelhaften Ideen für weitere U-Bahn-Bauten
auffallen, ohne die Notwendigkeiten
und die Alternativen hinreichend zu berücksichtigen.
Vor allem wegen ihrer hohen
Beförderungsleistung bei vergleichsweise
niedrigen Investitions- und Betriebskosten
dürfte der Straßenbahn im Zweifelsfall regelmäßig
der Vorzug zu geben sein. (hjb)
IGEB Stadtverkehr
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