"Na, ich werd' mich mal um die Ablage kümmern." Mit diesen Worten knüllte
Sculder zwei Pressefaxe des Verkehrssenators, auf denen dieser die 'Auflösung
des Staus' und Vorrang für den ÖPNV' verkündete, zusammen und beförderte sie
mit kühnem Schwung in den Papierkorb. In diesem Moment verdunkelte ein
Schatten das Licht im Flur und ein Umschlag wurde unter der Tür
durchgeschoben.
"Na bitte, Sculder was hab' ich gesagt... Mal sehen, was das wieder ist."
Im Umschlag befand sich lediglich eine Tonbandkassette. Mully schob die
Cassette in den Recorder und drückte auf die Wiedergabetaste. "Guten Tag!
Vor 10 Minuten hat unsere Telefonzentrale diesen Anruf erhalten." Es ertönte
kurzes Rauschen, dann erfüllte eine krächzende Stimme den Raum: "Hier ist
der automatische Anrufbeantworter von Klaus-Rüdiger L. [Name aus Gründen des
Persönlichkeitsschutzes von der Redaktion gekürzt]! Dies ist ein anonymer
Anruf, darum habe ich meine Stimme verstellt. Ich bin der größte
Verkehrsexperte der Stadt und habe den Stein der Weisen entdeckt. Wenn Sie
mehr wissen wollen, kommen Sie zum Potsdamer Platz, Debis-Gebäude. Kommen
Sie allein und unbewaffnet!" Dann rauschte es wieder, bevor die Stimme
ihres Auftraggebers ertönte. "Eigentlich wollten wir nicht eingreifen,
aber Sie kümmern sich ja um zweifelhafte Geschichten. Vielleicht steckt
ja mehr dahinter. - Dieses Band wird sich in zehn Sekunden selbst
zerstören. Zehn. Neun. Acht..."
Minuten später saßen Sculder und Mully in der U-Bahn. Dank zahlloser
Langsamfahrstellen auf der U2 hatten die beiden Agenten genügend Zeit, daß
Dossier von L. zu studieren.
"Er tritt zusammen mit Klaus B. seit April diesen Jahres regelmäßig im
berühmten verkehrspolitischen Komikerduo Klaus & Klaus auf."
"Ja, und hier steht, daß er Rot sieht, wenn er den Begriff 'Öffentlicher
Nahverkehr' hört, und beim Wort 'Straßenbahn' treten Krämpfe auf. Mully,
wir müssen sehr vorsichtig sein."
Auf dem Dach des Debis-Würfels wehte ein schneidender Wind. Klaus-Rüdiger L.
stand dort am Rand des Kamins und hielt seine Nase in die Abluft des
Autotunnels. Als er Sculder und Mully kommen hörte, nahm er noch eine
kräftige Prise. Dann drehte er sich um. "Ah Agents, guten Abend, schön
daß sie es ermöglichen konnten" Er wies mit der Hand hinter sich: "
Das sollten Sie auch einmal probieren. Es weitet den Blick, alles
schillert und sieht so bunt aus. Es hilft mir, mit den Geistern der
Ahnen in Kontakt zu treten. - Ich habe die Stimmen der toten
Verkehrsplaner dieser Stadt gehört."
"Aha", sagte Sculder langsam und drehte sich zu Mully um. "Er steht
mit den Geistern der Toten in Verbindung, sagt er."
"Und was sagen Sie Ihnen, die Stimmen?"
"Sie sagen, daß eine Straßenbahn vom Alex zum Potsdamer Platz dringend nötig
ist. - Aber ich verabscheue Schienen. Es sei denn, sie verlaufen im Tunnel
und ich muß sie nicht sehen! Und einen Tunnel können wir uns jetzt nicht
leisten" -"?!!!"- "Deshalb fordere ich hier und - und auch die Zwischenrufe
der Damen und Herren von den billigen Oppositionsbänken können mich
nicht davon abhalten - jetzt die Erfindung eines weiteren Verkehrsmittels:
eine Straßenbahn ohne Schienen und Oberleitungen!"
"Sculder, haben Sie eine Ahnung, was hier vorgeht?"
"Er glaubt offenbar, er ist im Abgeordnetenhaus. - Sie wollen
also eine Straßenbahn ohne Schienen und Oberleitungen?!"
"Ja, genau, kostenlose Elektrobusse wären nett... Die hab' ich in Denver
gesehen."
"Na, ist ja entzückend! Wissen Sie, daß wir in Berlin keine neuen
Spielzeuge, sondern Lösungen für Probleme brauchen?"
"Das ist mir egal. Ich b'ezahl' das nicht, ich fahr' auch nicht damit.
Aber ich will Elektrobusse." Dann stampfte Klaus-Rüdiger L. zornig mit
dem Fuß auf.
Sculder trat an die Brüstung und blickte nach unten. Er war
erschüttert und dachte an das, was nun wieder vor ihnen lag. Wie
konnten sie nur verhindern, daß diese rückwärtsgewandten Pläne
Wirklichkeit werden?
Akte Y
Die ungelösten Fälle des Berliner Fahrgastverbandes
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