Ein Hauseigentümer in Prenzlauer Berg wundert sich über rieselnden
Putz und erhebliche Schlafdefizite. Nach einigen Messungen stellte
er fest, daß der vorhandene Eindruck eines gestiegenen Geräuschpegels
(auf nicht mehr taufrischen Großverbundplatten) vorbeifahrender
Straßenbahnen den Tatsachen entspricht. Zwar hat sich der unmittelbar
von Passanten und Fahrgästen wahrnehmbare Luftschall nach der
Modernisierung reduziert, die Erschütterungen gegenüber dem Erdreich
und damit auf die umliegenden Gebäude sind stärker geworden.
Vermutete Ursache: der Gummiring zwischen innerem Radkörper und außen
liegendem Radreifen ist hinsichtlich des Ringspaltes zwischen beiden zu
gering dimensioniert. Der Gummi ist damit nicht in der Lage, Walkarbeit
zu leisten, die nötig ist, um Schwingungen im Rad abzubauen. Beim alten
Tatra-Rad war dieser Spalt ausreichend. Als notwendiges Mindestmaß
gelten 3 Millimeter. Mehr wäre besser.
Damit die üblichen "Mißverständnisse" ausbleiben: der Umbau insbesondere der
Tatra-Drehgestelle war natürlich notwendig, um die ungefederten Massen im
Drehgestell zu minimieren, den Wartungsaufwand zu senken und die Laufgüte
des Wagens zu verbessern. Das Ziel der Geräuschminderung allerdings ist
leider nur bedingt erreicht worden. Dieses ist aber nicht unmöglich,
wenn man sich andere Fahrwerks Varianten ansieht.
Auffallend ist zum Beispiel der positive Eindruck der modernisierten Wagen
in Cottbus, die mit der Kombination Megi-Federung und Original-Tatrarad
akustisch so gut wie gar nicht wahrzunehmen sind.
In einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung mit Meßergebnissen wird
eine minimale Verringerung des Schalls konstatiert. Abgesehen davon, daß
hier offenkundig nur der Luftschall gemessen wurde, werden auch relativ
neuwertige Gleise betrachtet. Beim heutigen Stand der Technik sollte man
aber auch in der Lage sein, selbst auf verschlissenem Gleisbau zu
befriedigenden Ergebnissen zu kommen.
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Ringspalt zu klein? Bei alten Tatra-Rädern (oben) war er größer als bei den neuen. Foto: IGEB-Archiv |
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Wenn die Marketingargumente "leise" und "umweltschonend" dem Vergleich
mit der Realität standhalten sollen, ist es unumgänglich, sich mit
dieser Problematik auseinanderzusetzen. Die BVG hatte eigene Messungen
vorgenommen, deren Glaubwürdigkeit von dem erwähnten Hauseigentümer
aber angefochten wird. Die angeschriebene Industrie verweist auf die
Bestellungen der Verkehrsbetriebe, wo die Parameter der Räder
vorgegeben waren. Wie dem auch sei, man sollte nach Lösungen suchen.
Es wäre realitätsfremd, eine sofortige Umrüstung aller Wagen zu
verlangen. Wir erwarten aber, daß die BVG genügend Problembewußtsein
aufbringt und Neubeschaffungen oder größeren Instandsetzungen andere,
geeignetere Räder einsetzt.
Unabhängig von der Räderproblematik fallen bei dieser konkreten Angelegenheit
wieder einige Eigenheiten des Niederflurwagens GT6 auf, die nicht gerade
zur Geräuschminderung im Alltag beiträgt. Neben kaum zu überhörenden
Geräuschen von Getriebe und Stromrichtern sorgt eine weitere Besonderheit
dieses "Erfolgstyps" für Verdruß. Er neigt aus naheliegenden Gründen
erheblich zur Verriffelung der Radreifen, also der Bildung vieler kleiner
Flachstellen. Da nur drei von sechs Radpaaren angetrieben und gebremst
werden, ist selbst bei günstigen Schienenverhältnissen und normaler
Beschleunigung oder Verzögerung ein gewisser Drang zum Schleudern und
Blockieren zu beobachten. Da der Gleitschutz natürlich erst nach Beginn
des Blockierens, also mit einer geringen Verzögerung einsetzt, können
sich kleinere Abdrücke auf der Oberfläche des Radreifens bilden. Und
diese hört man nun einmal - das "bahntypische klack-klack" eben.
Und schon ist es zusätzlich zu den erwähnten Rädern, die bei diesem
Typ auch verwendet werden, wieder etwas lauter.
Mögliche Zusammenhänge der Anfälligkeit zum Rutschen hinsichtlich
dem Auffahrunfall an der Revaler Straße im vergangenen Jahr sollen
hier nicht erörtert werden, da sie das Reich der Spekulationen streifen.
Wir sind aber erneut bei der leidigen Frage, ob dieser Typ das
Fahrzeug der Zukunft sein kann oder nur ein notwendiger, aber
unvollkommener Entwicklungsschritt.
Künftige Fahrzeuge sollten wieder Antrieb und Betriebsbremse an allen
Radsätzen aufweisen. Daß auch andere Aspekte, wie Wagenkastenkonfiguration,
Hüllkurve und nahverkehrsgerechte Türanordnung Beachtung finden sollten,
wurde an dieser Stelle größtenteils schon erörtert. Der bislang in Berlin
favorisierte Hersteller hat unabhängig von den jüngsten Schlagzeilen um
sein Pankower Werk mit einer "Produktoffensive" gezeigt, daß er seine
Straßenbahnproduktion durchaus den genannten Erfordernissen anpassen
kann und die bisher mehr als leerer Werbespruch denn als Fakt
anzusehende Modularität seiner Produkte tatsächlich in die Realität umsetzt.
Auch diese Bemerkungen zielt nicht auf die sofortige Substitution der
Wagen, was wirtschaftlich Unfug wäre. Es ergeht hier aber wiederholt
die Aufforderung, Fehler der Vergangenheit als wertvolle Erfahrung
zu betrachten und künftige Neubeschaffungen unter den genannten.
Aspekten auszuschreiben.
Da sich die Erkenntnisse über physikalische Gesetzmäßigkeiten im
mechanischen Bereich erfahrungsgemäß nicht so schnell ändern, sei hier eine
durchaus noch zutreffende Feststellung aus der Zeitschrift "Verkehrstechnik"
vom August 1934 zitiert: "Um dauernd eine bestimmte Federungsarbeit leisten
zu können, ist es nötig, den Gummi einmal wie jeden anderen Federwerkstoff
ausreichend zu bemessen und zweitens ihm auch die nötige
Formänderungsmöglichkeit zu geben. Gummi, der allseitig fest eingespannt
ist, wirkt wie eine eingeschlossene Flüssigkeit, die ungemildert alle
Kräfte und Schwingungserscheinungen überträgt. Aus dieser Erkenntnis
erwächst dem Konstrukteur die Aufgabe, in jedem Falle im Radkörper
ein ausreichendes Gummivolumen unterzubringen und diesem ausreichende
Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Die Teile des Querschnitts, die diese
nicht haben, scheiden für die Federung aus". Quelle: Dr. Paul Becker,
Das gummigefederte Eisenbahnrad, in Verkehrstechnik 15/1934.
IGEB, Abteilung Stadtverkehr
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