Die U8:
Großer Anlauf - Großes Scheitern
Wie verpatzt man den Schienenanschluß einer Großsiedlung?
Das Märkische Viertel existiert nun schon seit über 30 Jahren, und noch immer
ist aus Sicht seiner Bewohner die Anbindung an den ÖPNV nicht ausreichend.
Als seinerzeit die ersten Bewohner in den Norden zogen, lautete ein
Versprechen, daß das Märkische Viertel so wie schnell möglich in das
Schnellbahnnetz einbezogen werden soll. Schnellbahn, das hieß im
West-Berlin der Sechziger U-Bahn, die S-Bahn war faktisch für die
Stadtentwicklung abgeschrieben. 1970 waren diese Planungen soweit
konkretisiert, daß die U8 ins Märkische Viertel fahren sollte. Doch zu
dieser Zeit endete die U 8 noch weit entfernt am S- und U-Bf. Gesundbrunnen.
Erst 1977 wurde die Verlängerung von Gesundbrunnen bis Osloer Straße in
Betrieb genommen. Zur 750 Jahrfeier folgte 1987 der Abschnitt Osloer
Straße bis Paracelsus-Bad und schlug mit 400 Millionen DM
für 2,9 km Strecke zu Buche.
Doch inzwischen hatten sich die Rahmenbedingungen für den U-Bahnausbau
im Westteil Berlins geändert. 1984 übernahm die BVG im Auftrag des Senates
den Betrieb bei der S-Bahn. Die beiden von der Deutschen Reichsbahn bis
1984 betriebenen Reinickendorfer S-Bahnstrecken nach Heiligensee und Frohnau
wurden stillgelegt. Auf Druck engagierter Vereine und Bürger - und nicht
zuletzt der IGEB - wurde wenigstens die Strecke nach Frohnau kurzfristig
wieder in Betrieb genommen. Eine klare politische Entscheidung zugunsten
der S-Bahn und des Märkischen Viertels blieb aus. Zum Beispiel hätte man
mit einer ca. 2 km - von der Nordbahn abzweigenden - Tunnelstrecke daß
Märkische Viertel direkt und kurzfristig erschließen können.
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Warten auf Fahrgäste. Foto: Marc Heller |
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Man wollte die große, vermeintlich weltstädtische Lösung. Und so traf man
im Jahr der S-Bahn-Übernahme die Entscheidung zum Weiterbau der U 8 ab
Paracelsus-Bad. Daß man mit dieser unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten
katastrophalen Fehlentscheidung auch noch die Geldgeber in Bonn nachhaltig
verärgerte, nahmen die Berliner Politiker billigend in Kauf. Der Bau bis
zum S-Bf Wittenau (jetzt Wilhelmsruher Damm) dauerte immerhin 10 Jahre und
kostete bei einer Gesamtlänge
von 4,2 km stolze 600 Mio DM. Dabei wurde auch noch der (Um-)Weg durch
relativ dünnbesiedelte Ortsteile Reinickendorfs gewählt, u.a. unter dem
Park der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Aber immerhin haben die Reinickendorfer
Rathausfürsten nun einen eigenen U-Bahnhof vor der Haustür. Diese Strecke ist
der am schlechtesten ausgelastete U-Bahn-Neubauabschnitt in Berlin. Die
U-Bahn endet nun dort, wo die S-Bahn schon 70 Jahre vorher war - am
S-Bf. Wittenau. Dort heißt es dann für viele Fahrgäste umsteigen in eine
der zahlreichen Buslinien.
Wie nun weiter?
Bei der Inbetriebnahme im Jahr 1994 wünschten sich natürlich die
Reinickendorfer Politiker den Weiterbau der U8. Aber ein Weiterbau in das
Märkische Viertel ist aus finanziellen Gründen für die nächsten Jahrzehnte
ins Reich der Utopie zu verweisen und würde eben nicht nur Vorteile für die
ÖPNV-Benutzer bringen (vgl dazu SIGNAL 8/88).
Im ansonsten bezüglich U-Bahn-Freihaltetrassen nicht gerade zurückhaltenden
Flächennutzungsplan ist auf die Weiterführung bis zum Senftenberger Ring
verzichtet worden. Und bei einer Verlängerung bis zum Märkischen Zentrum
würde nicht mal ein Drittel der MV-Bewohner von einer direkten
U-Bahn-Anbindung profitieren. Alle anderen hätten vermutlich Nachteile
durch ein stark reduziertes Busangebot zu erwarten. Der Senat setzt beim
U-Bahnbau ganz andere Prioritäten, so u. a. auf den Weiterbau der U 5 über
den Lehrter Bf. hinaus in Richtung Moabit und Jungfernheide. Auch bei der
Sanierung der U-Bahn stehen die großen Probleme noch an. Die BVG schiebt
einen Sanierungsbedarf von ca. 4 Milliarden DM vor sich her, vom Senat
erhält sie pro Jahr gerade mal 150 Millionen dafür.
Und so bleibt für eine Schienenanbindung des Märkischen Viertel doch eine
ganz andere Alternative. Unmittelbar hinter der ehemaligen Grenze befindet
sich die Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 53 in Rosenthal. Der
Straßenquerschnitt des Wilhelmsruher Damms läßt die Aufnahme einer
Straßenbahntrasse mindestens bis zum Bf Wittenau zu. Ob und in wie weit
die Straßenbahn direkt ins Märkische Viertel rund um den Senftenberger
Ring fahren könnte, muß natürlich geprüft werden. In jedem Fall würde
eine Straßenbahn
für Fahrgäste nicht nur attraktiver sein, vor allem würde sich auch
einen sehr viel wirtschaftlicheren Betrieb erlauben als die zahlreichen,
vorzugsweise im Konvoi verkehrenden Busse.
Für U-Bahn-Freunde bleibt ein Trost: Eine Straßenbahnstrecke ist nach ca.
25 Jahren abgeschrieben. Dann kann man erneut die Erforderlichkeit einer
U8-Verlängerung prüfen. Das Märkischen Viertel hätte bis dahin aber endlich
eine Schienenanbindung nach West und auch nach "Ost". Und vielleicht wird
das Märkische Viertel auch ein Vorreiter für andere Großsiedlungen vor
allem im ehemaligen Westteil Berlins, so z. B. für das Falkenhagener
Feld in Spandau.
Die mißlungene U-Bahn-Anbindung des Märkischen Viertels bleibt so eine
ständige Warnung an diejenigen in der Stadt, die noch immer neue und teure
Tunnelorgien planen. Eine Neuorientierung weg vom U-Bahnbau und hin zur
Straßenbahn muß angesichts knapper Kassen das Gebot der Stunde sein. Man
kann über die drei Ost-Berliner Plattenbezirke Marzahn, Hohenschönhausen
und Hellersdorf viel Negatives sagen. Die ÖPNV-Infrastruktur aber ist in
der Kombination von oberirdischem, in Bau und Unterhalt billigerem
S- und U-Bahnbau, und mit einem großzügigen Straßenbahnnetz
akzeptabel gelöst.
Was macht man bloß mit der S-Bahn?
Nachwehen eines Boykotts
Schon der erste Abschnitt handelte über das Unvermögen der (West)-Berliner
Verwaltungen, die S-Bahn sinnvoll in das Berliner Verkehrsnetz einzubinden.
Doch auch an anderer Stelle ist es in diesem Bezirk gelungen, die S-Bahn
ins Abseits zu schieben. Es gehört zu den unrühmlichen Kapiteln der
Verkehrspolitik in dieser Stadt, daß ausgerechnet für den Autobahn-Bau eine
S-Bahntrasse zerstört wurde und erst nach 15 Jahren zum Jahresende 1998
wieder in Betrieb genommen werden kann. So geschehen an der heutigen S 25 in
Tegel. Aber auch der bisher wieder betriebene Abschnitt der S 25 zwischen
Schönholz und Tegel ist alles andere als eine Erfolgsstory. Erinnert sei
an das fast 5 Jahre währende Gezerre um die Betriebsform auf der S 25, ob
nun die Regionalbahn oder die S-Bahn den Verkehr übernimmt. Herausgekommen
ist der Kompromiß, die S-Bahn nur provisorisch wieder in Betrieb zu nehmen.
Das hat zur Folge, daß die S-Bahn bis heute nur alle 20 Minuten fahren kann
und der Umsteigebahnhof zur U 8 Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik für
Fahrgäste eine Zumutung ist.
Grotesk wird jedoch die Situation am derzeitigen Endpunkt der S 25 in Tegel.
Bis heute fährt eine einzige Buslinie zum S-Bf Tegel, die mit Inbetriebnahme
der S-Bahn bis Hennigsdorf eingestellt wird. Als einzige Veränderung sollen
nun - vier Jahre nach der Wiederinbetriebnahme des S-Bahnhofes - bestehende
Haltestellen (Tegelcenter und Gorkistraße/Ziekowstraße)
von den Buslinien 120, 124, 125 und 222 näher an den zukünftigen
Bahnübergang Gorkistraße verlegt werden. So haben Umsteiger zukünftig
wenigstens etwas kürzere Wege zur S-Bahn. Wieso diese Anpassung allerdings
vier Jahre dauerte, läßt sich in dem Zuständigkeitsdschungel zwischen BVG,
Bezirksamt, Straßenverkehrsbehörde und Senatsverkehrsverwaltung kaum
feststellen. Aber daß die BVG nicht gerade zu den engagierten Anhängern
einer guten Umsteigesituation zur S-Bahn in Tegel zählt, ist ein offenes
Geheimnis. Offen und ehrlich äußerte auch ein BVG-Vertreter schon
mal, daß eine Busanbindung des S-Bf Tegel unnötig sei.
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7. März 1988, 2.23 Uhr. Bei Nacht und Nebel und unter Ausschluß der Öffentlichkeit - Ankunft eines neuen S-Bahn-Prototyps im Bahnhof Frohnau. Foto: Mario Lange |
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Selbst wenn es nun also zu der genannten Haltestellenverlegung kommen sollte,
würde die Buslinie 133 auch weiterhin keine Verknüpfung mit der S-Bahn bieten.
Dies ist um so ärgerlicher, da große Teile von Heiligensee ausschließlich
durch diese Buslinie erschlossen werden und keine andere direkte Verbindung
zur S-Bahn haben. Dabei wäre eine Wegführung über Grußdorf-, Budde- und
Bernstorffstraße zumindest in dieser Fahrtrichtung sofort realisierbar.
Um diese Wegführung auch in der Gegenrichtung zu realisieren, müßten
allerdings die Einbahnstraßen-Regelung in der Grußdorfstraße aufgehoben
werden, einige (wenige) Stellplätze entfallen und die Ampelanlage an der
Berliner Straße umgebaut werden. Also ausreichend Gründe für Berliner
Bedenkenträger um gegen eine solche Lösung zu votieren. Problemlos und
kurzfristig realisierbar bliebe in dieser Fahrtrichtung die Wegführung
über Budde- und Veitstraße.
Der jetzige Zustand bedarf jedenfalls der Korrektur. Diese ist um so
dringlicher, da das Fahrgastaufkommen auf der S 25 sich nach der Verlängerung
bis Hennigsdorf
drastisch erhöhen wird und die S-Bahn GmbH selbst mit vielen Umsteigern
in Tegel rechnet.
Ein Erbe und seine Kosten
Kein Bus in der Citè Foch
Nach dem Abzug der Alliierten übernahm die Bundesrepublik Deutschland in
Berlin eine Vielzahl von interessanten und hochwertigen Liegenschaften.
Dazu gehört die Citè Foch in Waidmannslust. Zum einen wird der Standort
inzwischen als Wohnstandort genutzt. Und schließlich liegen ein Gymnasium
und eine Schwimmhalle mitten in der Citè Foch.
Umso unverständlicher ist die Tatsache, daß bis jetzt noch keine Buslinie
die Cité Foch erschließt. Die BVG wäre dazu schon seit längerer Zeit bereit
und hatte vorgeschlagen, auf dem Gelände der Cité Foch im Zusammenhang mit
einer veränderten Linienführung eine zusätzliche Haltestelle der Buslinie
322 einzurichten. Die Fahrzeitverlängerung wäre minimal, zusätzliche
Fahrzeuge und Personal wären nicht notwendig.
Doch statt dessen geschieht seit Jahren nichts. Warum? Wie eingangs erwähnt,
handelt es sich bei der Cité Foch um eine Liegenschaft des Bundes, das Land
Berlin ist nur Nutzer. Für die Buslinie 322 wären einige geringfügige
Anpassungen im Straßenraum erforderlich. Diese Anpassungen will nun der
Bund nicht für einen fremden Nutzer machen. Umgekehrt will der Bezirk nun
nicht für fremde Eigentümer Straßenbaulasten erbringen. Das wäre ja alles
nun nicht weiter interessant, wenn nicht unter anderem Schüler des
Gymnasiums die Leidtragenden dieses Unsinns wären.
Wieder stellt sich nun die Frage: Wie weiter? Und trotz knapper Kassen
bleibt vielleicht nur ein Weg. Der Bezirk sollte die Veränderungen im
Straßenraum vorfinanzieren. Dabei ist es Reinickendorf natürlich freigestellt
zu erklären, daß diese Vorfinanzierung keine Anerkennung der Straßenbaulasten
in der Cité Foch darstellt, sondern ausschließlich im Interesse der
Reinickendorfer erfolgt. Denn die Klärung der Straßenbaulast interessiert
die Reinickendorfer sicherlich nicht so brennend. Wichtiger sind wohl
akzeptable Busverbindungen im Bezirk!
Wie gehts weiter in Berlin?
Ein Fazit
An diesen Reinickendorfer Beispielen wird deutlich, daß die
verkehrspolitischen Entscheidungen im Großen wie im Kleinen in dieser
Stadt ganz häufig zu Lasten der ÖPNV-Benutzer getroffen werden. Mangelnde
(finanz-) politische Weitsicht, Gleichgültigkeit gegenüber den ÖPNV-Benutzern
oder Verschanzen hinter ungeklärten Zuständigkeiten - daran krankt die
Berliner Verkehrspolitik seit Jahrzehnten. Ob sich im nächsten Jahrtausend
ein(e) Berliner Verkehrspolitiker/in findet, der/die über den
ÖPNV nicht nur redet, sondern auch die Probleme löst?
IGEB, Abteilung Stadtverkehr
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