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Fahrcard im Praxistest

Viele haben sie inzwischen in der Brieftasche: die VBB-Fahrcard. Angekündigt als Verbesserung für die Stammfahrgäste. Doch wie kommt der Abo-Fahrgast damit im Alltag zurecht? Nach über zwei Jahren Zwangsbeglückung ist es damit Zeit für einen Praxistest!

Einstieg mit Lesegerät
Hier wird angezeigt, dass jetzt jeder seine VBB-Fahrcard an die Lese-/Schreibgeräte halten soll. Wer der Aufforderung folgt, geht ein hohes Risiko ein, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Den Verkehr hält man in jedem Fall auf. Foto: Holger Mertens

Wer früher eine Umweltkarte im Abo hatte, bekam entweder einen Bogen Klebemarken oder aber einen Stapel Monatskarten einoder zweimal im Jahr zugeschickt. Die Handhabung war einfach: Man verwendete sie wie eine normale Papierfahrkarte und musste lediglich beim Monatswechsel auch an den Kartenwechsel denken. Aber das Versenden der Marken als Wertpaket mit der Post war für den Verkehrsbetrieb durchaus mit Risiken verbunden. Daher ersann man die elektronische Abo-Fahrkarte, die gefahrlos verschickt und bei Verlust gesperrt werden kann.

Weniger Leistung für dassselbe Geld

So praktisch es für den Fahrgast nun ist, dass er das Papierkarten-Wechseln nicht mehr vergessen kann, so handelt es sich doch um eine versteckte Leistungseinschränkung. Denn da sich die Papier-Abschnitte am Monatswechsel zwei ganze Tage überlappten, konnten diese jährlich an insgesamt 24 Tagen von zwei Personen genutzt werden. Dabei handelte es sich keinesfalls um eine „Kulanzregelung“, denn diese Leistung ist im VBB-Tarif festgeschrieben und demnach keine Kulanz, sondern Vertragsbestandteil. Erstes Minus also für die Fahrcard.

Verwechslungsgefahr mit Folgen

Befinden sich mehrere Fahrcards im Haushalt, sollte man tunlichst vermeiden, diese aus der eigenen Brieftasche zu nehmen – Verwechslungsgefahr! Denn den Tarif und die Gültigkeit sieht man der Karte von außen nicht an. Nutzt man unterschiedliche Tarifbereiche oder -stufen in einem Haushalt, ist man gut beraten, die Karten streng getrennt voneinander aufzubewahren. Andernfalls könnte man schnell zum „Schwarzfahrer“ werden. Zweites Minus für die Fahrcard bei der Transparenz.

Vorausgesetzt, man hat seine Karte nicht vertauscht, laufen Kontrollen in den Schienenfahrzeugen problemlos ab. In den meisten Fällen genügt es sogar, die Karte in der Klappseite der Brieftasche zu belassen und nur ans Kontrollgerät des Personals zu halten. Damit ist das tatsächlich praktischer, als ein abgegrabbelter Papierfahrschein mit nachlassender oder schwacher Tinte. Pluspunkt.

Große Probleme bei BVG-Bussen

Ganz anders sieht das in den Bussen der BVG aus. „ACHTUNG, KONTROLLE!“ steht da jetzt groß an den vorderen Einstiegstüren dran. Auf der linken Seite gegenüber des Fahrers ist ein kleiner Kasten angebracht. An dieses Kontrollgerät soll der Kunde nun immer seine elektronische Fahrkarte halten. Das Gerät soll dann grün leuchten und alles ist paletti. Soweit die Theorie.

Praktisch sieht das so aus, dass es in den seltensten aller Fälle funktioniert. Meistens stand zwar „ready“ (engl. für „bereit“, deutsche Übersetzung wurde später hinzugefügt) auf dem Display, was wohl die Betriebsbereitschaft signalisieren soll, doch beim Ranhalten der Fahrcard an das Gerät passierte gar nichts. Da steht man dann als Kunde doof da. Soll ich einfach weitergehen? Oder auch nach der zehnten Sekunde, in der absolut gar nichts passiert, weiter ausharren und alles blockieren?

Alles Zufall? Um das festzustellen, haben wir mit mehreren Fahrcards knapp 100 Einstiegsvorgänge an BVG-Bussen verschiedenster Bauart mit Lesegeräten durchgeführt. In etwa 55 Prozent der Fälle bot sich uns genau obiges Bild: Gerät zeigt „ready“, Karte wird rangehalten, Gerät macht gar nichts. Und jeder denkt, man hält eine falsche Fahrcard ran. In 15 Prozent der Fälle war das Gerät ausgeschaltet. Nur in etwa 30 Prozent der Fälle war überhaupt eine Reaktion der Kontrollgeräte zu erleben.

Und selbst diese Fälle waren von der Benutzererfahrung her äußerst unangenehm. Funktionieren die Kontrollgeräte der Zugbegleiter und Fahrausweiskontrolleure in Bruchteilen einer Sekunde selbst durch die Brieftasche hindurch, so verweigern sich die Lesegeräte bei jeder kleinsten Störung. Durch die dünne Schutzfolie des Portemonnaies gibt es nur die Meldung „Karte nicht lesbar“.

Doch auch mit vollkommen nackter Plastikkarte sind die Erfolgsaussichten gering. Mehr als eine Sekunde muss die Fahrcard an das Kontrollgerät gehalten werden. Wer sich bewegt, verliert. Dann zeigt das Gerät den Fehler „Karte nicht lesbar“ an. Damit ist einem schon mal die Aufmerksamkeit vom Fahrer und den Fahrgästen hinter einem sicher.

Lesegerät mit Bereit
Halten Sie die Karte ans Lesegerät und es passiert nichts. Meistens jedenfalls. Doch die Alternativen sind zum Teil noch unschöner. Foto: Holger Mertens
Lesegerät mit bereits eingecheckt
Verplappert: Wenn angeblich nicht gespeichert wird, wann welche Karte wo kontrolliert wurde, woher weiß das Gerät dann, dass der Inhaber dieser Karte bereits in den Bus eingestiegen ist? Foto: Holger Mertens

Also der Zweite Versuch. Doch auch dieser wird nicht weniger peinlich. Denn dann, selbst wenn man alles richtig macht und die Karte lange und dicht genug ans Lesegerät hält, leuchtet die rote Lampe erneut. Dieses Mal mit der Fehlermeldung „bereits eingecheckt“. Das ist erstens äußerst unglücklich, denn bei einem gültigen Ticket sollte es immer grün leuchten und nie rot. Und zweitens ist es wirklich seltsam, denn woher weiß das Lesegerät, dass diese Karte bereits gelesen wurde, wenn doch keine eindeutigen Kontrolldaten gespeichert werden?

Der Test hat jedenfalls gezeigt: Wer sich mal so richtig peinlich berührt fühlen möchte, der fährt mit seiner Fahrcard mit dem BVG-Bus. Wer das nicht will, sollte einen großen Bogen um die Lesegeräte machen, nur dem Fahrer die Karte zeigen und dann schleunigst durchgehen. Und der BVG sei geraten, diese Fehlkonstruktion an Lese-Schreib-Geräten sofort sichtbar abzuschalten, abzudecken oder besser gleich abzunehmen – und dann erst einmal zurück ans Reißbrett! (hm)

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 6/2015 (Dezember 2015/Januar 2016), Seite 9

 

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