Am 24. September 2017 wurde in Berlin über
den Volksentscheid zum Weiterbetrieb des
Flughafens Berlin-Tegel abgestimmt:
„Der Flughafen Berlin-Tegel „Otto-Lilienthal“
ergänzt und entlastet den geplanten
Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“
(BER). Der Berliner Senat wird aufgefordert,
sofort die Schließungsabsichten aufzugeben
und alle Maßnahmen einzuleiten, die
erforderlich sind, um den unbefristeten
Fortbetrieb des Flughafens Tegel als Verkehrsflughafen
zu sichern!“
Dank der gleichzeitigen Bundestagswahl
lag die Beteiligung bei 71 Prozent der Wahlberechtigten,
erforderlich waren mindestens
25 Prozent. Von den Wählern stimmten
56,4 Prozent mit „Ja“. Damit war der Volksentscheid
wirksam zustande gekommen.
Dennoch wird der Flughafen Tegel sehr
wahrscheinlich geschlossen werden. Denn
der Flughafengesellschaft gehören auch der
Bund und das Land Brandenburg an. Diese
haben die Mehrheit und sind gegen eine
Offenhaltung.
Stadtentwicklungspolitisch, verkehrspolitisch,
umweltpolitisch und nicht zuletzt aus
finanziellen Gründen spricht alles gegen einen
Weiterbetrieb des Flughafens Tegel. Warum
haben diese Argumente eine Mehrheit
der Berliner nicht überzeugt?
Natürlich ist ein Volksentscheid immer
auch eine willkommene Gelegenheit, allgemeinen
Unmut „mit denen da oben“ zu
artikulieren. Aber das erklärt nicht die 56
Prozent.
Viele Fluggäste schätzen die innenstadtnahe
Lage von Tegel und wollen nicht in das
gefühlt sehr weit entfernte Schönefeld fahren.
Berliner Taxifahrer sorgen sich um ihr
Geschäft. Anwohner im weiten Umfeld von
Tegel fürchten Mieterhöhungen nach dem
Wegfall der Fluglärmbelastung. Anwohner
im weiten Umfeld des BER hoffen bei einer
Offenhaltung von Tegel auf weniger Flugverkehr
und damit weniger Fluglärm im Berliner
Süden. Usw. Es gibt also viele, die aus
ganz unterschiedlichen Gründen gemeinsam
für den Weiterbetrieb gestimmt haben.
Unglaubwürdige Politiker
Doch über eine Ursache wurde bisher zu
wenig gesprochen: der Verlust an Glaubwürdigkeit.
Die vielen, die dafür verantwortlich
sind, dass der BER nicht fertig wird und jeden
Tag rund 1 Million Euro Steuermittel verschlingt,
haben geglaubt, dass die Berliner
über den Immer-noch-nicht-fertig-Flughafen
BER zwar viele Witze machen, sich ansonsten
aber mit dem seit 2011 mehrfachen
Verschieben des Eröffnungstermins längst
abgefunden haben.
Doch immer mehr Berliner trauen den
Verantwortlichen gleich welcher Partei überhaupt
nicht mehr zu, den BER noch fertig zu
stellen. Und viele fürchten, dass er nach seiner
Fertigstellung zu klein ist. Noch viel mehr
Berliner glauben dem Senat nicht, dass es ein
Problem ist, wenn für die Sanierung und den
Weiterbetrieb von Tegel viele hundert Millionen
Euro aufgebracht werden müssen.
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Flughafen Tegel – wie lange noch? Foto: Florian Müller |
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Und das ist das größte Problem: Geld für
den Flughafenbau scheint unbegrenzt zur
Verfügung zu stehen, während andererseits
30 Millionen Euro für den wichtigen
S-Bahnhofsneubau Perleberger Brücke angeblich
nicht da sind, angemessene Bahnsteigdächer
bei Regional- und S-Bahnhöfen
angeblich nicht finanzierbar sind, für ein
Mindestmaß an Fahrgastinformation durch
dynamische Zugzielanzeiger auf den wenigen
noch fehlenden S-Bahnhöfen vermeintlich
das Geld fehlt, eine offizielle Freigabe
aller Bustüren zum Einstieg nicht möglich
sein soll, weil angeblich ein paar Millionen
Fahrgeldeinnahmen verloren gehen. Usw.
Doch für den Flughafen BER sind Mehrkosten
in Milliardenhöhe verfügbar.
Viele Menschen werden den Bogen noch
viel weiter schlagen. Ob sachlich berechtigt
oder nicht: Der BER hat vielen das Gefühl
gegeben, Geld ist immer da, wenn „die da
oben“ nur wollen.
Und wenn dann mal einige kluge Köpfe in
der Berliner SPD fragen, warum eigentlich
der BER immer größer geplant werden muss
und ob man das Geld nicht besser in eine
Verkehrspolitik stecken sollte, die eine Verlagerung
vom umweltschädlichen Flugverkehr
auf den umweltfreundlichen Schienenverkehr
fördert, dann werden diese klugen
Köpfe vom Regierenden Bürgermeister in
die Schranken gewiesen.
Apropos Regierender Bürgermeister: Michael
Müllers Vorgänger Klaus Wowereit hat
mit seinen Entscheidungen nach dem geplatzten
zweiten Eröffnungstermin im Juni
2012 maßgeblich zu den BER-Verzögerungen
und Mehrkosten beigetragen, indem
er fast alle Verantwortlichen mitsamt ihrem
wertvollen Wissen vor die Tür setzte.
Es gibt also viele, sehr viele Motive, warum
eine Mehrheit für die Offenhaltung
von Tegel gestimmt hat. Dennoch muss
der Flugverkehr in Schönefeld gebündelt
werden und aus Tegel ein attraktives neues
Stadtquartier werden. Und wenn dann
der Flugverkehr endlich nicht mehr direkt
oder indirekt steuerlich gefördert wird, sondern
Flüge so viel kosten, wie sie ohne die
Wettbewerbsverzerrungen gegenüber dem
Schienenverkehr kosten müssen, dann werden
die Kapazitäten des neuen Flughafens
problemlos ausreichen – ohne weitere Milliarden
für Erweiterungen.
Berliner Fahrgastverband IGEB
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