Am 5. Oktober 2017 wurde der öffentliche
Verkehr in Berlin in einem Umfang eingestellt,
wie es die Fahrgäste seit dem Zweiten
Weltkrieg noch nicht erlebt hatten.
Aufgrund zahlreicher umgestürzter Bäume
waren fast alle Fern-, Regional- und S-Bahn-Strecken blockiert, aber auch oberirdische
U-Bahn-Strecken, Straßenbahn- und Buslinien.
Hunderttausende waren oft tagelang
betroffen. Das Orkantief „Xavier“ war eines
der stärksten in den letzten Jahrzehnten
und kam zu einer Zeit, als die meisten Bäume
noch Laub trugen, weshalb besonders
viele umstürzten. Aber all das rechtfertigte
nicht das Ausmaß der Verkehrseinschränkungen
und Informationsausfälle, kritisierte
der Berliner Fahrgastverband IGEB am 8.
Oktober in einem Pressedienst und schrieb:
Vollständige Busverkehrseinstellung
unverhältnismäßig
Die vollständige Einstellung des BVG-Busverkehrs
war unverhältnismäßig und falsch.
Durch das Aussetzen der Fahrgäste „auf freier
Strecke“ waren sie viel mehr gefährdet,
als wenn sie im Bus geblieben wären. Der
Systemvorteil des Busses gegenüber den
Schienenverkehrsmitteln, einen blockierten
Abschnitt zu umfahren, wurde nicht genutzt.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert,
dass die Fehlentscheidung, den BVG-Busverkehr
vollständig einzustellen, gründlich
ausgewertet wird und in den nächsten
Nahverkehrsplan des Senats Vorgaben für
das Krisenmanagement der BVG bei künftigen
Unwettern aufgenommen werden.
Fahrgastinformation
wieder zusammengebrochen
Bei der Fahrgastinformation hat sich wie
bei fast allen Störungen gezeigt, dass die
digitale Fahrgastinformation derzeit ein
Schön-Wetter-System ist, das bei großen
Störungen falsche, unsinnige oder nichtssagende
Informationen gibt oder vollständig
zusammenbricht. So zeigte „Daisy“ bei der
BVG Fahrten an, die schon lange nicht mehr
aktuell waren, BVG-Twitter war ein vollkommener
Reinfall und stieg irgendwann völlig
aus, auf den Webseiten von Deutscher Bahn,
S-Bahn Berlin, BVG und VBB gab es oft keine
aktuellen, sich widersprechende oder unübersichtliche
Informationen. Einzige überwiegend
positive Ausnahme: S-Bahn Twitter.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert,
dass die Aufgabenträger des öffentlichen
Verkehrs in den Verträgen mit den
Verkehrsunternehmen Qualitätsstandards
für die Fahrgastinformation im Störungsfall
festlegen. Das betrifft das Internet ebenso
wie die Information auf den Bahnhöfen und
an den Haltestellen sowie in den Fahrzeugen.
Schienenersatzverkehr zu spät
Angesichts der Vielzahl umgestürzter Bäume
war schnell absehbar, dass es mehrere
Tage dauern wird, bis alle Fern-, Regionalund
S-Bahn-Strecken wieder befahren werden
können. Daher hätten sehr viel schneller
Busse im Schienenersatzverkehr eingesetzt
werden müssen. Während innerhalb von
Berlin ab Donnerstagabend oft ein Ausweichen
auf die BVG möglich war, waren viele
Kommunen in Brandenburg tagelang ohne
jegliche ÖV-Anbindung – ein unhaltbarer
Zustand.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert,
dass die Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs,
also die Länder Berlin
und Brandenburg, die Eisenbahnverkehrsunternehmen
zum Vorhalten bzw. Mieten
von einem Mindestangebot an Bussen und
Fahrern für den Ersatzverkehr bei unvorhersehbarer
Unterbrechung des Bahnverkehrs
verpflichten.
Grundsätzliches Umdenken erforderlich
Die Ereignisse des 5. Oktober 2017 haben
das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und die
Leistungsfähigkeit des Berliner Nahverkehrs
erheblich beschädigt. Die Politik und die
Verkehrsunternehmen müssen zeigen, dass
sie den Ernst der Lage erkannt haben und
alles dafür tun, dass sich solch ein Desaster
nicht wiederholt.
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Drei Tage nach dem Sturm: Die S-Bahn fährt wieder, die Fernbahn nach Cottbus ist noch gesperrt. Foto: Florian Müller (8. Oktober 2017 bei Eichwalde) |
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Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert,
den öffentlichen Nahverkehr baulich und organisatorisch
besser auf extreme Wetterlagen
vorzubereiten. Viel spricht dafür, dass
sich Starkregen wie im Sommer dieses Jahres
und extreme Windgeschwindigkeiten
wie am 5. Oktober als Folge des Klimawandels
häufen werden. In Fachkreisen ist deshalb
unstrittig, dass die Stadt der Zukunft
eine „resiliente“ Stadt sein muss, eine Stadt
also, die so gebaut und organisiert ist, dass
sie schwere Störungen ohne nachhaltige
Folgen übersteht. Hierbei kommt der Resilienz
des öffentlichen Nahverkehrs eine
besondere Bedeutung zu. Das betrifft den
Betrieb ebenso wie die Fahrgastinformation.
Stellungnahme der BVG
Als Reaktion auf den IGEB-Pressedienst
schrieb uns Torsten Mareck, BVG-Bereichsleiter
Omnibus, am 9. Oktober:
Der Fahrgastverband IGEB hat unsere
Entscheidung, den Busverkehr während des
Sturms Xavier einzustellen, bereits am Freitag
gegenüber mehreren Medien kritisiert. Am
Wochenende haben Sie noch einmal mit einer
Pressemitteilung nachgelegt. Wir sind – ehrlich
gesagt – mehr als verärgert über Ihre Äußerungen.
Die Entscheidung sei „unverhältnismäßig
und falsch“ gewesen, schreiben Sie. Um
im Tonfall zu bleiben: Für uns ist diese Aussage
schlicht unverantwortlich.
Zu den Fakten: Am Donnerstag waren vor 17
Uhr drei Busse des U 3-Ersatzverkehrs in Dahlem
durch umstürzende Bäume beschädigt
worden. Zum Glück kam dabei niemand zu
Schaden. Auf vielen anderen Linien blockierten
bereits Bäume die Fahrbahn, fielen Dachziegel
auf die Straßen, wirbelten Gegenstände
herum. Nach gründlicher und – das kann ich
Ihnen versichern – sehr gewissenhafter Abwägung der Situation entschied der Betriebsleiter
im Sinne der Fahrgäste und unserer Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter völlig zu Recht, dass
ein sicherer Betrieb in der gesamten Stadt
nicht mehr gewährleistet war.
Die Busfahrerinnen und -fahrer wurden über
die Leitstelle angewiesen, möglichst die nächste
sichere Haltestelle anzufahren und ihr Fahrzeug
dort abzustellen. Wo dies sicher möglich
war, wurde den Fahrgästen freigestellt, den Bus
zu verlassen oder das Ende des Sturms im Fahrzeug
abzuwarten. Davon machten aber nur
sehr, sehr wenige Fahrgäste Gebrauch.
Die gleiche Regelung galt übrigens auch
bei der Straßenbahn. Beides ist übrigens in der
ersten Leitstellenmeldung von 16.58 Uhr auch
dokumentiert. Lediglich vereinzelt, nämlich
dort, wo nach Einschätzung unserer sehr verantwortungsvollen
Fahrerinnen und Fahrer die
Situation vor Ort auf Dauer nicht sicher erschien,
wurden Fahrgäste aufgefordert, den Bus zu verlassen
und schnellstmöglich den Gefahrenbereich
zu verlassen. Auch das war im Sinne der
Sicherheit die einzig richtige Entscheidung.
Ihre Behauptung, dass es im Bus in jedem
Fall grundsätzlich sicherer gewesen wäre, ist
schlicht falsch. Wenn ein Baum auf einen Bus
stürzt, können 100 Menschen eingeklemmt,
schwer verletzt oder getötet werden. Zur
Wucht des Aufpralls, dem kein Auto- und auch
kein Busdach standhalten kann, kommt im Innenraum
die zusätzliche große Gefahr durch
herumfliegende Glassplitter.
Dass Sie sogar fordern, die Busse hätten doch
auf Umfahrungsstrecken für blockierte Linienrouten
langsam weiterfahren können, setzt der
Verantwortungslosigkeit die Krone auf. Auch
im Schritttempo kann ein auf die Windschutzscheibe
fallender, größerer Ast zu schlimmsten
Konsequenzen führen, in diesem Fall vor allem
für die Kollegin oder den Kollegen am Steuer.
Wir können uns übrigens sehr lebhaft die
Reaktion des Fahrgastverbandes und der Medien
vorstellen, wären in einem voll besetzten
Bus Dutzende Menschen zu Schaden gekommen,
weil er – wie Sie es fordern – ungeachtet
der Gefahren auf Schleichwegen unterwegs
war.
Sollen wir Leib und Leben unserer Kolleginnen
und Kollegen und unser Fahrgäste riskieren,
um in einer stadtweiten Ausnahmesituation
nicht für zwei Stunden den Busverkehr unterbrechen
zu müssen? Nein, Herr Tschepe, bei
allem Verständnis für die üblicherweise meist
konstruktive Kritik Ihres Verbandes, aber das
geht wirklich entschieden zu weit.
Wir stehen voll und ganz hinter den Entscheidungen.
Alle Kolleginnen und Kollegen,
die während des Sturms im Fahrdienst, in der
Leitstelle und im Betriebsleiterbüro in der Verantwortung
waren, haben mit großer Besonnenheit
und Professionalität diese extreme Situation
gemeistert und durch ihre Entscheidungen
sichergestellt, dass im Bereich der BVG eben
niemand ernstlich zu Schaden gekommen ist.
Dafür gebührt ihnen nicht unqualifizierte Kritik.
Dafür gebührt ihnen Respekt und Dank!
Und das gilt übrigens auch für die großartige
Leistung nach Ende des Sturms. Bereits
am frühen Donnerstagabend fuhren die ersten
Busse und Straßenbahnen wieder. Jede
einzelne Linie musste dafür auf mögliche Hindernisse
überprüft und nötigenfalls angepasst
werden. Die U-Bahn war zu diesem Zeitpunkt
schon wieder auf allen Strecken mit voller
Leistung unterwegs und sorgte dafür, dass
zigtausende Berliner nach Hause kamen. Und
auch in der folgenden Nacht gab das Team
der BVG weiterhin alles, um den Berlinerinnen
und Berlinern am nächsten Morgen einen
(fast) normalen Verkehr anbieten zu können.
Neben den Aufräumarbeiten auf den Straßen,
für die wir uns ausdrücklich vor allem bei der
Berliner Feuerwehr und dem THW bedanken,
musste unter anderem ein gutes Dutzend
Oberleitungsschäden behoben werden – eine
bisher einmalige Situation, die mit enormem
Engagement aller Beteiligten hervorragend
gemeistert wurde. Am Freitagmorgen waren
alle Linien planmäßig unterwegs.
Ich spreche hier auch im Namen meiner Kolleginnen
und Kollegen bei der BVG. Wir hätten
vom Fahrgastverband mehr Respekt für unsere
Leistungen erwartet.
IGEB-Kommentar zum BVG-Schreiben
Dass Herr Mareck sehr emotional reagierte
ist verständlich, denn es war eine extreme
Situation mit großen Belastungen. Das gilt
aber nicht nur für die BVG und ihre Mitarbeiter,
sondern auch für die Fahrgäste.
Wenn Herr Mareck schreibt: „Ihre Behauptung,
dass es im Bus in jedem Fall
grundsätzlich sicherer gewesen wäre, ist
schlicht falsch”, so ist das falsch. Denn jeder
Bus hätte an einer Stelle halten können, an
der die Gefahr gering ist, dass er von einem
Baum oder Baugerüst getroffen wird. Stattdessen
haben viele Busfahrer die Fahrgäste
aufgefordert auszusteigen, und sie erst damit
großen Gefahren ausgesetzt. Denn nun
mussten sie oft kilometerweit durch die
Stadt laufen, bedroht durch Äste, Dachziegel,
Blumentöpfe und andere Kleinteile. Wer
konnte nahm sich ein Taxi, denn diese hatten
den Betrieb nicht vollständig eingestellt.
Auch andere Busbetriebe hatten differenzierter
reagiert als die BVG. Im Übrigen war
auch der BVG-Busverkehr nicht vollständig eingestellt
– nur der Fahrgastverkehr. Viele Busse
fuhren nach dem Aussetzen der Fahrgäste weiter.
Übrigens: Es ist uns kein Fall bekannt, dass
ein BVG-Straßenbahnfahrer seine Fahrgäste
zum Verlassen des Zuges aufgefordert hatte.
Doch nun muss der Blick vor allem in die
Zukunft gerichtet werden. Es ist jetzt Aufgabe
der BVG und der Senatsverkehrsverwaltung,
sich Gedanken zu machen, wie die
BVG künftig den Nöten ihrer Mitarbeiter und
ihrer Fahrgäste gleichermaßen am ehesten
gerecht werden kann. Wie dringend das ist,
zeigte sich bereits beim nächsten, nicht ganz
so schweren Sturm am 29. Oktober. Es spricht
vieles dafür, dass sich im Zuge des Klimawandels
extreme Wetterlagen häufen werden.
Darauf muss sich die BVG sehr viel besser einstellen
– ebenso wie die Deutsche Bahn und
alle anderen Verkehrsunternehmen.
Berliner Fahrgastverband IGEB
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