Verbot von Rolltreppen? Wieso das
denn? Ach das wissen Sie nicht? Es fing in
den 1980er Jahren an, zunächst nur bei der
Eisenbahn. Es war eine wilde, gefährliche
Zeit damals. Bei manchen Zügen mussten
die Kunden vor der Abfahrt selbst die Türen
schließen. Das ging natürlich nur, weil man
da noch von draußen ran kam. Die schönen
neuen Glaswände an den Bahnsteigkanten
gab es damals ja noch nicht. Da konnten die
Bahngesellschaften flexibel Züge ganz verschiedener
Bauarten auf demselben Gleis
einsetzen, je nach Bedarf. Die schön geordnete
Welt von heute, wo die Zugtüren immer
zu den Bahnsteigtüren passen müssen, war
noch weit weg.
Und die Fenster erst, das können Sie sich
gar nicht vorstellen, die konnte man
aufmachen. Jederzeit, sogar während
der Fahrt!
Das ist ja unglaublich, da müssen ja
jeden Tag hunderte zu Tode gekommen
sein. Wenn ich mir das vorstelle,
hunderte armer Bürger halten, vom
Staat völlig ungeschützt, den Kopf
aus dem Fenster, und zack, kommt
der nächste Brückenpfeiler – schrecklich.
Wie gut, dass es nicht mehr lange
dauern wird, bis die Züge gar keine
Fenster mehr benötigen. Denn dank
immer neuer Schallschutzwände gibt
es für die Fahrgäste entlang der Strecken
ohnehin nichts mehr zu sehen.
Und wie viele sind wohl täglich
umgekommen, weil sie schon beim
Ausrollen des Zuges auf den Bahnsteig
steigen konnten? Da hätten doch die
Bahngesellschaften vor lauter Klagen und
Schmerzensgeldern den Betrieb einstellen
müssen!
Sie werden staunen, das war nicht der
Fall. Im Gegenteil, wenn es einmal zu einem
Prozess kam, dann bekamen die Selbstüberschätzer
nichts. Die Gerichte argumentierten,
dass die Hausordnungen und Benutzungsbestimmungen
der Eisenbahn so ein
Verhalten verbieten. Also handelten die Betroffenen
rechtswidrig, wenn sie dagegen
verstießen, und gingen leer aus. Im Übrigen
passierte auch ganz selten etwas, denn die
meisten Menschen lernten damals noch von
ihren Eltern, auf sich selbst aufzupassen.
So bildeten sich zum Beispiel bei der Berliner
S-Bahn klare Aussteiger-Reihenfolgen:
die ersten an der Tür waren die Sportlichen,
die es eilig hatten und schon ausstiegen,
während der Zug noch rollte. Wer dagegen
Zeit hatte oder sich erst heraus traute, wenn
der Zug schon stand, der stellte sich eben
weiter hinten an. Wenn bei den ersten etwas
schief ging, dann auf eigenes Risiko.
Das muss ja schrecklich gewesen sein,
wenn der Gesetzgeber sich nicht mit Verboten
um meine Gesundheit kümmert. Wer
kann denn schon den ganzen Tag auf sich
selbst aufpassen?
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Die Rolltreppe: Nach 100 Jahren plötzlich lebensgefährlich? Foto: Florian Müller |
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Da haben Sie Recht, und darum schritt der
Gesetzgeber auch dagegen ein. Türen durften
sich fortan nur noch beim Stillstand des
Zuges öffnen lassen, Fenster zum Öffnen
wurden abgeschafft oder auf kleine Notbelüftungen
reduziert und dafür Klimaanlagen
in die Züge eingebaut. Später kamen dann
die Glaswände an den Bahnsteigkanten hinzu,
so dass Selbstmörder künftig nur noch
zwischen den Stationen vor den Zug springen
konnten.
Durch die verzögerte Türöffnung erhöhten
sich natürlich die Standzeiten in den
Bahnhöfen, so dass die Bahnen schneller
werden mussten, um nicht langsamer zu
werden. Die höhere Antriebsleistung und
die Klimatisierung verbrauchten selbstverständlich
mehr Strom – in Zeiten der ökologischen
Politik fiel das aber niemandem auf.
Der notwendige Streckenausbau für höhere
Geschwindigkeiten kostete eine Menge
Geld, nur um die Sekunden zu sparen, die
man mit der alten Türtechnik gratis gehabt
hätte. Auch das störte in Zeiten gut gefüllter
öffentlicher Kassen offenbar niemanden.
Ja und dann kamen die Warntöne dazu.
Stellen Sie sich vor, damals warben die öffentlichen
Verkehrsmittel noch damit, dass
man die Fahrt darin viel produktiver nutzen
konnte als im eigenen Auto, weil man nicht
selbst steuern musste. Man konnte zum Beispiel
im Zug lesen oder etwas schreiben und
sich darauf auch konzentrieren. Oder man
konnte nach anstrengender Arbeit auf seinem
Sitzplatz nach Hause ein Nickerchen
machen.
Heute fahren ja erstens die Autos auch
selbstständig und zweitens wird an jeder
Haltestelle der ganzen Stadt vorgespielt, wo
eine der 24 Türen am Zug zu finden ist. An
einem Endbahnhof, wo der Zug eine Viertelstunde
am Bahnsteig steht, kann das schon
laut werden. Deshalb haben damals auch
einige Fachleute vorgeschlagen, dass die
Sehbehinderten eine eigene Informationsquelle
bekommen, die über eine genormte
Schnittstelle vom Zug gespeist wird. Das war
für die wenigen Betroffenen damals aber zu
teuer, also wurde jede Tür mit zusätzlicher
Technik ausgestattet, was sich schließlich
als noch teurer herausstellte, aber da war es
schon zu spät.
Außerdem wurde damals von Experten
darauf hingewiesen, dass der Warnton nur
vor der Abfahrt des Zuges zu geben sei, um
die Aufmerksamkeit auf den wirklich gefährlichen
Vorgang (sie erinnern sich, noch keine
Bahnsteig-Glaswände) zu lenken. Die Türen
aller Züge waren ja schon damals, wie auch
beim Fahrstuhl, reversibel. Aber irgendein
Kindskopf in den Aufsichtsbehörden,
der wohl zuhause gerne mit Hupen
spielt, wollte einen Ton bei jedem
Türenschließen, auch wenn der Zug
noch nicht fährt.
Und es geht sogar noch verrückter:
Selbsternannte Unsicherheitsexperten
forderten sogar Warntöne beim
Türöffnen! Zwar war das Anlehnen
an die geschlossenen Türen schon
immer verboten und als gefährlich
gekennzeichnet, aber sicher ist sicher.
Unlogisch ist allerdings, dass die
neuen Elektroautos und Elektrofahrräder
keinen Krach erzeugen müssen,
um die Menschen am Straßenrand zu
warnen: Achtung, stehen bleiben.
Ja und nun kommt der Clou: Nach
Abschaffung der Türöffnung beim
ausrollenden Zug stellten die Sicherheitsbehörden
fest, dass ja auch beim Betreten
und Verlassen von Rolltreppen eine
relative Bewegung auszugleichen ist. Wenn
das bei der Bahn verboten ist, warum nicht
auch da? Und so kam es zum Verbot von Rolltreppen.
Noch Fragen?
Nein? Dann wollen wir jetzt auch mal einen
Nonsensvorschlag machen. Warum dürfen
die Schneeräumdienste auf den Bahnsteigen
eigentlich bei laufendem Bahnbetrieb
arbeiten? Was da alles passieren kann! Eine
Einweisung dieser Kräfte in die Gefahren des
Bahnbetriebs wäre natürlich möglich, aber
zu einfach. Viel sicherer wäre es doch, wenn
der Winter in Zukunft zwei Alternativen bietet:
Kein Zughalt, weil der Bahnsteig noch
nicht vom Schnee geräumt ist – Gefahr für
das Publikum! Oder kein Bahnverkehr, weil
der Bahnsteig gerade vom Schnee geräumt
wird – Gefahr für die Mitarbeiter! Sie denken:
„Unsinn!“ Wir sagen: „Abwarten!“
Berliner Fahrgastverband IGEB
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