Am 5. Februar 2018 war der Tag, an dem die Berliner Mauer genauso lange verschwunden
war, wie sie zuvor stand. Dennoch sind die Spuren der Teilung noch immer
unübersehbar, gerade bei der Straßenbahn. Obwohl Berlin das größte Straßenbahnnetz
Deutschlands hat, gibt es im einstigen West-Berlin erst 6,5 km. Das ist nur
wenig mehr als in der Gemeinde Woltersdorf.
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Die Senatsverkehrsverwaltung plant zurzeit die Straßenbahnneubaustrecke vom Berliner Hauptbahnhof zum U-Bahnhof Turmstraße – und so könnte die dortige Haltestelle aussehen. Grafik: Ing-Büro Dipl.-Ing. H. Vössing GmbH |
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Unter dem rot-rot-grünen Senat soll sich das
nun ändern. Die Agenda ist durchaus respektabel
und, da das erste Jahr dieser Stadtregierung
schon vergangen ist, ohne dass
ein einziger Planfeststellungsbeschluss gefasst
wurde, mittlerweile auch ambitioniert.
Zur Erinnerung: Ziel der Koalitionsvereinbarung
ist es, schon in der ersten Legislaturperiode
vier Bauvorhaben abzuschließen,
vier weitere anzufangen und nochmals vier
Strecken zu planen. Das ist zwar immer noch
möglich, aber Eile ist geboten.
Für zwei der vier bis 2021 zu realisierenden
Projekte gibt es nun wenigstens eingeleitete
Planfeststellungsverfahren: für die Anbindung
des Bahnhofs Ostkreuz (siehe Seite 7)
und für die Neubaustrecke vom Hauptbahnhof
zum U-Bahnhof Turmstraße. Für
das dritte Projekt Wissenschaftsstadt—Bf.
Schöneweide soll das Verfahren jetzt ebenfalls
eingeleitet werden. Das vierte Projekt,
der zweigleisige Ausbau der Straßenbahn
zum Bahnhof Mahlsdorf, ist kein Neubau im
eigentlichen Sinne, aber dennoch so im Verzug,
dass es bis 2021 nicht mehr umgesetzt
werden kann.
Turmstraße – die wichtigste der
ersten vier Netzergänzungen
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So soll die Straßenbahnhaltestelle am U-Bahnhof Turmstraße einmal aussehen. Bemerkenswert ist das Dach auf dem Bahnsteig. Grafik: Ing-Büro Dipl.-Ing. H. Vössing GmbH |
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Die Neubaustrecke Hauptbahnhof—U-Bf
Turmstraße mit der Anbindung von Moabit
an Berlin Mitte wird die am besten genutzte
werden. Eine von Anfang an im 5-Minuten-Takt fahrende Metrotram ist denn auch
das adäquate Ziel der Planung. Schon vom
Beginn der Trassenfindung bis zur jetzt
vorliegenden Detailplanung begleitete der
Berliner Fahrgastverband IGEB dieses Vorhaben
konstruktiv (siehe u. a. SIGNAL 3/1998
und 3/2013). Darum hat die IGEB sich auch
jetzt mit Anregungen für Verbesserungen
im Rahmen des gesetzlichen Verfahrens
eingebracht. Diese werden im Folgenden
vorgestellt.
Keine Totalsperrungen – das Netz
für Berlin muss flexibel werden!
Gerade im Innenstadtbereich ist die Straßenbahn
vielfältigen Behinderungen ausgesetzt,
die in Form polizeilicher Anordnungen
(wie beim Berlin-Marathon) sogar von den
Landesbeamten selbst kommen. In der Vergangenheit
reagierte die BVG darauf meist
mit einer Vogel-Strauß-Politik: statt aktiver
Gegenwehr wurde der Betrieb ersatzlos eingestellt
– und die Fahrgäste waren die Dummen.
Ein beliebtes „Argument“ von BVG und
Senat war die unflexible Netzgestaltung, die
mangels Weichen oder Wendeschleifen eine
enge Begrenzung des jeweils gesperrten Bereiches
unmöglich machte. Das jahrelange
Nichthandeln aller Verantwortlichen entlarvte
das öffentliche Bedauern über solche
Unannehmlichkeiten als Krokodilstränen.
Spätestens seitdem wieder Zweirichtungswagen
in großer Zahl verfügbar waren, war
der mangelnde Wille zu zeitgemäßem Verkehrsmanagement
offensichtlich (und wenn
dann doch einmal ein Gleiswechsel eingebaut
wurde, wie am Nordbahnhof, dann in
einer nicht kurzfristig nutzbaren Position).
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Hier ist derselbe Aufzug im Jahr 2018 wie im großen Bild oben zu sehen (vgl. auch Titelbild). Die Haltestelle in Mittellage wird gutes Umsteigen zwischen Straßenbahn und U-Bahn sichern. Foto: Florian Müller |
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Daher fordert die IGEB, dass die neue
Strecke nach Moabit die erste sein muss, die
auch bei plötzlichen Störungen im Umfeld
noch disponierbar bleibt. Wenn nicht, dann
wäre der schlechte Ruf einer unzuverlässigen
Straßenbahn eine schwere Hypothek für
alle weiteren Ausbaupläne des Netzes. Zu
diesem Zweck sollte mindestens ein Gleiswechsel
an der Haltestelle Hauptbahnhof
installiert werden, der sowohl bei Störungen
im östlich gelegenen Bestandsnetz einen
Inselbetrieb Hauptbahnhof—Turmstraße
zulässt als auch bei eventueller Sperrung
der Wendeschleife (weiträumige Blockumfahrung
über zwei Haltestellen in der Nähe
des Regierungsviertels) die Erreichbarkeit
des Hauptbahnhofs von Osten sichert. Um
beiden Zwecken zu genügen, wären zwei
Gleiswechsel (jeweils vor und hinter der
Haltestelle) angebracht.
Die Tram nicht in den Stau schicken –
eigene Fahrspuren sichern!
Das planerisch interessanteste Stück der
neuen Strecke liegt gleich hinter der Haltestelle
Hauptbahnhof, noch im Bereich
der heute schon genutzten Wendeschleife.
Die Bestandsstrecke verläuft hier eingleisig
Richtung Westen als Blockumfahrung zur
Straße Alt-Moabit.
Die Straße besteht in diesem Bereich aus
nur einer vierspurigen Fahrbahn, wobei die
beiden nördlichen Fahrstreifen für den Autoverkehr
Richtung Westen freigegeben sind,
der mittige davon wird von der Straßenbahn
lediglich in klassischer Weise mitgenutzt. In
die Gegenrichtung (also zum Hauptbahnhof
und Stadtzentrum hin) wurde wegen der
größeren Staugefahr eine separate Busspur
eingerichtet, die erst hinter der Zwischenhaltestelle
Lesser-Ury-Weg endet, um vor
dem letzten großen Kreuzungsbereich einen
zweispurigen Stauraum zu schaffen.
Und was planen Senat und BVG? Die Abschaffung
des Sonderfahrstreifens zusammen
mit der Einführung der Straßenbahn!
Die Tram soll nach deren Willen auch Richtung
Osten lediglich eine Autofahrspur
mitbenutzen und sich zusammen mit der
verbleibenden Buslinie 245 in den Stau stellen.
Die Pläne sehen einen LSA-gesicherten
Spurwechsel hinter der Haltestelle vor, der
durch die separate Phase zu Wartezeiten bei
Tram und Autos führen wird und danach soll
sich die Straßenbahn wie der Bus eine Spur
mit den Autos Richtung Hbf teilen. Durch
dieses schlechtest denkbare Design werden
sämtliche Verkehrsteilnehmer ausgebremst
– für einen Neubau eine Kunst.
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Die wichtige Haltestelle am Hauptbahnhof sollte immer aus beiden Richtungen anfahrbar sein, gerade auch bei Streckensperrungen – darum fordert die IGEB hier mindestens einen Gleiswechsel für die Straßenbahn. Foto: Florian Müller |
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Geplante Haltestelle am Gericht in Moabit; rechts am Fahrbahnrand die Bushaltestelle – schlechte Umsteigebeziehungen für Fahrten in derselben Richtung. Grafik: Ing-Büro Dipl.-Ing. H. Vössing GmbH |
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Rathenower Straße/Alt-Moabit: viel Platz für Autos, aber die Fahrgäste müssen mit einem Mittelbahnsteig auskommen. Immerhin gibt es in beiden Straßen eigene Bahnkörper für die Straßenbahn. Grafik: Ing-Büro Dipl.-Ing. H. Vössing GmbH |
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Der Fahrgastverband fordert: Sichert die
Busspur als künftigen ÖPNV-Fahrstreifen für
Bus und Tram und lasst beide dieselbe Haltestellen-Infrastruktur nutzen. Dazu muss
das neue Straßenbahngleis nicht unbedingt
wie die vorhandene Busspur an den Bordstein
gelegt werden, aber das wäre auch
eine Variante. Die andere Möglichkeit ist
die Anordnung der Kombispur auf der mittleren
Fahrbahn, so dass auch der Bus das
überfahrbare Haltestellenkap nutzen kann.
Dahinter sollte die Tram dann aber unbedingt
einen eigenen begrünten Bahnkörper
bekommen, während der Bus auf die Straße
wechseln muss.
Und noch ein Mangel fällt hier auf. Obwohl
zur Zeit des Baues dieser Wendeschleife
bis 2014 schon die ab 2022 geltenden
Anforderungen an Barrierefreiheit absehbar
waren, wurde beim Bau der Haltestelle
Lesser-Ury-Weg darauf keine Rücksicht genommen.
Und nun soll die bestehende Richtungshaltestelle
auch nicht umgebaut werden,
so dass dann nur eine Richtung behindertengerecht
ist. Wenn durch die offizielle
Planung zum Anschluss der Neubaustrecke
sowieso eine Sperrung der Endschleife nötig
wird, warum soll dann diese Gelegenheit
zur schnellen Verbesserung der Infrastruktur
ungenutzt bleiben?
… und immer an die Fahrgäste denken
Der weitere Trassenverlauf mit einem weitgehend
eigenen Bahnkörper in Straßenmitte,
meist als Rasengleis ausgeführt, ist
grundsätzlich schon mehrfach beschrieben
worden und auch nicht zu beanstanden. Allerdings
entstehen durch die dogmatische
Anordnung aller Haltestellen als Mittelbahnsteig
mehrere Nachteile für die Fahrgäste.
Der Straßenbahnkunde steht bei solchen
Haltestellen immer in der Mitte zwischen allen
Autofahrspuren ohne Rückzugsmöglichkeit
von Abgasen und Lärm, zu erleben z. B.
bei modernisierten Haltestellen im Ruhrgebiet
(Bochum, Essen, Mühlheim).
Auch der Wetterschutz ist bei Mittelbahnsteigen
nicht optimal, denn diese werden
meist, so wie auch an dieser Strecke,
nur aus einem Grund gebaut – um Platz zu
sparen. Also sind sie für beide Richtungen
nicht viel breiter als ein Seitenbahnsteig
für eine Richtung. Damit reicht der Platz
nicht, um Wartehäuschen mit Drei-Seiten-Wetterschutz aufzustellen, denn man kann
hier keine Bahnsteigrückseite zum Aufstellen
der Schutzbauten nutzen. Deshalb
ist zu befürchten, dass nur die einfachen
Mittelwände als Dachträger aufgestellt
werden, die bei entsprechender Windrichtung
wie ein Flugzeugleitwerk arbeiten. So
kommen zu Lärm und Abgasen noch Wind
und Regen dazu.
Schließlich erzwingen Mittelbahnsteige
immer getrennte Haltestellen von Bus und
Tram. Auch wenn beide in dieselbe Richtung
fahren, muss der Fahrgast sich entscheiden,
an welche Haltestelle er sich stellt. Das ist
gegenüber dem bestehenden reinen Busbetrieb
ein Rückschritt im Service. Bei der
jetzt geplanten Strecke trifft das insbesondere
auf die Haltestellen Lübecker Straße
Richtung Turmstraße und Alt Moabit / Rathenower
Straße Richtung Hauptbahnhof zu.
Für die Haltestelle Lesser-Ury-Weg Richtung
Hauptbahnhof wäre das Problem gelöst,
wenn die oben geforderte Planänderung
umgesetzt wird.
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Planung für die Turmstraße im Bereich Lübecker Straße (Haltestelle in rosa, Bildmitte). Die Bushaltestelle liegt etwa 75 m weiter östlich am nördlichen Fahrbahnrand. Richtung U-Bf Turmstraße (nach links) muss sich die Straßenbahn in die wartenden Linksabbieger einreihen, die hier wegen eines gerade im Bau befindlichen Einkaufszentrums (oben links in rot mit Tiefgarageneinfahrt) besonders zahlreich werden. Die Planung der Ampelphasen hat dieses Einkaufszentrums noch nicht einmal berücksichtigt! Plan: BPR Dipl.-Ing. Bernd F. Künne & Partner Beratende Ingenieure mbB |
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Die Invalidenstraße wird ab Alt-Moabit (links) ohne ÖPNV-Spur geplant, obwohl es dort heute eine Busspur gibt! Ist das nachhaltige Verkehrspolitik für die Innenstädte? Plan: BPR Dipl.-Ing. Bernd F. Künne & Partner Beratende Ingenieure mbB |
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Besonders die Haltestelle Lübecker Straße
muss hier angesprochen werden. Da
alle hier Richtung Westen verkehrenden
Straßenbahnen für mehrere Jahre an der
nächsten Haltestelle enden werden, ist für
die heute durchfahrenden Kunden nicht
nur einfach ein abschreckender Umsteigezwang
geplant, sondern zudem auch noch
ein solcher mit Überquerung einer vielbefahrenen
Hauptstraße. An der temporären
Endstelle U-Bahnhof Turmstraße lässt sich
dieser Mangel aber leider nicht beseitigen,
denn der geplante Mittelbahnsteig bietet
den besten Zugang zum schon vorhandenen
Aufzug zur U-Bahn. Also ist die davor liegende
Haltestelle Lübecker Straße die letzte
Möglichkeit, den Fahrgästen ein bequemes
Umsteigen zur Weiterfahrt in derselben
Richtung zu ermöglichen.
Einsichten für die nächsten Planungen
An den Plänen für diese Strecke ist sehr gut
erkennbar, dass sie noch unter dem Denken
der alten Verkehrsplanung des Senats
entstanden. Konflikte mit dem Autoverkehr
werden weitgehend vermieden, stattdessen
bekommen die Straßenbahnfahrgäste
schlechte Wartebedingungen und der ÖPNV
wird in den Autostau gestellt.
Gerade vor dem Hintergrund der nun auch
gerichtlich festgestellten Pflicht der Öffentlichen
Hand, für eine bessere Luftqualität den
Verkehr mit Verbrennungsmotoren zu reduzieren,
ist das nicht mehr nachvollziehbar.
Für die künftigen Netzerweiterungen auf
den anderen wichtigen Verkehrskorridoren
(Potsdamer Platz—Steglitz und Oberbaumbrücke—Hermannplatz) muss mehr getan
werden, um eine nachhaltige Flächenumnutzung
in Berlin zu erreichen. (af) IGEB Stadtverkehr
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