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Nur teure Mehrsystemloks und -triebzüge wie der Thalys können in mehreren Staaten fahren – ein großer Nachteil der Bahn gegenüber Bussen und Lkw. Foto: public domain |
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Volkswagen, Renault und Volvo
wären sicher schon daran
verzweifelt, hätten sie denselben
Anerkennungsmarathon
für ihre Autos und Lkws
zurückzulegen, dem sich die
europäische Bahnindustrie
bislang für ihre Loks, Triebzüge
und Waggons aussetzen
muss. Eine Lok, die beispielsweise
in Frankreich die technische
Zulassung erhalten
hat, muss in Deutschland
dennoch langwierige und
kostspielige Anerkennungsverfahren
durchlaufen – und
umgekehrt. Um eine zugelassene
Lokomotive in einem anderen
EU-Mitgliedsstaat einsetzen
zu dürfen, dauert es
oft drei Jahre und kann bis zu 10 Mio. Euro
kosten. Nicht erst im Europa der 27 ist das
eine Provokation – zum Nachteil der umweltfreundlichen
Schiene!
Mit dieser Praxis will die Europäische Union
nun Schluss machen. Mitgliedsstaaten
und Europäisches Parlament sprachen sich
Ende 2007 für die Richtlinie zur „Interoperabilität
des Eisenbahnsystems der EU“ aus.
Dabei geht es um die „Cross Acceptance“
genannte gegenseitige Anerkennung von
Schienenfahrzeugen aller EU-Mitgliedsstaaten.
In Zukunft gilt die Neuzulassung
eines Schienenfahrzeugs in einem Land
für alle 27 Staaten der EU – es sei denn,
innerhalb von drei Monaten erhebt ein
Mitgliedsstaat Einspruch und begründet,
warum ein Betrieb aus Sicherheitsgründen
nicht möglich ist. Aber weder die Farbe
eines Feuerlöschers noch die Größe des
Seitenspiegels können in Zukunft den EUweiten
Einsatz verhindern.
Gestern musste der Hersteller in mühseliger
Kleinarbeit die Bedenkenlosigkeit beweisen,
morgen müssen eventuelle Sicherheitsbedenken
nachvollziehbar artikuliert
werden. Ob diese dann berechtigt sind,
entscheidet die in Frankreich sitzende
Europäische Eisenbahnagentur (European
Railway Agency – ERA), deren Kompetenz
erweitert wird. Ist die Drei-Monatsfrist
ohne Einspruch verstrichen, gilt die Zulassung
für das gesamte Eisenbahn-Netz der
EU. Dadurch können Schienenfahrzeuge
in größerer Zahl hergestellt, ihre Kosten
gesenkt werden.
Bremserhäuschen
Eisenbahn-Bundesamt
Insbesondere das Deutsche Eisenbahn-
Bundesamt (EBA) hatte sich bis zum Schluss
gegen die Beschränkung seiner Kompetenzen
gewehrt. Es ist der Hartnäckigkeit
aller Fraktionen zu verdanken, dass ein
tragfähiger Kompromiss gefunden und der
Bericht nun im Einvernehmen und in erster
Lesung von Kommission, Rat und Parlament
verabschiedet werden kann. In Kraft
treten soll die Richtlinie im Sommer 2008.
Ab dann haben die EU-Mitgliedsstaaten
zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales
Recht umzusetzen.
Neuer Flickenteppich bei Signalen?
Während bei den Schienenfahrzeugen
damit endlich europäische Pfade betreten
werden, droht bei den Signal- und Sicherheitssystemen
auf Europas Schienennetz
ein neuer Flickenteppich – entgegen aller
Beschlüsse und Bemühungen des Europäischen
Parlamentes. Dies hatte 2006 mit
großer Mehrheit meinen Bericht beschlossen,
der den Aufbau eines EU-weit einheitlichen
Signal- und Sicherheitssystems
zum Ziel hat. European
Rail Traffic Management
Systems, kurz ERTMS, heißt
die neue digitale Technik, die
aus dem Flickenteppich von
mehr als 20 verschiedenen
Signalsystemen in Europa ein
einheitliches Zugsicherungs-/
Zugsteuerungs- und Signalgebungssystem
schaffen soll
(siehe SIGNAL 3/2006). Mit
den europäischen Bemühungen
für ERTMS sollte vor allem
verhindert werden, dass beim
Übergang vom herkömmlichen
System der Signalmasten
hin zum digitalen Zeitalter
erneut unterschiedliche Standards
geschaffen werden.
Derzeit wird vielerorts in
Europa ERTMS eingeführt, allerdings in unterschiedlichen
Standards und Versionen.
Wie bei Computersoftware kann es dann
auch hier geschehen, dass Signalsystem
und Züge nicht zueinander passen. In Italien
und den Niederlanden können moderne
ERTMS-taugliche Loks nicht eingesetzt werden,
weil die beiden Standards 2.2 und 2.3
nicht kompatibel sind. Bei der Modernisierung
des norditalienischen Eisenbahnnetzes
will man deswegen nun auf das alte landeseigene
System setzen – und damit auf die
Fortsetzung des Flickenteppichs auf hohem
technischen Niveau.
Bereits jetzt ist die Existenz von mehr als
20 unterschiedlichen Signalgebungs- und
Geschwindigkeitsüberwachungssystemen
in der EU angesichts eines gemeinsamen
Binnenmarktes mit wachsenden Verkehrsströmen
alles andere als zeitgemäß. Lediglich
teure Mehrsystemlokomotiven können
diese Grenzen überwinden – wie etwa der
Thalys zwischen Deutschland, Frankreich,
Belgien und den Niederlanden. Für alle konventionellen
Züge, vor allem im Güterverkehr,
führt die Situation zu aufwendigen und
zeitraubenden Lok- und Personalwechseln.
Auf meine Initiative hin hat der Verkehrsausschuss
des Europäischen Parlamentes
den Generaldirektor Energie und Verkehr,
Matthias Ruete, den EU-Koordinator für die
Entwicklung von ERTMS, Karel Vinck, und
den Präsidenten der Europäischen Eisenbahnbehörde,
Marcel Verslype, zu einem
Gespräch eingeladen. Denn noch können
milliardenschwere Fehlentwicklungen bei
der Modernisierung des Eisenbahnnetzes
vermieden werden. Das wachsame EUParlament
wird darauf achten, dass das
gelingt. Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament
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