Nach drei Monaten, in denen die Gewerkschaft
Verdi die BVG mehrfach bestreikt hat,
gab es Anfang Mai nun endlich eine Einigung.
Doch der Streik wird lange nachwirken. Zum
einen zeichnet sich schon jetzt ab, dass Finanzsenator
und BVG versuchen werden, damit
die nächste Fahrpreiserhöhung zu rechtfertigen.
Zum anderen hat die BVG Ansehen
und Fahrgäste verloren.
Für einen Fahrgastverband wie die IGEB ist
ein solcher Streik ein GAU. Ein Teil der Fahrgäste,
insbesondere die gewerkschaftlich organisierten,
erwartet Zurückhaltung und verweist
auf das hohe Gut des Streikrechts. Der
andere Teil erlebt den Streik als persönliche
Katastrophe und erwartet vom Fahrgastverband,
dass er die Belange der Fahrgäste mit
allem Nachdruck verteidigt. Das Leserforum
auf den Seite 16 und 17 dokumentiert exemplarisch
die in Berlin geführte sehr kontroverse
Diskussion.
Nie zuvor erhielt die IGEB so viele Anrufe
und E-Mails von Fahrgästen und Anfragen
von Journalisten, wie während dieses Streiks.
Sich nicht zu äußern, war unmöglich, aber
jede Äußerung erzeugte Unmut auf der einen
oder anderen Seite.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB hat sich
entschlossen, wie bei früheren Streiks und
wie bereits beim Warnstreik Anfang Februar
(siehe SIGNAL 1/2008) einerseits konsequent
das Recht auf Streik zu verteidigen, andererseits
aber die Härten, die allein die Fahrgäste
treffen und keinen Arbeitgeber beeindrucken
oder gar treffen, anzuprangern.
Vermeidbare Härten
Nach dem überfallartigen Warnstreik Anfang
Februar war Verdi unter anderem wegen der
kurzen Vorwarnzeit heftig kritisiert worden.
Die daraufhin gegebene Zusage, die Fahrgäste
rechtzeitiger zu informieren, wurde
wiederholt gebrochen. Zudem sah sich Verdi
durch ein Gerichtsurteil im Recht, ohne lange
Vorwarnung streiken zu dürfen. Doch nicht
alles, was rechtmäßig ist, ist auch richtig und
angemessen. Das Verständnis der Berliner für
die Streiks sank kontinuierlich.
Unverständlich war auch das Blockieren
der Bauarbeiten auf der U-Bahn-Linie 3 im
Abschnitt zwischen Fehrbelliner Platz und
Breitenbachplatz. Der Streik hätte sogar die
Chance geboten, dass die Firmen ihre Arbeit
beschleunigt fortsetzen können. Stattdessen
verlängerte sich die Streckenunterbrechung
mit Schienenersatzverkehr um fast drei Wochen
bis zum 18. April und betraf damit die
Studierenden der FU, denen die BVG den SEV
während der Vorlesungszeit eigentlich ersparen
wollte.
Besonders dreist war, dass Verdi nach erfolgreichem
Abschluss der Tarifverhandlungen
am Freitagabend (2. Mai) den Streik in
den Werkstätten noch bis zum Sonntag und
beim Busverkehr bis zum Montagmorgen
fortsetzte. 56 Stunden Streikfortsetzung
nach einer Einigung dürften einmalig sein.
Die Begründung für diese Streikverlängerung
war so dünn, dass sie selbst vielen BVGern
peinlich war. Zunächst behauptete Verdi,
dass durch den Werkstättenstreik nicht genügend
fahrtüchtige Busse zur Verfügung
stünden. Für den Wochenendverkehr reichte
die Zahl jedoch nachweislich aus. Daraufhin
behauptete Verdi, man wolle die Busfahrer
davor schützen, von Fahrgästen beschimpft
und bespuckt zu werden – als ob die wenigen
Personen, die sich zu solchen Taten hinreißen
lassen, am Montag milder gestimmt wären
als am Sonntag.
Versagen des BVG-Vorstands
Dass bei der Einigung mit Verdi nicht auch
eine sofortige Einstellung des Streiks vereinbart
wurde, ist aber auch eines von vielen Beispielen
für das Versagen des BVG-Vorstands.
Noch schmerzlicher haben das die arbeitswilligen
BVGer erlebt, denen der Vorstand
keine Möglichkeit zum Arbeiten und Geld
verdienen sicherte. Auch die Betreiber von Kiosken
auf den U-Bahnhöfen bekamen keinen
Zugang und konnten somit ihre verderbliche
Ware nicht sichern.
Betroffen war außerdem das private Busunternehmen
ABUS, das im Auftrag der BVG
fährt. Der BVG-Vorstand hatte im März geduldet,
dass auf dem Busbetriebshof Britz die
Zufahrt blockiert wurde, obwohl ABUS dort
Stellflächen und Werkstattkapazitäten angemietet
hat.
Die Liste für unverständliche Härten auf
Seiten von Verdi und unverständliche Zurückhaltung
seitens des BVG-Vorstands ließe
sich noch lange fortsetzen. Symptomatisch
ist, dass beide Seiten sich zwar wenig um
Fahrgastbelange kümmerten, aber eine
Notdienstvereinbarung abschlossen, um die
Opernaufführungen im noch nicht genutzten
U-Bahnhof Bundestag abzusichern.
Konsequenz: Mindestangebot sichern
Da es 2007 bei dem Streik bei der Deutschen
Bahn und jetzt bei der BVG offensichtlich nicht
nur um Löhne und Arbeitsbedingungen der
Beschäftigten ging, sondern auch um einen
Machtkampf zwischen den Gewerkschaften
– bei der DB GDL kontra Transnet/GDBA und
bei der BVG Verdi kontra GDL – muss man
fürchten, dass auch künftig mit einer bisher
in Deutschland kaum gekannten Härte gestreikt
wird. Daher darf sich die Politik jetzt
nicht mit dem Erreichten zufrieden geben.
Die nächsten Streiks kommen bestimmt.
Deshalb fordert der Berliner Fahrgastverband
IGEB von der deutschen Politik gesetzliche
oder ggf. vertragliche Regelungen, in
denen ein Mindestangebot an öffentlichem
Verkehr und eine umfassende Fahrgastinformation
auch bei Streiks verbindlich festgelegt
werden!
Andere Länder haben die Notwendigkeit
schon erkannt und gehandelt:
- In Italien sind Bahnen, die auch bei Streiks
immer verkehren, bereits im Kursbuch abgedruckt
- In Frankreich hat die Regierung im letzten
Jahr ein Mindestangebot bei Streiks im
öffentlichen Nahverkehr gesetzlich festgeschrieben.
Einzelne Städte, so z. B. Nancy,
hatten bereits vorher örtliche Vereinbarungen
für ein Mindestangebot bei Streiks
abgeschlossen.
Dringend erforderlich ist jetzt aber auch Versöhnungsarbeit.
Weder „die“ BVGer noch „die“
Gewerkschafter sind eine homogene Gruppe,
die rücksichtslos ihre Interessen verfolgt. Das
wissen auch die besonders geschädigten
Käufer von Jahreskarten – und erwarten von
der BVG dennoch mehr als schöne Worte.
Die Gefahr, dass ein Teil der auf S-Bahn, Auto
oder Fahrrad abgewanderten BVG-Fahrgäste
dem Unternehmen dauerhaft verloren geht,
darf nicht unterschätzt werden. Viele sind in
den Streiktagen erstaunlich gut ohne die BVG
ausgekommen. Berlin ist keineswegs „lahm
gelegt“ gewesen. Das sollte auch als Warnsignal
im Hinblick auf Fahrpreiserhöhungen
verstanden werden.
Deshalb muss die BVG nun dringend daran
arbeiten, ihren Ruf als überwiegend zuverlässiges
Verkehrsunternehmen zurück zu gewinnen.
Die beste Ausgangsbedingung dafür hat
die U-Bahn, denn sie fuhr im April trotz Bestreikung
der Werkstätten erstaunlich zuverlässig.
Nicht vergessen werden darf in einer
Streikbilanz, dass viele alte und behinderte
Fahrgäste wärend des Ausstands in ihrem
Alltag massiv eingeschränkt wurden, weil
sie ihr engstes Wohnumfeld ohne die BVG
nicht mehr verlassen konnten. Sie mussten
schmerzhaft erfahren, was es bedeutet, wenn
öffentlicher Verkehr als Teil der städtischen
Daseinsvorsorge nicht mehr existiert. Berliner Fahrgastverband IGEB
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