Zunächst ein Dank an das brandenburgische
Ministerium: Mit der Veröffentlichung
beider Untersuchungen im Internet und
mit einer Anhörung zahlreicher Beteiligter
einschließlich Fahrgastverbänden hat die
brandenburgische Landesregierung Maßstäbe
gesetzt, von denen das benachbarte
Berlin noch weit entfernt ist. In der Bundeshauptstadt
wird Verkehrsplanung oft noch
so geheim gehalten, wie andernorts nur die
Arbeit von Militärs oder Nachrichtendiensten.
Von den zahlreichen Nutzen-Kosten-
Untersuchungen wurde bisher keine einzige
veröffentlicht.
Die Anhörung am 21. April in Potsdam
endete mit der Aufforderung, die Bewertung
beider Gutachten auch noch einmal
schriftlich vorzulegen. Das wird der Berliner
Fahrgastverband IGEB natürlich tun und
auch im SIGNAL dokumentieren. Vor einer
ins Detail gehenden Analyse kann jedoch
schon ein erstes Fazit gezogen werden.
Nicht mit Landesnahverkehrsplan abgestimmt
Seit Januar 2008 verfügt Brandenburg
über einen neuen Landesnahverkehrsplan
mit einem Linienkonzept für das Jahr 2012
und einem vorläufigen Konzept für das
Jahr 2020. Doch beiden Nutzen-Kosten-
Untersuchungen liegt weder das heute
befahrene noch das gemäß Landesnahverkehrsplan
vorgesehene Liniennetz zugrunde,
sondern
ein Netz mit einer nicht
nachvollziehbaren Mischung aus früherem
Ist-Zustand und Planungsannahmen. Da
auf beide Nutzen-Kosten-Ergebnisse seit
Jahren gewartet wurde, wäre es nun auf
ein paar Monate Verzug auch nicht mehr
angekommen, um die aktuelle Landesplanung
in die Gutachten einfließen zu lassen.
Dass das an den Ergebnissen wenig geändert
hätte, mag stimmen, ist aber dennoch
keine überzeugende Entschuldigung für
das nicht verzahnte Nebeneinander zusammenhängender
Planungen.
Busnetzanpassungen
Ob und wie das Busnetz im Umfeld der
untersuchten Schienenstrecken verändert
wird, kann erhebliche Auswirkungen auf
das Untersuchungsergebnis haben. Es ist
deshalb verwunderlich, dass in Spandau
mit umfangreichen Umstrukturierungen
z. B. bei der Buslinie M 37 versucht wurde,
Fahrgäste auf die S-Bahn zu lenken,
während bei der Stammbahn Busnetzanpassungen
offensichtlich nicht betrachtet
wurden und sogar ein sich aufdrängendes
Einsparpotenzial bei den Verstärkerfahrten
der Buslinie 620 zum Europarc Dreilinden
unberücksichtigt blieb.
Sinnvolle Varianten nicht untersucht
In beiden Untersuchungen ist nicht erkennbar,
dass auf Zwischenergebnisse angemessen
reagiert wurde und die Untersuchungsvarianten
daraufhin strukturell verändert
oder ergänzt wurden. Einzige Ausnahme ist,
dass bei Falkensee auf Initiative des Landes
Brandenburg noch eine Variante gerechnet
wurde, in der die Regionalbahn zwischen
Nauen und Falkensee im Berufsverkehr bis
Berlin-Charlottenburg geführt wurde.
Aber wenn sich in den Modellrechnungen
zeigt, dass für viele Falkenseer mit dem
Wegfall von Regionalverkehrsangeboten
zugunsten der S-Bahn der öffentliche Verkehr
unattraktiver wird, während andererseits
viele Spandauer von einer S-Bahn
erheblich profitieren, dann muss das Anlass
sein, Varianten zu entwickeln, die die
Bedürfnisse von Falkenseer und Spandauer
Fahrgästen gleichermaßen berücksichtigen.
Weil das nicht geschah, kann der Bund
nun erklären, eine Variante, bei der es zu
Verschlechterungen für einen Teil der Fahrgäste
komme, werde er nicht finanzieren.
Bei der Stammbahn ist die Situation ähnlich.
Weil die Kosten für den Wiederaufbau
eines Regionalverkehrsgleises auf der Wannseebahn
zwischen Zehlendorf und Potsdamer
Platz sehr hoch sind, drückt das auf den
gesamten Nutzen-Kosten-Faktor. Warum
wurde in dieser Situation nicht eine Variante
betrachtet, die S-Bahn von Zehlendorf nach
Südwesten zu führen, deren Infrastruktur
nördlich von Zehlendorf vorhanden ist?
Gutachten als Beschäftigungstherapie?
In den Diskussionen über die Gutachten
drängte sich wiederholt der Verdacht auf,
dass es unerheblich war, wie die Ergebnisse
aussehen. Immer wieder wurde darauf verwiesen,
dass für eine Bestellung der zusätzlichen
Leistungen weder in Brandenburg
noch in Berlin Gelder zur Verfügung gestellt
werden könnten. Statt „könnten“ muss
es allerdings „sollen“ heißen, denn beide
Länder geben ihre Regionalisierungsmittel
keineswegs vollständig für SPNV-Bestellungen
aus. Unbeschadet dessen stellt sich
die Frage, warum teure Nutzen-Kosten-Untersuchungen
in Auftrag gegeben wurden,
wenn man ohnehin nichts verändern will?
Und wie wollen die Länder Berlin und Brandenburg
erreichen, dass der wachsende
Stadt-Umland-Verkehr zu einem möglichst
großen Anteil auf der Schiene stattfindet,
wenn sie nichts für eine Verbesserung des
Angebots unternehmen wollen?
Die deutschlandpolitische Dimension
Unmittelbar nach dem Mauerfall wurden
sehr schnell die Straßen zwischen West-
Berlin und Ost-Berlin sowie zwischen West-
Berlin und Brandenburg wiederaufgebaut.
Nicht ganz so schnell erfolgten die Lückenschlüsse
im BVG-Netz, aber noch vor
der Jahrtausendwende war zumindest das
U-Bahn-Netz vollständig wiederhergestellt.
Sehr viel langsamer erfolgte die Schließung
der als Folge des Mauerbaus seit 1961
vorhandenen Lücken im S-Bahn- und Regionalverkehrsnetz.
Alle Strecken, die nicht in
den 90er Jahren in den Zeiten der Hochstimmung
nach dem Mauerfall wiederaufgebaut
wurden, liegen heute noch brach und werden
umfänglichen Prüfungen unterzogen,
die die Ziele der deutschen Wiedervereinigung
vollkommen außer Acht lassen.
Zwischen dem einstigen West-Berlin und
Brandenburg wächst auf der Schiene noch
immer nicht zusammen, was zusammen
gehört. Die Folgen der deutschen Teilung
und des Mauerbaus werden somit für die
Fahrgäste zur Belastung auf Dauer.
Wer zu spät kommt…
Bereits eine erste Analyse der Nutzen-
Kosten-Untersuchungen zur S-Bahn nach
Falkensee und zur Potsdamer Stammbahn
zeigt, dass die für das Ergebnis so wichtigen
Rahmensetzungen voller Merkwürdigkeiten
stecken. Aber viel unverständlicher
ist, dass der politische Wille zur Überwindung
der Folgen der deutschen Teilung
abhanden gekommen ist und die Strecken
verloren zu gehen drohen, die nicht zu
denen gehörten, die in den ersten Jahren
nach dem Mauerfall ohne jede Prüfung
wiederaufgebaut wurden. Offensichtlich
gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft der
Bundesverkehrsminister. Aber ist Minister
Tiefensee nicht auch für den „Aufbau Ost“
zuständig?
Beide Nutzen-Kosten-Untersuchungen und
der Landesnahverkehrsplan sind auf der Internetseite
des Ministeriums für Infrastruktur
und Raumordnung veröffentlicht und können
heruntergeladen werden:
www.mir.brandenburg.de IGEB S-Bahn und Regionalverkehr
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