Tarifstruktur

VBB-Tarif: „Zu wenige strukturelle Verbesserungen...

...und zu große Preiserhöhungen für Stammkunden”, kommentiert der Berliner Fahrgastverband IGEB die kürzlichen Preiserhöhungen im Berlin/Brandenburger öffentlichen Nahverkehr:

Der seit dem 1. April 2008 geltende VBB-Tarif brachte einige Verbesserungen, vor allem für die Schüler im Verbundgebiet und für Berliner Gelegenheitsfahrgäste. Doch die 2006 versprochene grundlegende Tarifstrukturreform blieb aus. Im Gegenteil. Erneut wurden die Zeitkarten des Regeltarifs überdurchschnittlich verteuert, so dass zum wiederholten Mal hauptsächlich die Stammkunden die Tariferhöhung finanzieren müssen.

„Wir haben uns heute in offener Atmosphäre mit dem VBB, der S-Bahn, DB-Regio und der BVG über die Tarifstruktur des ÖPNV in Berlin und Brandenburg ausgetauscht. Unter den Teilnehmern konnte Einigkeit erzielt werden, dass wir in Berlin und Brandenburg eine Tarifstruktur benötigen, mit der es gelingt, mehr Fahrgäste für den ÖPNV zu gewinnen und stabile Kundenbeziehungen aufzubauen. Die derzeitige Tarifstruktur wird in den nächsten Monaten von den Verkehrsbetrieben, den beiden Bundesländern und dem VBB überarbeitet“, erklärte Berlins Senatorin für Stadtentwicklung Ingeborg Junge-Reyer am 9. Oktober 2006. Und weiter: „Eine nachvollziehbare transparente Tarifstruktur, die bis zum Jahr 2010 angelegt sein sollte, muss durch Verlässlichkeit und Verbindlichkeit den Kunden gegenüber dauerhaft Fahrgastverluste verhindern.“

Keine grundlegende Strukturreform

Die Analyse und die Forderungen der Senatorin waren und sind richtig, doch die im Dezember 2007 beschlossene und zum 1. April 2008 in Kraft getretene sogenannte Tarifanpassung blieb weit hinter den Erkenntnissen und Zielen vom Oktober 2006 zurück. In 14 Monaten war es allen Beteiligten nicht gelungen, die erforderliche grundlegende Tarifstrukturreform zu entwickeln, abzustimmen und umzusetzen oder sich wenigstens auf eine „bis zum Jahr 2010“ angelegte Tarifstruktur zu verständigen. Vielmehr begann schon Anfang 2008 die Diskussion über eine Fahrpreiserhöhung im Jahr 2009.

Auch die durch Analysen des VBB und externer Gutachter bestätigte IGEB-Kritik, dass die VBB-Fahrpreise bei vielen Tarifpositionen schon heute zu den höchsten in Deutschland gehören, während die Einkommen der Menschen in Berlin und Brandenburg deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegen, bewahrte die Stammkunden mit den Zeitkarten zum Regeltarif nicht davor, dass vor allem sie erneut zur Kasse gebeten werden.

Schüler

Positiv für die Schüler ist, dass auch 14-jährige im gesamten Verbundgebiet nun zum Ermäßigungstarif für Kinder fahren dürfen und dass alle Schüler für 15 Euro ein Zusatzticket zu ihrer Monatskarte erwerben können, welches sie zur Fahrt im ganzen VBB-Gebiet berechtigt. Berliner Schüler dürfen sich außerdem über unverändert preiswerte Monatskarten freuen.

Einzelfahrausweise, Sammelkarten

Positiv ist auch, dass die Einzelfahrausweise AB in Berlin und in den kreisfreien Städten Brandenburgs nicht teurer wurden. In Berlin kann der Preis für die Einzelfahrt durch Kauf der wieder eingeführten Sammelkarte (vier Fahrten) sogar auf 2 Euro pro Fahrt gesenkt werden. In Brandenburg/Havel, Cottbus und Frankfurt/Oder gab es aber eine drastische Verteuerung für diejenigen, die bisher das nun fortgefallene Kurzstreckenticket nutzen konnten. Dennoch überwogen für die Gelegenheitsfahrgäste die guten Nachrichten.

Zeitkarten

Ganz anders sieht es bei den Stammkunden aus, deren Zeitkarten (erneut) überdurchschnittlich verteuert wurden. Einige Beispiele: (siehe Grafik)

Grafik

Die Tabelle zeigt, dass die Stammkunden und somit die Mehrzahl der Fahrgäste von erheblichen Tarifanhebungen betroffen sind. Was hilft es diesen Fahrgästen, wenn sie zu hören bekommen, dass die durchschnittliche VBB-Tariferhöhung nur bei 1,97% und damit sogar noch unter der Inflationsrate von 2,2% im Jahr 2007 liege?

Eine gute Nachricht gab es lediglich für die Käufer des sogenannten Sozialtickets in Berlin. Ihre Monatskarte blieb im Preis stabil und kostet mit 33,50 Euro weiterhin weniger als die Hälfte des jetzt auf 72,00 Euro erhöhten Regeltarifs.

Handlungsbedarf

Drei Beispiele sollen verdeutlichen, was die dringend erforderliche Überarbeitung der VBB-Tarifstruktur leisten muss:

  • Die Tarife müssen einfacher und verständlicher werden. Wann wird endlich die freizügige Nutzbarkeit des Einzelfahrausweises innerhalb der 2-Stunden- Gültigkeit wieder eingeführt? Und wo bleibt die Umsteigemöglichkeit für Straßenbahn- und Busfahrgäste beim Berliner Kurzstreckenfahrschein? Beim Potsdamer Kurzstreckenfahrschein ist das Umsteigen zulässig.
  • Es fehlen Angebote zur Bindung von Gelegenheitsfahrgästen wie z. B. Senioren. Warum ist die 10-Uhr-Karte in Berlin so überdurchschnittlich teuer? Warum kann sie nicht im Abo gekauft werden? Warum gilt sie erst ab 10 Uhr und nicht wie andernorts ab 9 Uhr?
  • Es gibt keine Bindung der Stammkunden. Im Gegenteil, mit den Tariferhöhungen zum 1. April wurde die Fehlentwicklung im Preisverhältnis zwischen Einzelfahrausweis und Monatskarte erneut fortgesetzt. Während im Jahr 2003 der Kauf einer Monatskarte Berlin AB bereits ab 27 Fahrten im Monat lohnte, müssen es (unter Berücksichtigung der Sammelkarte) seit 1. April 2008 nun 37 Fahrten sein. In Potsdam liegt der Schwellenwert demgegenüber bei nur 21 Fahrten. Es besteht daher in Berlin die Gefahr, dass durch dieses Missverhältnis Fahrgäste von der Zeitkarte zum Bartarif abwandern, was mit Sicherheit nicht im Interesse der Verkehrsunternehmen liegt.

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 2/2008 (Mai 2008), Seite 9

 

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