|
Im Mai 2007 verabschiedete das Europäische
Parlament die „Verordnung zur Ausschreibung
der öffentlichen Personenverkehrsdienste
(1191/69)“. Mein Fazit in SIGNAL
4/2007 lautete: Der von den einen erhoffte,
von den anderen befürchtete Umbruch bei
Bahnen und Bussen wird ausbleiben. Ein Jahr
nach der Verabschiedung und ein Jahr vor
dem Inkrafttreten der Verordnung ist diese
Einschätzung noch nicht überholt – leider.
|
S-Bahn und Regionalexpress im Berliner Hauptbahnhof. Sie tragen maßgeblich zur Finanzierung auch dieser Station bei, denn in Deutschland werden 86 Prozent der Stationsgebühren vom Schienenpersonennahverkehr aufgebracht. Selbst bei den Einnahmen aus Trassengebühren liegt der SPNV-Anteil bei 66 Prozent. Foto: Marc Heller |
|
Die neue Verordnung stellt den kleinsten
gemeinsamen Nenner der Nationalstaaten
dar. Die Interessen der etablierten Verkehrsunternehmen,
ob nun privat, kommunal
oder staatlich, mit ihren vielen großen oder
kleinen Monopolen, wogen offensichtlich
schwerer als das ursprüngliche Ziel, durch
mehr Wettbewerb – regulierten Wettbewerb!
– und durch Finanzierungstransparenz
einen attraktiveren und effizienteren
Nahverkehr mit Bahnen und Bussen zu erreichen.
„Verkrustete Strukturen“, so auch
Münchens Oberbürgermeister Christian
Ude, werden mit dieser Verordnung nicht
aufgebrochen.
Eine Verordnung ohne Wirkung
Zur Erinnerung: Deutschland und Frankreich
konnten durchsetzen, dass der Schienenpersonennahverkehr
(S- und Regionalbahnen)
von der Verordnung ausgenommen wurde.
Und die Nahverkehrsunternehmen (U-Bahn,
Straßenbahn, Bus) erreichten, dass
einerseits
die großen kommunalen Verkehrsbetriebe
in den Großstädten per Direktvergabe
weiter bedient werden können und andererseits
die Marge für kleine und mittlere
Unternehmen so hoch gesetzt wurde, dass
z. B. in Deutschland rund 90 Prozent der
Verkehrsdienste von der neuen Verordnung
nicht erfasst werden. Doch Deutschlands
Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee wertete
die Einschränkungen der Verordnung
als Erfolg und brüstete sich, „das bewährte
deutsche ÖPNV-System“ bis ins Jahr 2022
gerettet zu haben.
Dieses „bewährte System“ sieht z. B. so
aus, dass die Bundesländer über die Trassen-
und Stationspreise die Infrastruktur
des deutschen Eisenbahnnetzes bezahlen.
66 Prozent aller Trasseneinnahmen und
86 Prozent der Stationsentgelte werden in
Deutschland vom Schienenpersonennahverkehr
(SPNV) aufgebracht, ohne dass die
Länder als Besteller des SPNV auch nur den
geringsten Einfluss auf die Verwendung der
Mittel durch die DB AG haben. Der neue Berliner
Hauptbahnhof z. B. wird also nicht vom
ICE-Verkehr, sondern hauptsächlich vom
S-Bahn- und Regionalverkehr finanziert.
Hinzu kommt, dass sowohl die Standards
wie auch die Preise für die Trassen und Stationen
von der DB AG ohne Mitwirkungsmöglichkeit
der Bundesländer festgelegt
werden. Aktuelles Beispiel ist die angekündigte
Anhebung der Trassenpreise der DB
Netz AG um den Rekordwert von 3,8 Prozent
im Jahr 2009. Zu Recht hat der Verkehrsverbund
Berlin-Brandenburg gefordert, dass
die Bundespolitik endlich die gesetzlichen
Voraussetzungen schaffen soll, damit die
Bundesnetzagentur als zuständige Regulierungsbehörde
Preisanhebungen der DB AG
auf ein gerechtfertigtes und nachvollziehbares
Maß begrenzen kann.
Kaum besser sind die Möglichkeiten der
Bundesländer, die Investitionsentscheidungen
der DB AG zu beeinflussen. Hier erkaufen
sie sich nur dann geringe Mitgestaltungsrechte,
wenn sie Vorhaben weitgehend oder
vollständig selbst finanzieren.
Diskriminierung nicht-staatlicher
Eisenbahnen
Auch die Diskriminierung der vielen kleinen
Wettbewerber wird durch die neue
EU-Verordnung nicht beseitigt. In meinem
Bericht zur „Durchführung des ersten Eisenbahnpakets“
wurden zahlreiche Klagen
von in den Markt eintretenden Unternehmen
aufgelistet,
die mit den bestehenden
staatlichen Eisenbahnunternehmen konkurrieren.
In ihren Beschwerden haben sie
beispielsweise angemahnt – ich zitiere jetzt
wörtlich aus dem vom Europäischen Parlament
am 12. Juli 2007 mit großer Mehrheit
verabschiedeten Bericht –
- dass der Netzzugang oder eine günstige
Trasse nicht gewährt werden konnte, weil
diese schon an die konzerneigene Bahn
vergeben worden war,
- dass ihre Wünsche nicht befriedigt werden
konnten, weil zuvor Weichen ausgebaut
und/oder Überholgleise demontiert
worden waren,
- dass – ohne Grund – Langsamfahrstellen
verordnet wurden, um die Anschlusssicherheit
der Konkurrenten zu unterminieren,
- dass gebrauchte Lokomotiven nicht erworben
werden konnten, weil sie zuvor
verschrottet worden waren bzw. potenzielle
Käufer durch die nationalen Eisenbahnunternehmen
am Kauf gehindert
wurden,
- dass die Trassenpreise so kurzfristig erhöht
wurden, dass diese nicht mehr in die
Preisbildung eingerechnet werden konnten,
während die konzerneigene Bahn
vorher informiert wurde,
- dass die Quersubventionierung innerhalb
von Konzernen nicht verhindert
wird, weil Teile der von ihnen entrichteten
Trassenentgelte als Konzernabgabe
des Netzes an die Holding fließen, statt
der Infrastruktur zugute zu kommen,
und dadurch nicht nur das Ergebnis der
Holding verbessert wird, sondern es ihr
auch ermöglicht wird, am Markt günstiger
anbieten zu können,
- dass nicht-staatliche Unternehmen oft
höhere Energiepreise bezahlen als die
Konzerntöchter, auch wenn die Energielieferung
in die Holding integriert ist, was
eine Wettbewerbsverzerrung darstellt,
die nach einem Urteil des OLG Frankfurt/
Main sogar zulässig ist.
Wettbewerb im Schienengüterverkehr
erfolgreich
Dabei zeigt die Erfahrung: Wettbewerb belebt
das Geschäft. Die EU-weite Öffnung der
Schienennetze für den Eisenbahn-Güterverkehr
ist ein voller Erfolg. Diejenigen Länder,
die sich schon vor Jahren darauf vorbereitet
hatten, verzeichneten einen großen Zuwachs.
So stieg der Gütertransport auf Schienen
zwischen 1999 und 2006 in Deutschland um
25 Prozent, in Polen um 30 Prozent, in den
Niederlanden um 43 Prozent und in England
um 60 Prozent. In Frankreich, wo der freie
Zugang erst zum letztmöglichen Termin am
1. Januar 2007 eingeführt wurde, sank er im
selben Zeitraum um 28 Prozent. Dies hat in
Frankreich nicht nur Auswirkungen auf die
Arbeitsplätze und die Qualität des Angebots,
sondern auch auf das Klima, weil die der
Schiene verloren gegangenen Güter nun auf
der Straße transportiert werden.
Die guten Ergebnisse in Skandinavien, wo
der regulierte Wettbewerb bereits vor über
einem Jahrzehnt eingeführt wurde, belegen,
dass dies auch für den Personenverkehr gilt.
Das zeigen übrigens auch Erfahrungen aus
Deutschland, die für sich sprechen.
Ein Beispiel: Die DB AG wollte die 34 Kilometer
lange Eisenbahnverbindung zwischen
Kaarst, Düsseldorf und Mettmann stilllegen,
weil dort nur 500 Personen pro Tag unterwegs
waren. Nachdem die Strecke vom Zweckverband
übernommen, ausgeschrieben und
zusammen mit dem Ausschreibungsgewinner
Connex/Veolia modernisiert und fahrgastgerecht
ausgestaltet wurde, stiegen die
Fahrgastzahlen innerhalb von 8 Jahren auf
knapp 20 000, das ist eine Steigerung um
3700 Prozent!
Solche Zuwachsraten widersprechen den
Rahmenbedingungen für eine standardisierte
Bewertung. Diese hat als Höchstquote einen
Zuwachs von 30 Prozent ermittelt. Das wären
auf dieser Strecke 650 Fahrgäste gewesen, womit
der Ausbau und die Modernisierung nicht
wirtschaftlich gewesen wären! Nicht nur aus
der Sicht eines Fahrgastes, auch als Grüner, der
den Klimawandel bekämpfen will, wünsche
ich mir mehr von solchen Aktivitäten.
Aber vor dem Hintergrund der deutschen
Debatte um die Privatisierung der DB möchte
ich noch einmal ausdrücklich betonen: Die
Grünen sind für den Wettbewerb auf Straße,
Schiene, zu Wasser und in der Luft. Doch die
Infrastruktur muss in öffentlicher Hand bleiben.
Das Desaster, das die Briten erlebten,
darf sich nicht wiederholen!
Michael Cramer, MdEP,
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament
|