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Neubaustrecke mit Rasengleis in der Karl-Liebknecht-Straße Ecke Dircksenstraße. Noch nicht neu ist die Schaltung der Ampelanlagen, weshalb die Straßenbahnzüge derzeit noch zu häufig und zu lange stehen müssen. Foto: Marc Heller |
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Dieser Inbetriebnahme waren viele Jahre Berliner Planungsirrungen und -wirrungen vorausgegangen. Täglich 20 000 Fahrgäste
profitieren von der Neubaustrecke und werden nie verstehen, warum Senator Peter Strieder, Vorgänger der jetzigen Verkehrssenatorin
Ingeborg Junge-Reyer, die bereits begonnenen Bauarbeiten im März 2003 wegen „fehlender Wirtschaftlichkeit“ stoppen
lies.
Immerhin ermöglicht die Neubausstrecke auf der Straßenbahnlinie M 2 eine Einsparung
von jährlich rund 470 000 Nutzwagenkilometern.
Dadurch sind bei den Betriebskosten
Einsparungen von rund einer Million Euro pro Jahr zu erwarten. Gleichzeitig ist durch das erhöhte Fahrgastaufkommen mit jährlich 450 000 Euro Mehreinnahmen zu rechnen, so dass für die BVG insgesamt
ein positives Betriebsergebnis
von bis zu 1,45 Millionen Euro erwartet werden kann.
Als diese Zahlen öffentlich wurden und der Senator immer
heftiger kritisiert wurde, auch aus den Regierungsfraktionen
von SPD und PDS, erfolgte ein Umschwenken: Im Januar 2004 wurde der Weiterbau angekündigt. Leider waren die Bauarbeiter längst wieder abgerückt,
so dass Verzögerungen
und Mehrkosten entstanden,
die ohne Strieders Fehlentscheidung nicht eingetreten
wären.
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Von den Fahrgästen sehnlichst erwartet: Der M 2-Eröffnungszug erreicht den Bahnhof Alexanderplatz. Foto: Jens Wieseke |
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Tatsächlich begonnen wurde der Weiterbau dann erst am 25. April 2005. Aber es war nicht die letzte Verzögerung.
Anlässlich der Wiederaufnahme der Bauarbeiten
verkündete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
eine Inbetriebnahme
für „Ende 2006“. Eine schlüssige Erklärung,
warum es nun halbes Jahr später wurde, gab es nicht.
Neue Strecke erspart Umsteigen
Die ab Prenzlauer Tor gut einen Kilometer lange Straßenbahnneubaustrecke führt durch die Karl-Liebknecht-Straße bis zur Stumpf-Endstelle in der Dircksenstraße. Sie bindet etwa 120 000 Einwohner vor allem aus den dicht bebauten Bereichen beidseitig der Prenzlauer Allee direkt und umsteigefrei an den urbanen Schwerpunkt Alexanderplatz
an. Die bisherige Strecke der M 2 in der Alten und Neuen Schönhauser Straße, die im regulären Linienbetrieb jetzt nicht mehr befahren wird, soll zunächst für Sonderfahrten
und Umleitungen erhalten bleiben. Allerdings
ist zu befürchten, dass sie für kurzfristige
Umleitungen nicht flexibel nutzbar sein wird, weil die Trassenführung sehr zum Zugeparktwerden neigt. Abgestellte Pkw und Lkw waren auch bisher ein großes Problem
auf diesem Streckenabschnitt, das sich ohne regelmäßigen Straßenbahnbetrieb noch verschärfen wird.
Für viele Fahrgäste bedeutet die neue Strecke zum Alex eine deutliche Attraktivitätssteigerung
wegen der sehr viel schnelleren
Erreichbarkeit der am Alex verkehrenden
Schnellbahnlinien. Bisher erreichte
man diese aus der Prenzlauer Allee entweder gar nicht (Regionalverkehr und U 5) oder erst nach langer Umwegfahrt und mit unattraktiven Umsteigewegen (S-Bahn, U 8). Da ist es verschmerzbar, dass der Umsteigeweg
zur U-Bahnlinie 2 jetzt ein wenig länger als bisher ist und der Hackesche Markt nicht mehr direkt erreicht wird.
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Während die Straßenbahn zum Alexanderplatz eröffnet wurde, fuhr in der Alten und Neuen Schönhauser Straße die letzte Straßenbahn. Die Strecke soll zunächst für Umleitungen und Betriebsfahrten befahrbar bleiben. Foto: Florian Müller |
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Während man bisher von der Straßenbahnlinie
M 2 nur die Buslinien TXL und 200 direkt erreichte, ermöglicht die Neubaustrecke
jetzt auch ein direktes Umsteigen zu den Buslinien M 48, 100 und 248. Durch sinnvolle Neuordnung der Bushaltestellen-Standorte an der Haltestelle Memhardtstraße
ist das Umsteigen von und zu diesen Buslinien mit kurzen Wegen möglich. Lediglich
das Umsteigen zur Buslinie 100 bleibt wegen der ungünstig gelegenen Bus-Endhaltestelle
unbefriedigend.
Mehr Fahrgäste – weniger Sitzplätze
Wegen dieser Attraktivitätssteigerungen wird erwartet, dass es unter den prognostizierten
20 000 Straßenbahnfahrgästen einen
nicht geringen Anteil von neuen ÖPNV-Kunden geben wird. Ärgerlich ist aber, dass das Fahrplanangebot der M 2 unverändert bleibt. Nur im Berufsverkehr wird ein 6/7/7-Minuten-Takt angeboten. Ansonsten wird ein für dieses Verkehrsaufkommen kaum ausreichender 10-Minuten-Takt gefahren.
Da wegen der neuen Endstelle in der Dircksenstraße auf der M 2 nur noch Zweirichtungsfahrzeuge
eingesetzt werden können,
verschärft sich das Kapazitätsproblem: Gegenüber der früher üblichen KT4D-Doppeltraktion
mit 66 Sitzplätzen werden
jetzt nur noch 45 Sitzplätze pro Fahrt angeboten!
Die Straßenbahnstrecke selbst ist überwiegend als besonderer Bahnkörper angelegt, der außerhalb der Haltestellenbereiche mit Rasengleis begrünt ist. In der Dircksenstraße liegen die Gleise im Bereich des Kaufhofs dagegen in der Fahrbahn und die Straßenbahn wird hier wegen des regen (wendenden) Taxi- und Pkw-Verkehrs wohl nicht immer ungehindert passieren können. Aber immerhin sind die noch bei Auslegung der Planfeststellungsunterlagen dargestellten Pläne des ehemaligen Senatsbaudirektors Stimmann wieder zu den Akten gelegt worden, die Dircksenstraße durchgehend für den Kfz-Verkehr befahrbar zu machen. Die IGEB hatte dagegen im Planfeststellungsverfahren
vehement protestiert (vgl. SIGNAL 9-10/2001).
Gegenüber den ursprünglichen Planungen ist die Strecke jedoch nicht in die Rathausstraße bis zum Roten Rathaus verlängert worden. Die Straßenbahnendstelle liegt daher in der Dircksenstraße (Fußgängerzone) zwischen S-Bahnhof und Berolinahaus. Von der ursprünglich vorgesehenen Verlängerung dieser Strecke durch die Leipziger Straße zum Potsdamer
Platz hat sich der Berliner Senat inzwischen still und leise verabschiedet.
Künftige Entwicklungen verbaut
Gerade vor diesem Hintergrund ist es ärgerlich, dass eine Option zur Linienverknüpfung
zwischen der M 2 und einer der anderen hier verkehrenden Straßenbahnlinien
(M 4, M 5 oder M 6) durch die Gestaltung der Endstelle im Grunde dauerhaft
verbaut wurde.
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Fehlplanung. Die Verbindung von der Neubaustrecke in der Dircksenstraße zur vorhandenen Strecke auf dem Alexanderplatz ist durch einen falsch platzierten U-Bahn-Aufzug nur eingleisig und damit nur sehr eingeschränkt nutzbar. Foto: Florian Müller |
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Die IGEB hatte dazu ein ausführliches Konzept ausgearbeitet, was durch Ausdünnung des Überangebotes auf dem Abschnitt zwischen Alex und Hackescher Markt dauerhaft bis zu fünf Straßenbahnzüge in den Umläufen gespart und zu nochmals deutlich verminderten Betriebskosten geführt hätte (vgl. SIGNAL 5/2003 und 6/2003). Aber die Senatsverkehrsverwaltung und die BVG haben dieses Linienkonzept nicht nur nicht realisiert, sondern auch noch verbaut, indem ein Aufzug zur U-Bahn genau auf der möglichen zweiten Gleisverbindung von der Dircksenstraße in die (verlängerte) Rathausstraße platziert wurde.
Eröffnung ohne Fest und Freifahrt
Als ob es nicht schon genug Verzögerungen und Verärgerungen gegeben hätte, setzten Senat und BVG zur Inbetriebnahme
noch eine oben drauf. Der wiederholt angekündigte Eröffnungstermin 27. Mai (Pfingstsonntag) wurde auf Mittwoch, den 30. Mai verschoben. Nach IGEB-Protesten rechtfertigte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Verschiebung damit, dass man den am Bau Beteiligten sowie den Journalisten und möglichst vielen Fahrgästen eine Teilnahme an der Eröffnung
ermöglichen wollte, die über die Feiertage verreist seien. Tatsächlich hat man mit dieser Verschiebung aber die meisten Fahrgäste ausgegrenzt, weil diese an einem Mittwochvormittag üblicherweise bei der Arbeit oder in der Schule sind.
Noch ärgerlicher ist, dass mit dieser alles andere als üblichen Verschiebung auf einen Mittwoch der Termin des offiziellen kleinen Fahrplanwechsels verlassen wurde. Ausgerechnet die Senatsverkehrsverwaltung, die bisher die IGEB-Forderung unterstützt hat, dass die BVG Linien- und Fahrplanänderungen möglichst immer zu den offiziellen Fahrplanwechselterminen durchführen soll, hat jetzt ein Abweichen erzwungen.
„Auch von meiner Seite wird das zeitliche Verfahren bei der Einführung von Fahrplanänderungen durch die Berliner
Verkehrsbetriebe (BVG) kritisiert. (…) Unterstützt durch Ihren Hinweis ist nunmehr von dem in meinem Haus angesiedelten
ÖPNV-Aufgabenträger bei der BVG eine Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit durch die Bündelung der Angebotsänderungsmaßnahmen eingefordert werden“, schrieb Verkehrsstaatssekretärin Maria Krautzberger am 7. März 2003 an die IGEB. Vier Jahre später ist ihr eigenes Haus Veranlasser eines gesplitteten Fahrplanwechsels.
Um die Missstimmung zu diesem doch so erfreulichen Anlass komplett zu machen, lud die BVG zwar Ehrengäste zur Eröffnung ein, bot den Fahrgästen aber überhaupt nichts: keine Feier, keine Stände und keine kostenlosen Schnupperfahrten, wie sie bei anderen Verkehrsbetrieben zu solchen Anlässen üblich sind. 40 Jahre nach der Einstellung des Straßenbahnverkehrs rund um den Alexanderplatz wäre die Inbetriebnahme von „Alex II“ ein guter Anlass gewesen, gemeinsam mit den Fahrgästen ein Fest zu feiern, zu dem erfahrungsgemäß zehntausende Berlinerinnen und Berliner gekommen
wären. Senat und BVG haben eine große Chance vertan.
Berliner Fahrgastverband IGEB
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