Touch&Travel

E-Ticket: Neuer Versuch – Bahn testet Handy-Ticket-System „Touch&Travel“

Im März stellte die Deutsche Bahn gemeinsam mit dem Mobilfunkbetreiber Vodafone ein neues Elektronisches Ticketing- System auf der Computermesse CeBIT in Hannover vor. Was bringt dieses System für Vor- und Nachteile für Kunden und Verkehrsbetriebe? Wir haben uns auf der Messe umgesehen.

Vorführung auf der CeBit 2007
Zum An- und Abmelden muss das Mobiltelefon in die Nähe eines „Touchpoint“ gehalten werden. Foto: leitstreifen.de Bildarchiv

Es gab schon viele Versuche, ein elektronisches Fahrscheinsystem einzuführen. In der Regel scheiterten sie an fehlender Akzeptanz der Fahrgäste, unzureichender technischer Ausgereiftheit und zu hohem finanziellen Aufwand für den Aufbau des technischen Netzwerkes. Letzteres konnte man mit dem auf der CeBIT vorgestellten System namens „Touch and Travel” ansatzweise aus dem Weg räumen.

Denn im Gegensatz zum gescheiterten BVG-tick.et nutzt man äußerst preisgünstige technische Bauelemente und eine bereits existente Infrastruktur für die Kommunikation: RFID (Radio Frequency Identification) und das Mobilfunknetz. RFID und die dazugehörige Nahfunktechnik NFC (Near Field Communication) waren zuletzt in Verbindung mit der Lebensmittelkennzeichnung und dem kassenlosen Supermarkt in den Medien vertreten.

Die Funkchips sind Centware, wenige Millimeter klein und benötigen keine Energiequelle. Sie werden in kleinen Terminals auf den Bahnhöfen und Stationen angebracht, den sogenannten Touchpoints. Um diese nutzen zu können, benötigt man ein spezielles Handy, das die NFC-Technik beherrscht. Zum Einchecken wählt man mit dem NFC-Handy den entsprechenden Menüpunkt aus und hält es in die Nähe des Touchpoints, so dass es die Stationsinformation aus dem Chip lesen kann. Diese Information wird dann über die Mobilfunkverbindung des Handys an das Buchungssystem übermittelt und die Fahrtberechtigung wird auf der SIM-Karte des Handys gespeichert. Diese kann unterwegs vom Kontrollpersonal ausgelesen werden. Nach Fahrtende hält man das Handy wieder an den Touchpoint. Der Ausstiegsort wird ebenfalls über das Mobilfunknetz an das Buchungssystem übertragen, welches dann die Fahrstrecke und den Preis berechnet.

Grafik
Im Comic ganz einfach. Ob es praktikalbel ist, wenn alle Fahrgäste eines endenden ICE an den Touchpoints auf dem Bahnsteig entlang defilieren müssen? Grafik: vodafone

Die Vorteile dieses Systems gegenüber anderen besteht für die Verkehrsunternehmen darin, dass die technische Kommunikation nicht über ein eigenes gesondertes Netzwerk übertragen werden muss, sondern dass einfach das existierende Mobilfunknetz genutzt wird. Und die Datenübertragung übernimmt dabei ein Gerät, das bereits bei den meisten Kunden vorhanden ist – sein Handy. Die Unternehmen müssen lediglich die preisgünstigen Touchpoints aufstellen.

Um diese Technik auszuprobieren, wird die DB gemeinsam mit der BVG, der S-Bahn Berlin und dem Verkehrsbetrieb Potsdam einen groß angelegten Feldversuch durchführen. Zunächst wird das System ab Oktober 2007 auf allen Fernverkehrsstrecken im Korridor Hannover—Berlin/Potsdam, den dazugehörigen Regionalverkehrsstrecken und im Stadtgebiet Potsdam (Bus, Straßenbahn, Fähre) getestet. Ab 2008 stehen dann auch das gesamte Netz der Berliner S-Bahn und das U-Bahnnetz der BVG für den Test zur Verfügung. Getestet werden soll in der ersten Phase nur mit Mitarbeitern und in der zweiten Phase ab 2008 mit Kunden unter Echtbedingungen, wobei das Fahrgeld dann auch tatsächlich über das System abgerechnet wird.

Grafik
Funktionsweise Grafik: vodafone

Wenn Großteile der Kommunikation vom Verkehrsbetrieb zum Kunden verlagert werden, existieren natürlich automatisch mehrere Ansatzstellen für eine mögliche Manipulation des Systems. Ließe sich beispielsweise die Kommunikation zwischen Touchpoint und Handy entschlüsseln, so könnte man seine „eigenen Touchpoints“ mit sich herumführen und erst bei einer möglichen Kontrolle einchecken. Möglich wäre auch eine Manipulation der Handysoftware, um den Kontrollgeräten eine Fahrtberechtigung vorzutäuschen.

Doch auch ohne Manipulation kann einiges schief gehen. Mobilfunknetze fallen auch mal aus und verhindern dann den Ein- oder Auscheckvorgang. Oder was ist, wenn plötzlich der Handyakku leer ist oder die Software abstürzt?

Außerdem werden von der neuen Technik bisherige Einwände gegenüber elektronischen Fahrausweissystemen nicht ausgeräumt:

  • Datenschutz. Da die Fahrdaten wegen der Abrechnung personengebunden gespeichert werden müssen, sind für die Verkehrsbetriebe alle Wege und der Aufenthaltsort der Kunden bekannt.
  • Mehrkosten. Man kann nicht voraussetzen, dass jeder Kunde ein NFC-Mobiltelefon hat, um mit der Bahn fahren zu können. Somit ist immer auch ein alternatives Angebot zum Fahrausweiserwerb nötig.
  • Praktikabilität. Die Notwendigkeit, nicht nur ein-, sondern auch auszuchecken, ist ein gravierender Komfortverlust beim Nutzen von Bahnen und Bussen.

Nicht zuletzt die Art der Preisfindung dürfte viele Kunden abschrecken, denn erst ab Ende des Monats den Fahrpreis auf einer Rechnung zu finden, ist nicht gerade transparent. Es ist schon merkwürdig, dass die individuelle Fahrpreiserhebung gerade mithilfe der Mobilfunktechnik ermöglicht werden soll, wo doch gerade dort Monatspauschalen (sogenannte Flatrates) ganz weit oben in der Gunst der Kunden stehen. (hm)

IGEB Fahrgastbelange

aus SIGNAL 2/2007 (April/Mai 2007), Seite 4

 

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