In seinen Bemerkungen vom 13. November
2006 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung
des Bundes schrieb der Bundesrechnungshof
über die Aus- bzw. Neubaustrecke Nürnberg—
Erfurt—Halle/Leipzig:
„Das Bundesministerium für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung (BMVBS) stellt bei der
Finanzierung eines mehrere Milliarden Euro
teuren Schienenwegebauvorhabens nicht
sicher, dass die Bundesmittel wirtschaftlich
und sparsam verwendet werden. Für zwei
wesentliche Abschnitte der Eisenbahnneubaustrecke
von Nürnberg nach Halle/Leipzig,
an denen bereits seit dem Jahre 1996 gebaut
wird, hat es die Finanzierung derzeit nicht
annähernd gesichert. In den letzten Jahren
ließ es wegen knapper Haushaltsmittel vor
allem punktuelle Maßnahmen durchführen,
um das Baurecht zu erhalten. Damit nahm es
erhebliche Bauverzögerungen und Mehrkosten
in Kauf. Es untersuchte bisher nicht, in
welchem Umfang diese die Wirtschaftlichkeit
des Gesamtvorhabens beeinträchtigen.
Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen
gingen Anfang des Jahres 2005 davon aus,
dass die Eisenbahnstrecke Nürnberg—Halle/
Leipzig Gesamtkosten von 7 Milliarden
Euro verursachen wird. Für den Bau von zwei
wesentlichen Streckenabschnitten sind nach
bisherigen Schätzungen 4,1 Milliarden Euro
Bundesmittel erforderlich. Derzeit hat das
Bundesministerium dafür aber nur 1,2 Milliarden
Euro fest eingeplant. Für den verbleibenden
Investitionsbedarf von knapp 3 Milliarden
Euro hat es keine gesicherte Finanzierungsgrundlage.
Konkrete Angaben darüber,
wann die Abschnitte fertig werden, machte
das Bundesministerium bisher nicht. Zudem
hat es nicht darlegen können, mit welchen
Mehrkosten aufgrund der verzögerten Umsetzung
insgesamt zu rechnen ist. Es ist sich
aber darüber im Klaren, dass es mit den bisherigen
punktuellen Maßnahmen den Bau weder
geordnet noch wirtschaftlich durchführt.
Der Bundesrechnungshof hat festgestellt,
dass die betrachteten Streckenabschnitte
erst Mitte dieses Jahrhunderts fertig werden,
wenn es bei dem bisher unterstellten Bedarf
an Bundesmitteln von 4,1 Milliarden Euro
und dem derzeit vorgesehenen jährlichen
Finanzierungsbeitrag des Bundes bleibt. Er
hat darauf verwiesen, dass eine sehr lange
Bauzeit und eine über Jahrzehnte verzögerte
Inbetriebnahme die Wirtschaftlichkeit der
Bahnstrecke beeinträchtigen. Dem Bundesministerium
hat er empfohlen, das Vorhaben
zu überprüfen.
Das Bundesministerium hält eine Überprüfung
für nicht notwendig. Es sei politisch
entschieden worden, das Projekt weiter zu
verfolgen. Wegen der bestehenden Haushaltsengpässe
hätten die Baumaßnahmen
gestreckt werden müssen. Die Aufgabe des
Projekts würde zu verlorenen Investitionen
in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrages
führen. Im Übrigen plane es derzeit, die Strecke
schneller fertig zu stellen.
Der Bundesrechnungshof befürchtet, dass
die Gefahr verlorener Investitionen weiter ansteigt,
solange für die Strecke kein vollständiges
Finanzierungskonzept vorliegt. Er hält
es zudem für notwendig, dass das Bundesministerium
die politischen Entscheidungsträger
umfassend über die Konsequenzen der
„gestreckten Realisierung“ unterrichtet. Das
Bundesministerium sollte darlegen, welche
Mehrkosten dadurch entstehen und inwieweit
die verzögerte Umsetzung die Wirtschaftlichkeit
des Vorhabens belastet. Zudem
sollte es erläutern, welche Investitionen für
eine Inbetriebnahme der Bahnstrecke noch
erforderlich sind, wie diese finanziert werden
und wann mit einer Fertigstellung gerechnet
wird.“
Kommentar
des Deutschen Bahnkunden-Verbandes:
Nunmehr hat sich also auch der Bundesrechnungshof
die umstrittenen Aus- bzw. Neubauprojekten
zwischen Nürnberg und Halle/Leipzig
(Verkehrsprojekte Deutsche Einheit Nr. 8.1
und 8.2) vorgenommen. Er kommt zu dem
wenig überraschenden Ergebnis, dass das
BMVBS nicht sicherstellt, dass Bundesmittel
– d.h. Steuergelder! – im vorliegenden Fall wirtschaftlich
und sparsam eingesetzt werden.
Die Arbeiten an der 107 km langen Neubaustrecke
Ebensfeld—Erfurt begannen bereits
im April 1996. Angesichts knapper Haushaltsmittel
wurden in den letzten Jahren hauptsächlich
Maßnahmen zur Aufrechterhaltung
des Baurechts durchgeführt. Mit dieser Vorgehensweise
werden erhebliche Bauverzögerungen
und Mehrkosten in Kauf genommen.
Nach jüngsten Informationen strebt der Bund
derzeit eine Inbetriebnahme dieser Infrastrukturprojekte
um das Jahr 2016 an. Nicht nachvollziehbar
sind angesichts solcher Bauzeiten
Aussagen in einer Pressemitteilung des BMVBS,
dies sei für die Realisierung „ein überschaubarer
zeitlicher Rahmen“.
Fragwürdig ist der Investitionsaufwand
von voraussichtlich 4,583 Milliarden Euro
allein für den Aus- /Neubauabschnitt Nürnberg—
Ebensfeld—Erfurt auch vor dem Hintergrund,
dass zumindest für den Abschnitt
der Neubaustrecke tagsüber durchschnittlich
nur 1,5 Zugpaare pro Stunde prognostiziert
werden. Dagegen werden die Ausbauten in
etlichen Relationen, bei denen mit einem weit
geringeren finanziellen Aufwand deutliche
Angebotsverbesserungen erreicht werden
könnten, verschoben oder zeitlich gestreckt,
z. B. der Ausbau der Strecke Berlin—Rostock
(Fertigstellung voraussichtlich 2015). Gleiches
gilt für Projekte, mit denen dringend notwendige
Kapazitätserweiterungen für den Güterverkehr
geschaffen würden. Die 53 km lange
Ausbaustrecke Hoyerswerda—Horka—Grenze
Deutschland/Polen (zweigleisiger Ausbau
und Elektrifizierung, Gesamtkosten rund163
Millionen Euro) oder die Verbesserung der
Hinterlandanbindungen der Hafenstädte
Hamburg / Bremerhaven / Wilhelmshaven
seien an dieser Stelle beispielhaft genannt.
Auch das werbewirksame Ziel, Fahrzeiten
zwischen Berlin und München von unter 4 Stunden
zu erreichen, hat keineswegs nur Vorteile.
Heute bestehende ICE-Direktanbindungen
von Städten wie Naumburg (Saale), Jena,
Saalfeld, Lichtenfels und Weimar im 1- oder 2
Stunden-Takt dürften nach Inbetriebnahme
der benannten Aus- bzw. Neubaustreckenabschnitte
der Vergangenheit angehören, da
die neue Infrastruktur schließlich ausgelastet
werden muss. Inwieweit DB Fernverkehr von
der Möglichkeit Gebrauch macht, ICE-Züge zu
flügeln, um benannte Städte auch weiterhin
im Fernverkehr anzubinden, ist angesichts
des wirtschaftlichen Drucks sehr fraglich. Eine
alternative Erschließung im Fernverkehr ist
durch die Abschaffung des InterRegio-Angebots
ebenfalls nicht mehr gegeben.
Bereits in SIGNAL 4/2006 wurden daher
alternative Möglichkeiten aufgezeigt, um
die Gefahr eines weiteren Abhängens ganzer
Regionen vom Fernverkehr zu vermeiden. Die
dort vorgestellte modifizierte Planung zum
Abschnitt Nürnberg—Erfurt entsprechend der
Studie der Vieregg-Rössler GmbH berücksichtigt
dabei z. B. auch die Integration des südlich
von Erfurt weit vorangeschrittenen Neubauabschnittes,
um das Risiko von Bauruinen zu
vermeiden, zumindest aber zu verringern.
Bundesrechnungshof
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