|
|
IC nach Berlin im Bahnhof Ostseebad Binz auf Rügen. Solche umsteigefreien Angebote des DB-Fernverkehrs in Urlaubsgebiete sind durch den Privatisierungsprozess gefährdet. Foto: Christian Schultz |
|
Am 28. April 2008 einigten sich die Regierungsparteien
CDU und SPD im Koalitionsausschuss
auf die Eckpunkte des geplanten
Börsengangs. Am 30. April folgte der Beschluss
des Bundeskabinetts. Der Bundestag
hat schließlich am 30. Mai dem Regierungsantrag
zugestimmt.
Unter dem Dach der DB-Holding, deren
Eigentümer der Bund bleibt, soll es künftig
zwei Unternehmen geben. Ein Teil des Bahnkonzerns,
die Bahninfrastruktur (Schienennetz,
Bahnhöfe, Energie), bleibt vollständig
im Bundesbesitz. Der gesamte Personenund
Güterverkehr sowie die Logistik werden
in einer Aktiengesellschaft zusammengeführt.
Von dieser Aktiengesellschaft werden
24,9 Prozent privatisiert. Damit ist – zumindest
vorerst – gewährleistet, dass der Bund
Haupteigentümer bei der Deutschen Bahn
bleibt.
Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee
erhofft sich Privatisierungserlöse
zwischen fünf und acht Milliarden Euro. Die
Verkaufserlöse fließen zu gleichen Teilen in
den Bundeshaushalt, in die Eigenkapitalerhöhung
der Bahn und in Investitionen in den
Schienenverkehr.
Studie zeigt Risiken für DB-Fernverkehr
Der nunmehr gefundene Privatisierungskompromiss
birgt allerdings erhebliche Risiken.
Unabhängig von der Frage, ob z. B. nach
einem Regierungswechsel über die 24,9 Prozent
hinaus nicht doch weitere Teile privatisiert
werden, ist unklar, welche Auswirkungen
sich
für den Fernverkehr ergeben. Die von
der Berliner Beratungsfirma KCW im Auftrag
einiger Bundesländer und Aufgabenträger
erarbeitete Studie zur Folgeabschätzung für
den DB-Fernverkehr im Fall der Kapitalprivatisierung
entsprechend dem Holdingmodell
weist auf erhebliche Risiken für den derzeitigen
Angebotsumfang hin:
- Der Bereich Fernverkehr verdiente – trotz
milliardenschwerer Infrastrukturinvestitionen
- im Jahr 2007 nicht mehr als 2001.
Erschwerend kommt hinzu, dass der aktuell
schmale Gewinn betriebswirtschaftlich
nicht nachhaltig ist, da Investitionen
in neue Fahrzeuge (für den InterCity-Verkehr)
über viele Jahre ergebnisschonend
verschoben wurden.
- Die Verkehrsleistung im Fernverkehr lag
2007 unter jener von 1994. Zu berücksichtigen
ist hierbei allerdings die Einstellung
des InterRegio-Angebots bzw. der zumindest
teilweise Ersatz durch Angebote des
Regionalverkehrs.
- Die Auslastung der Züge stagniert bei 40 bis
43 Prozent; sie ist im Jahr 2007 im Vergleich
zum Vorjahr sogar um 0,9 Prozentpunkte
gesunken. Die zahlreichen Sonderangebote
führten offensichtlich zu erheblichen
Mitnahmeeffekten bei der Stammkundschaft
und weniger zur Gewinnung von
Gelegenheitsfahrern oder gar Neukunden.
Gewinne nur nach einschneidenden
Änderungen
Private Investoren dürften eine derartige
Bilanz kaum tolerieren. Sollte die Planung
eines Gewinnsprungs von ca. 110 Mio. Euro
in 2007 auf 570 Mio. Euro in 2011 tatsächlich
realisiert werden, dürften für die Bahnkunden
einschneidende Maßnahmen unausweichlich
sein. Seitens KCW wurde hierzu
auf folgende Varianten verwiesen:
- Das Preisniveau muss signifikant erhöht
werden. Die Steigerungen dürften KCWBerechnungen
zufolge bei jährlich 5 bis
7 Prozent bis 2012 liegen – nicht zuletzt
angesichts absehbarer weiterer Energiepreiserhöhungen.
- Die Fahrpreise werden zur Auslastungssteuerung
stärker gespreizt werden.
- Mengenrabatte werden eingeschränkt
werden. Dies kann z. B. eine Reduzierung
des Nutzwertes der BahnCard 50 zur Folge
haben oder aber eine deutliche Verteuerung
dieses Angebots.
- Das Verkehrsangebot wird ausgedünnt.
Weiteren Verbindungen, schwerpunktmäßig
im heutigen InterCity-Angebot, droht
die Einstellung, sofern sie nicht in der Erfolgsrechnung
die strengen Renditevorgaben
erfüllen. Auch politisch motivierte
Verbindungen drohen schnell zu entfallen,
wenn das große Ziel des Börsengangs erst
einmal erreicht ist.
- Ähnlich wie bei der Einstellung des InterRegio-
Angebots dürfte die Deutsche
Bahn darauf spekulieren, dass die Länder
die Streichungen im Fernverkehr zum
Anlass nehmen werden, zumindest einen
Teil dieses Verkehrs künftig mit Regionalisierungsmitteln
zu bestellen.
Die Deutsche Bahn kritisierte die KCWStudie
umgehend als „hanebüchene
Stimmungsmache“, konnte die Aussagen
letztlich jedoch nicht entkräften. Vielmehr
hat die aktuelle Entwicklung zum kleinen
Fahrplanwechsel am 15. Juni 2008 die Befürchtungen
bestätigt. Die Salamitaktik mit
kontinuierlichen Angebotsausdünnungen
im Fernverkehrsangebot wurde fortgesetzt,
u.a. auf der IC-Linie 77 mit Entfall der
IC 143/144 im Abschnitt Berlin—Szczecin
am Sonnabend bzw. Sonntag und beim ICEAngebot
– ebenfalls am Wochenende – in
der Relation Frankfurt am Main—Dresden.
Für die künftige Entwicklung muss daher
– entsprechend der KCW-Studie – von hohen
Risiken für den derzeitigen Angebotsumfang
ausgegangen werden.
Gemeinwohlinteresse im Fernverkehr
Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion,
aber auch angesichts der Klimaschutzdiskussion
und der Ressourcenschonung
muss der Bund seine Verantwortung
im Fernverkehr endlich wahrnehmen,
ebenso aus strukturpolitischen Gründen
und im Interesse einer wirkungsvollen
Versorgung aller Landesteile mit Fernverkehrsverbindungen
im Sinne einer grundhaften
Daseinsvorsorge. Diese Verpflichtung besteht nach Artikel 87e Abs. 4 des
Grundgesetzes!
Erforderlich ist ein Be- und Erstellermodell
mit klaren staatlichen Mindestvorgaben bezüglich
des Angebots bei Berücksichtigung
verkehrspolitischer Ziele. Festgeschrieben
werden kann dies in einem Masterplan
„Fernverkehr“, vergleichbar mit dem jüngst
veröffentlichten Masterplan „Güterverkehr
und Logistik“, flankiert durch ein Fernverkehrssicherstellungsgesetz.
Angesichts der
in Milliardenhöhe aus Steuergeldern finanzierten
Hochgeschwindigkeitsstrecken sind
derartige Rahmenbedingungen für die Gestaltung
des Fernverkehrsangebots durchaus
gerechtfertigt. IGEB Fernverkehr
|