Überregional

Masterplan Güterverkehr und Logistik

Im März hat Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee als Handlungskonzept für die künftige Verkehrspolitik den Entwurf für einen „Masterplan Güterverkehr und Logistik“ vorgestellt. Grundlage dafür war die Koalitionsvereinbarung vom November 2005, in der u.a. die Steigerung der Effizienz des Gesamtverkehrssystems für den Güterverkehr als Ziel vereinbart wurde. Dieser Masterplan umfasst ein Bündel von 39 konkreten Maßnahmen. Ein wesentliches Ziel ist dabei die Verkehrsverlagerung auf die Schiene. Die vielfach fehlende Finanzplanung für die einzelnen Maßnahmen weckt allerdings Zweifel an deren Umsetzung.

Güterverkehr
Berliner Außenring bei Diedersdorf. Der Schienengüterverkehr ist um ein Vielfaches energieeffizienter als der Transport auf der Straße. Aber die Stromsteuer benachteiligt ausgerechnet den vergleichsweise umweltfreundlichen Schienenverkehr in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Straße. Hier sind Korrekturen dringend erforderlich. Foto: Christian Schultz

Bedingt durch die weiter zunehmende Spezialisierung und Arbeitsteilung in der Wirtschaft wird in Deutschland mit einer Zunahme der Güterverkehrsleistung zwischen 2004 und 2025 um 71 % gerechnet – mit einem überdurchschnittlichen Anstieg von 84 % im Straßengüterfernverkehr. Mehr Verkehr bedeutet dabei auch mehr Schadstoff- bzw. Kohlendioxid-Ausstoß, mehr Flächenverbrauch und mehr Lärm. Der Verkehrsbereich ist heute für rund 20 % des Gesamt-Kohlendioxid-Ausstoßes in der EU verantwortlich. Angesichts dieser Fakten und vielfach bereits heute überlasteter Autobahnen wird der Handlungsbedarf deutlich.

Mit dem Masterplan werden sechs Handlungsschwerpunkte gesetzt. Die für den Schienengüterverkehr – zum Teil auch indirekt – bedeutsamen Teile sind im Folgenden beschrieben:

1. Verkehrswege optimal nutzen, Verkehr effizient gestalten

1.1 Beschleunigte Einführung des europäischen Zugsicherungssystems „European Train Control System“ (ETCS)

Für den Schienengüterverkehr von hoher Bedeutung ist die beschleunigte Einführung des europäischen Zugsicherungssystems „European Train Control System“ (ETCS) auf den hochbelasteten Schienenkorridoren Deutschlands. Durch die Einführung von ETCS wird die Kapazität der betroffenen Strecken erweitert, der grenzüberschreitende Verkehr in Europa wird durch das einheitliche Zugsicherungssystem deutlich vereinfacht. Derzeit sind in Deutschland folgende sechs Korridore für die Ausrüstung mit ETCS vorgesehen:

  • Emmerich—Basel
  • Aachen—Horka/Frankfurt (Oder)
  • Flensburg—Kufstein
  • Kehl—Salzburg
  • Darmstadt—Passau
  • Hamburg—Berlin—Bad Schandau

Die Umsetzung von ETCS soll auf deutscher Seite beschleunigt werden und bis 2015 erfolgen.

1.2 Beschleunigte Umsetzung der Erweiterung von Lkw-Parkplatzkapazitäten an Bundesautobahnen

Angesichts weltweit zunehmend knapper werdender Ölvorräte mit regelmäßig neuen Rekordpreisen ist ein Ziel unverständlicherweise ausgerechnet die beschleunigte Realisierung von Lkw-Parkplatzmöglichkeiten an bzw. in der Nähe von Bundesautobahnen. Es sollen 11.000 Parkplätze zusätzlich geschaffen werden. Allein für dieses Ausbauprogramm stehen bis 2015 insgesamt 250 Mio. Euro (!) zur Verfügung. Im Jahr 2008 sollen davon 35 Mio. Euro investiert werden. Wird so eine Verkehrsverlagerung auf die Schiene gefördert?

2. Verkehr vermeiden

2.1 Verstärkte Investitionen in innovative und kapazitätssteigernde Technologien

Ziel hierbei ist, durch Investitionen in innovative und kapazitätssteigernde Technologien bzw. Nutzung von Leistungsreserven eine Effizienzsteigerung des Verkehrssystems zu erreichen. Beispiele dafür sind

  • Beförderung längerer Züge auf ausgewählten Strecken,
  • Doppelstock-Verkehre auf ausgewählten Strecken,
  • ICE-G / Luftfrachtersatzverkehr zwischen Leipzig und Frankfurt am Main.

Mit der Erarbeitung einer entsprechenden Förderrichtlinie zur Unterstützung von Pilotprojekten wird durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) im laufenden Jahr begonnen.

2.2 Einführung von progressiv gestalteten Mautsätzen

Von Bedeutung für den Schienengüterverkehr ist die geplante Prüfung der Einführung von progressiv gestalteten Mautsätzen für die Lkw-Konkurrenz. Seitens des BMVBS wird hierbei noch untersucht, inwieweit durch eine transportweitenabhängige Gestaltung des Mautsystems eine Änderung des Modal Splits zugunsten der Schiene erreicht werden kann. Diese Untersuchung soll im Zeitraum zwischen 2009 und 2010 durchgeführt werden.

3. Mehr Verkehr auf die Schiene

3.1 Abschaffung der Stromsteuer im Schienengüterverkehr

Güterverkehr
Güterzug im Kombinierten Verkehr mit SBB-Lok auf dem Berliner Außenring am Bahnhof Genshagener Heide. Der Kombinierte Verkehr verknüpft die einzelnen Verkehrsträger und nutzt dabei ihre jeweiligen Leistungsstärken. Es müssen aber auch ausreichend Investitionsmittel bereitgestellt werden, um den Ausbau dieses Systems zu gewährleisten und eine wirkungsvolle Entlastung der Straße zu erreichen. Foto: Christian Schultz

Die Stromsteuer benachteiligt die Schiene hinsichtlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Straße. Die Belastung durch die Stromsteuer im gesamten Schienenverkehr beträgt ca. 140 Mio. Euro jährlich. Davon entfallen auf den Schienengüterverkehr ca. 36 Mio. Euro. Die Abschaffung der Stromsteuer leistet damit einen wichtigen und notwendigen Beitrag, um die Rahmenbedingungen zugunsten der Schiene zu verändern – im Güterverkehr und im Verkehr insgesamt. Die Maßnahme soll bis 2009 umgesetzt werden.

3.2 Aufstockung der Mittel für den Kombinierten Verkehr

Die derzeit bestehenden intermodalen Umschlaganlagen sind in der Regel hoch ausgelastet. Da Prognosen auch künftig überproportional hohe Steigerungsraten in diesem Bereich ausweisen, sollen die Fördermittel für den Neu- bzw. Ausbau von Umschlaganlagen des Kombinierten Verkehrs von derzeit jährlich 62,5 Mio. Euro auf jährlich 150 Mio. Euro aufgestockt werden. Mit diesen Investitionen kann voraussichtlich eine Verlagerung von rund 78 Mio. t bzw. 49,3 Mrd. tkm erreicht werden. Dies entspricht einer Reduzierung an Kohlendioxidemissionen von 7,5 Mio. t im Jahr. Die erforderlichen finanziellen Mittel sollen ab dem Haushaltsjahr 2009 ff. bereitgestellt werden.

3.3 Weiterentwicklung von Umschlagtechnik und Organisation im Kombinierten Verkehr

Mit Einführung einer Förderrichtlinie sollen Pilotprojekte unterstützt werden, die der Entwicklung innovativer Umschlagtechniken im Kombinierten Verkehr dienen (z. B. parallele horizontale Verladungsmöglichkeiten). Ziel sind dabei einerseits die weitere Effizienzsteigerung dieses Bereichs, andererseits ein Anreiz für weitere Verkehrsverlagerungen. Der jährliche Finanzmittelbedarf liegt bei ca. 30 Mio. Euro.

3.4 Anlastung externer Kosten

Externe Kosten sind derzeit nicht in den Marktpreisen enthalten. Hierzu zählen im wesentlichen Kosten für Luftverschmutzung, Klimaschäden, Lärmschäden, Unfallschäden und Staus. Dadurch ergibt sich die widersinnige Situation, dass der Preis für eine Verkehrsleistung nicht die tatsächlichen Kosten widerspiegelt. Daher ist ein Konzept zur verstärkten Einbeziehung externer Kosten bei der Berechnung der Mauthöhe geplant. Erwartet werden mit dieser Maßnahme Veränderungen des Modal Splits zugunsten umweltfreundlicherer Verkehrsträger, aber auch die zeitliche und örtliche Entzerrung von Verkehrsströmen (Stauverminderung).

4. Verstärkter Ausbau von Verkehrsachsen und -knoten

4.1 Entmischung von Personenund Güterverkehr

Zur Engpassbeseitigung bei der Schiene soll die Strategie „Netz 21“ der DB AG, d.h. die Entmischung von langsamen und schnellen Verkehren, fortgeführt und beschleunigt werden.

Äußerst fragwürdig zu diesem Thema sind dagegen die Aussagen im Masterplan zum Güter- und Personenverkehr auf der Straße: „Die Entmischung von Güter- und Personenverkehr auf der Straße lässt sich am effizientesten durch sechsund achtspurigen Ausbau der Bundesautobahnen erreichen. Für den Ausbau der Abschnitte auf den Bundesautobahnen sollen die entsprechenden Baumaßnahmen beschleunigt durchgeführt werden.“ Derartige „Betonorgien“ sind vor dem Hintergrund der sich deutlich verschärfenden Energie- und Klimaproblematik kaum als weitsichtig einzustufen.

4.2 Überprüfung der Bedarfspläne

Für 2009 ist die Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes geplant bzw. die Überarbeitung der Bedarfspläne.

5. Umwelt- und klimafreundlicher, leiser und sicherer Verkehr

5.1 Lärmminderung bei der Schiene

Im Schienenverkehr besitzt die Lärmproblematik einen besonderen Stellenwert, da überregionale Strecken vielfach durch dicht besiedelte Gebiete führen. Neben dem Bau von Lärmschutzwänden kommt hier der Anschaffung lärmarmer Güterwagen bzw. der Umrüstung vorhandener Fahrzeuge besondere Bedeutung zu. Entsprechende Anreizsysteme sollen durch die Einführung einer aufkommensneutralen Differenzierung der Trassenpreise nach Lärmemissionen geschaffen werden. Diese Maßnahme soll innerhalb von fünf Jahren umgesetzt werden.

Für die Lärmsanierung sind im Bundeshaushalt 2008 von den dort eingestellten 100 Mio. Euro 10 Mio. Euro für ein Pilotund Innovationsprogramm zur lärmmindernden Umrüstung bestehender Güterwagen zweckgebunden eingeplant. Insgesamt werden hierfür 40 Mio. Euro verteilt auf vier Jahre bereitgestellt.

Güterverkehr
Autobahn A12 zwischen Berliner Ring und Polen. Regelmäßig wird von Wirtschaft und Politik in Brandenburg der Ausbau auf sechs Fahrspuren gefordert. Angesichts der Klimaentwicklung und drastischer Kostensteigerungen für Dieselkraftstoff sollte es besser Initiativen für eine forcierte Verlagerung von Gütertransporten auf die Schiene geben. Foto: C. Schultz

6. Gute Arbeit und gute Ausbildung im Transportgewerbe

6.1 Verstärkte Durchsetzung von Sozialvorschriften im Straßengüterverkehr

Verstöße gegen Verkehrssicherheitsregeln und Sozialvorschriften sind in der Regel maßgebliche Ursache schwerer Verkehrsunfälle. Daneben führen diese Verstöße zu ungerechtfertigten Kostenvorteilen z. B. gegenüber dem Schienenverkehr. Es ist daher zu begrüßen, wenn derartige Praktiken durch ein entsprechendes Kontrollkonzept erschwert werden sollen.

Fazit

Der vorgelegte Entwurf zum „Masterplan Güterverkehr und Logistik“ weist überwiegend in die richtige Richtung. Es wird nunmehr jedoch darauf ankommen, die beschriebenen Maßnahmen auch möglichst zeitnah umzusetzen. Das bedeutet, dass zur erforderlichen Stärkung des Schienenverkehrs endlich auch eine entsprechende Priorisierung bezüglich der Investitionsmittel erfolgen muss. Angesichts der Tatsache, dass der Preis für Dieselkraftstoff inzwischen das Niveau von Benzin erreicht und zeitweise sogar überschritten hat, sind Maßnahmen, die die Abhängigkeit von der Mangelware Erdöl zu reduzieren helfen, überfällig.

Bemühungen um alternative Kraftstoffe und Antriebstechniken reichen hier allein nicht aus, zumal Flächen, auf denen z. B. Pflanzen zur Herstellung solcher Ersatzstoffe angebaut werden, nicht auch gleichzeitig für den Anbau von Lebensmitteln zur Verfügung stehen können.

Der weitgehend elektrisch betriebene Schienenverkehr ist dagegen um ein Vielfaches energieeffizienter als der Straßenverkehr. Außerdem bietet sich beim elektrischen Schienenverkehr die Möglichkeit, auf regenerative bzw. heimische Energiequellen zurückzugreifen.

Eine Verlagerung von Transportleistungen auf die Schiene leistet nicht zuletzt einen wichtigen Beitrag zur dringend notwendigen Reduzierung der Kohlendioxid- Emissionen. In diesem Zusammenhang wäre beispielsweise die Umverteilung der für die Erweiterung von Lkw-Parkplätzen an Bundesautobahnen derzeit verplanten Investitionsmittel für eine beschleunigte Verbesserung des Kombinierten Verkehrs oder den forcierten Ausbau der für den Seehafen-Hinterlandverkehr bedeutenden Schienen-Korridore deutlich zielführender.

Deutscher Bahnkunden-Verband

aus SIGNAL 3/2008 (Juli 2008), Seite 12-14

 

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