Brandenburg

Werder hat Probleme mit seinem Bahnhof

Anstatt nicht mehr benötigte und leerstehende Gebäude und Anlagen an Kommunen zu verschenken oder für einen symbolischen Preis zu verkaufen, wird Leerstand und Verfall teilweise historischer und wertvoller Bausubstanz geduldet. Die Deutsche Bahn AG hat damit scheinbar kein Problem. Gemeinden, die grundsätzlich Interesse am Erwerb und der Nutzung solcher Immobilien haben, sind, so deren Aussage, bisher fast immer an den hohen Preisvorstellungen der DB AG gescheitert. Es sieht ganz so aus, als ob es sich um ein überregionales Problem in allen Bundesländern handelt. Warum werden dann die Bundesländer nicht beim Eigentümer vorstellig?

Service Point Bhf Werder
Anstatt das historische Empfangsgebäude zu nutzen, wurden im vergangenen Sommer direkt auf dem Bahnsteig zwei Container aufgestellt, in denen jetzt auch Fahrkarten verkauft werden. Foto: Frank Böhnke

Welcher Privatmann könnte es sich über viele, viele Jahre hinweg leisten, hohe Summen für die Sicherung ungenutzter Gebäude aufzuwenden? Vielerorts stehen einst wunderschöne Bahnhofsbauten leer. Sie wurden häufig zu „Staatsbahnzeiten“ mit Steuergeldern gebaut. Jetzt sollen sie der DB AG den größtmöglichen Ertrag bringen, was oft zu unrealistischen Preisvorstellungen führt. So werden weiterhin Leerstand, Vandalismus und Verfall in Kauf genommen. Die Kommunen haben ein Problem und können es nicht selbst lösen. Irgendwann folgt der Abriss, und dann gibt es nur noch Verlierer. Werder (Havel) ist mit seinem Bahnhofsgebäude ein weiteres Beispiel.

Mit seinen inzwischen fast 23 000 Einwohnern, der Nähe zu Potsdam und Berlin und dem Halbstunden-Takt der Regionalexpress- Linie RE 1 hat Werder seit der Wiedervereinigung zweifellos einen enormen Aufschwung genommen. Nicht nur den Titel „Blütenstadt“ führt sie nun im Städtenamen, auch im Stadtbild hat sich viel getan. Aber das imposante und noch ansehnliche Bahnhofsgebäude aus dem Jahre 1846 steht seit vielen Jahren leer. Einige alte Anschriften an ihm zeugen noch von früheren Nutzungen. Doch die Bahn braucht es nicht mehr.

Burkhard Schröder, 1. Beigeordneter der Stadt Werder, kritisierte: „Das unsanierte leer stehende Bahnhofsgebäude wirkt wie ein Fremdkörper in dieser neu geschaffenen attraktiven Infrastruktur.“ Unterstützt durch Fördermittel des Landes aus dem „Bahnhofsumfeldprogramm“ hatte die Stadt 1999/2000 der Bahnhofsvorplatz neu hergerichtet. Es entstand, ebenfalls mit Landesförderung, am südöstlichen Bahnhofsteil ein riesiges Parkhaus – kostenfrei für Autofahrer auf gekauftem ehemaligem Bahngelände.

Was bisher leider nicht zustande kam, war eine Neunutzung des Bahnhofsgebäudes. Noch 1999 hieß es in der Zeitschrift des Verkehrsministerium: „Auch das Bahnhofsgebäude soll einer neuen Nutzung und Instandsetzung zugeführt werden. Derzeit bemühen sich Stadt und Deutsche Bahn AG gemeinsam um entsprechende Investoren.“ (MSWV aktuell 3/99)

Aber ein greifbares Ergebnis gibt es auch acht Jahre später noch nicht. Beim Kaufpreis konnte zwischen Stadt und DB AG keine Einigung erzielt werden. Stattdessen wurden plötzlich Mitte Juni 2006 auf dem breiten Bahnsteig zwei mobile Container aufgestellt, in denen Zeitungen, Reisebedarf und Fahrkarten verkauft werden – alles Nutzungen, die genauso gut im Bahnhof stattfinden könnten. Und die DB AG betont (Potsdamer Neueste Nachrichten, 6. Juli 2006), dass es sich bei den Containern nicht um eine Übergangslösung handele. Gab es nicht einst eine „Kultur des Bahnreisens“? DB Station & Service tut jedenfalls alles, die Erinnerung daran verblassen zu lassen.

Zwar gibt es inzwischen ein neues Angebot seitens der DB AG, aber die Stadt Werder sieht wegen der geänderten Bundes- und Landesförderungen selbst bei einem symbolischen Kaufpreis derzeit keine Möglichkeit mehr, das Gebäude nach einer Sanierung an einen grundsätzlich weiterhin interessierten Pächter zu vermieten. Denn das schmucke Gebäude steht unter Denkmalschutz und die Stadt hat sich in den vergangenen Jahren finanziell bereits bei anderen Großprojekten so gebunden, dass der Beigeordnete Schröder keinen Spielraum für ein weiteres finanzielles Engagement der Stadt sieht. Außerdem wäre selbst bei einer Verständigung zwischen Stadt und Bahn nur die Hälfte des Problems gelöst. Denn eine Nutzungskonzeption gibt es nur für das ehemalige Bahnhofsgebäude, nicht aber für den angrenzenden Güterschuppen.

Vielleicht ist die bisherige Haltung der DB AG ja auch eine Art „Retourkutsche“ gegenüber der Stadt Werder. Die Stadt hatte 2001 erfolgreich beim Land als Besteller interveniert, um den Halbstunden-Takt durchzusetzen. DB Regio war damals dagegen und hielt einen Halt in Werder im Stundentakt für ausreichend.

Eile ist geboten! Denn sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Fensterscheiben eingeworfen und die ersten Türen aufgebrochen werden. Dann irgendwann wird es dort Brandstifter geben oder das Dach wird beschädigt. Anschließend wird das Gebäude notdürftigst mit einem Bauzaun gesichert und ein großes Schild angebracht „ZU VERKAUFEN!“. Aber dann ist alles zu spät!

Bahnkunden-Verband Potsdam-Mittelmark

aus SIGNAL 1/2007 (Februar/März 2007), Seite 21

 

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