|
|
Flexity Berlin auf Präsentationsfahrt am Alex. Das Interesse der Fahrgäste war sehr groß. Dieses 40 Meter lange Einrichtungsfahrzeug bietet 84 Sitz- und 164 Stehplätze. Die Fahrzeugserie gibt es mit 7 oder 5 Modulen (30,8 m), je als Ein- oder Zweirichter. Foto: Thomas Billik |
|
Die Fahrkartenautomaten sollten höher angebracht werden. Foto: Raul Stoll |
|
Der Sitzabstand über den Rädern ist ausreichend, auch für längere Menschen. Foto: Florian Müller Foto: Fotograf |
|
Blick in den Innenraum des Einrichtungsfahrzeugs. Deutlich die konsequente 1 plus 1,5-Bestuhlung und die großen Mehrzweckbereiche an den Türen. Foto: Florian Müller |
|
Erste Präsentation des neuen Straßenbahnzuges „Flexity Berlin“ am 19. September 2008 auf dem BVG-Straßenbahn-Betriebshof Lichtenberg. Foto: Florian Müller |
|
Foto: Florian Müller |
|
Im September wurde die neue Straßenbahngeneration
für die Hauptstadt, „Flexity Berlin“, erstmals
der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die BVG bot dem Fachpublikum und ihren Fahrgästen
gleich mehrere Möglichkeiten, den
Zug zu besichtigen oder bei einer Probefahrt
dabei zu sein. Und jedes Mal war der
Andrang groß: bei der Pressevorführung,
beim Straßenfest auf dem Alex, auf der InnoTrans
und beim IGEB-Fahrgastsprechtag
Straßenbahn auf dem Betriebshof Lichtenberg.
Das übereinstimmende Urteil: Mit
dem neuen Fahrzeug wurde ein sehr gelungener
Ersatz für die Tatrazüge entwickelt,
der allen bisherigen Berliner Straßenbahnen
weit überlegen ist. Aus Fahrgastsicht
gibt es nur kleine Mängel, die behebbar
sind.
Geliefert werden vom Hersteller Bombardier
zunächst zwei 30-Meter- und zwei
40-Meter-Züge, von denen jeweils einer als
Einrichtungs- und einer als Zweirichtungsvariante
ausgeführt werden. Diese werden
im Streckennetz erprobt, bevor später bis
zu 206 Serienfahrzeuge in Auftrag gegeben
werden sollen. Der einzige derzeit betriebsfähige
Wagen, der 40-Meter-Einrichtungszug,
soll ab Ende Oktober vor allem auf der Straßenbahnlinie
M 4 zum Einsatz kommen. Der
40-Meter-Zweirichter wird – obwohl er schon
auf der InnoTrans zu besichtigen war – erst im
Dezember an die BVG ausgeliefert und soll
dann die Fahrgäste der M 2 beglücken. Die
beiden kurzen Vorserienfahrzeuge werden
dann 2009 geliefert und hauptsächlich auf
den Linien M 10 und M 5 unterwegs sein.
Positiver Gesamteindruck
Die ersten Eindrücke sind sehr positiv. So
erscheint der Zug sehr hell, geräumig und
großzügig. Die mit Klimaanlage ausgestatteten
100-Prozent-Niederflurfahrzeuge
sind 2,40 m breit und weisen eine Einstiegshöhe
von 30 cm auf. Zum ersten Mal
hat ein Fahrzeug im Berliner öffentlichen
Nahverkehr fast allen sitzenden Fahrgästen
ausreichend Beinfreiheit eingeräumt,
so dass große Menschen hier keine Thrombose
fürchten müssen. Und auch anderen
Fahrgastgruppen hat man mehr Raum zur
Verfügung gestellt. So ist ausreichend Platz
für mehrere Rollstuhlfahrer, Kinderwagen
und Fahrräder, ohne dass Durchgänge oder
Türen verstellt werden.
Der Zugang zu den Abteilen wurde ebenfalls
erleichtert. Das neue Fahrzeug hat an
der jeweils zweiten Tür eine manuell zu
bedienende Klapprampe, die den störanfälligen
Hublift, wie er in den GT6-Fahrzeugen
der Vorgängergeneration zum Einsatz
kommt, ablöst. Auch beim Fahrscheinautomaten
wird Neuland betreten. So wird
es erstmals bei der Berliner Straßenbahn
möglich sein, mit Geldscheinen oder gar EC-Karte
zu zahlen.
Fahrscheinautomat nur für kleine Menschen
Doch so großartig das Fahrzeug im Ganzen auch
ist, entging dem geschulten Fahrgastblick
nicht, dass einige Kleinigkeiten verbessert
werden müssen. Beispielsweise ist der oben erwähnte
Fahrausweisautomat viel zu niedrig
angebracht. Das war auch dem Automatenhersteller
ACS Schweiz auf der InnoTrans
unangenehm aufgefallen. Eigentlich sei der
Automat für eine höhere Anbringung konzipiert
gewesen. Außerdem erwägt man bei
ACS Schweiz, den Neigungsgrad des Monitors
zu erhöhen, ohne die Tiefe des Automatenkastens
zu vergrößern.
Nachgedacht werden muss auch über
Standort und Anzahl der Fahrausweisautomaten.
Ein Automat für einen 40 m langen
Zug ist eindeutig zu wenig. Bereits beim
knapp 30 m langen GT6-Fahrzeug sorgt das
Aufsuchen des Automaten selbst bei mittlerer
Fahrgastbesetzung für Probleme und
hat schon manchen Fahrgast zu einem unfreiwilligen
„Schwarzfahrer“ werden lassen,
weil ein Kontrolleur ihn vor Erreichen des
Automaten „stellte“. Außerdem bleibt unklar,
wie ein Fahrgast beim neuen 40 m langen
Fahrzeug wissen soll, ob sich der Automat
im 2. oder im 6. Fahrzeugmodul befindet.
Dazwischen liegen 20 m Wegstrecke, die
weder im vollen Fahrzeug noch auf vollen
und häufig viel zu schmalen Haltestellinseln
schnell überwunden werden können.
Ebenso fehlen Fahrausweisentwerter. Ein
Entwerter sollte in der Nähe einer jeden Tür
angebracht sein.
Abzuwarten bleibt, inwiefern der Fahrgastraum
den leider hohen Vandalismusresistenz-
Anforderungen Berlins gerecht wird.
Deshalb soll nach Angaben des Herstellers
der Innenverkleidungen bereits beim vierten
Vorserienfahrzeug eine Variation ausprobiert
werden. Hierbei erhalten die Verkleidungen
eine glänzende und abweisende
Schutzschicht. Alle Fahrzeuge werden im
Übrigen mit einer Videoüberwachung ausgestattet.
Mangelhafte Festhaltemöglichkeiten
Die mit Abstand häufigste Kritik am Fahrzeug
betraf die mangelhaften Festhaltemöglichkeiten.
Die im Fahrgastraum oben
horizontal angebrachten Stangen stellten
fast niemanden zufrieden, vor allem weil die über
der Doppelsitzreihe angebrachten Haltestangen viel
zu weit außen installiert wurden, so dass sie selbst
für groß gewachsene, im Gang stehende Fahrgäste
unerreichbar sind. Unzureichend ist auch, dass es in
den Sitzbereichen keine vertikalen Haltestangen
gibt. Denn die Benutzung der Griffe an den
Sitzrückenlehnen ist fast zwangsläufig
mit Belästigungen der sitzenden Fahrgäste
verbunden. Insofern ist die geäußerte Überlegung,
andere Sitzschalen mit großzügigeren
Haltegriffen an der Oberseite zu verwenden,
nicht ausreichend. Besser wären mehr
vertikale Haltestangen.
Aber nicht nur die Fahrgäste finden keinen
festen Halt, den Fahrrädern geht es nicht besser:
So positiv es ist, dass nun in der neuen
Fahrzeuggeneration endlich auch die räumlichen
Voraussetzungen für die Fahrradmitnahme
bei der Straßenbahn geschaffen werden, so
wichtig wäre auch eine Befestigungsmöglichkeit
für die Zweiräder. Auch hier muss noch
nachgebessert werden.
Komfortable Sitzplätze, aber wenig durchdachte Anordnung
Obwohl im Fahrzeug generell ein großzügiger
Sitzteiler für viel Komfort sorgt, ist
die technisch bedingte Anordnung einer
Schräge im Beinraum der Vierersitzgruppen
zwischen den jeweiligen Drehgestellachsen
denkbar ungünstig. Nicht nur, dass
es ein seltsames seitlich schräges Sitzen
verursacht, auch ist schon der eine oder
andere durch die starke Neigung auf seinen
Sitz gestolpert. Hier ist zu überlegen,
ob man diese Anhebung des Bodenniveaus
nicht lieber im Gang anordnet, ähnlich wie
beim alten GT6-Fahrzeug. Denn weil dort
zur Überwindung des Höhenunterschiedes
wesentlich mehr Platz für die Rampe zur
Verfügung steht, wäre die Neigung dort
unproblematisch.
Auch die Sitzanordnung bedarf einer
Überarbeitung. In Höhe des Fahrausweisautomaten
ist die Durchgangsbreite durch
die Doppelsitze gegenüber der Tür sehr
schmal, was zu Stau beim Fahrgastwechsel
führen kann. Noch problematischer sind die
im Zweirichtungsfahrzeug im Modul 6 quer
angeordneten Sitzplätze, die die Gangbreite
stark einschränken. Im Einrichtungsfahrzeug
fragt man sich, warum im Modul 2 links alle
Sitzplätze ohne Not entgegen der Fahrtrichtung
angeordnet werden.
Ebenfalls unverständlich ist, warum im
Einrichtungsfahrzeug im Modul 6 das Mehrzweckabteil
nicht direkt gegenüber der Tür
angeordnet wurde. Stattdessen hat man dort
(z.T. Doppel-)Sitze eingebaut, die bei vollem
Fahrzeug zu unnötigen Komplikationen beim
Ein- und Aussteigen mit Kinderwagen oder
Rollstühlen führen werden. Auch verwundert
es, dass gerade bei der Zweirichtungsvariante
alle frei disponierbaren Sitze in derselben
Fahrtrichtung positioniert wurden.
Kommunikation mit den Fahrgästen über Sprechanlage?
Auffällig ist, dass die Fahrerkabine kein seitlich
zu öffnendes Fenster mehr besitzt. Dies
wäre jedoch aus zweierlei Gründen wichtig:
Zum einen kann es bei einem Defekt der Klimaanlage
eine nicht beschlagene Frontscheibe bis zur Fahrt in
den Betriebshof gewährleisten. Zum anderen
wird das Fenster gern zur Auskunftseinholung
an touristisch stark frequentierten Haltestellen
genutzt. Dies ausschließlich durch die geöffnete
Tür zum Fahrgastraum durchzuführen,
wäre aus Sicherheitsgründen für den Fahrer
wenig wünschenswert. Auch eine angesprochene
Ersatzlösung mit Lautsprecher und
Mikrofon, die die Verständigung nach außen
sicherstellen soll, erscheint grotesk.
Kurzsichtig ist, dass das Kuppeln der
30-Meter-Züge im Fahrgastverkehr nicht
möglich sein soll. Um 60-Meter-Traktionen
herstellen zu können, sollen die derzeit
existierenden GT6-Fahrzeuge ausreichen
und mehr 60-Meter-Traktionen sollen in den
nächsten 20 Jahren nach Auskunft der BVG
nicht benötigt werden – obwohl man doch
nach wie vor (fast) alle Berliner Haltestellen
auf diese Länge umrüstet.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum man
bei der BVG zu glauben scheint, die Fahrgastentwicklungen
und Verkehrsströme für
einen so langen Zeitraum voraussagen zu
können. Da man jetzt eine neue Fahrzeuggeneration
beschafft, sollte man auch jetzt
dafür sorgen, für möglichst alle Eventualitäten
der Zukunft gerüstet zu sein. Vielleicht
wird ja in einigen Jahren auch der Flügelbetrieb
sinnvoll oder notwendig sein.
Monitore ersetzen Matrix-Anzeiger
Zwiespältig war die Reaktion auf die neue
Form der Fahrgastinformation. Die Matrix-
Anzeiger an den Wagenübergängen sind
verschwunden und wurden durch Monitore
ersetzt, wie man sie bereits aus
der U-Bahn kennt („Berliner Fenster“).
Bei der Straßenbahn soll aber – zumindest
zunächst – keine Werbung erscheinen,
sondern beide Bildschirme werden für die
Stationsanzeige genutzt. Über die derzeitige
Art der Darstellung lässt sich streiten,
nicht jedoch über die Art der „Wagenhält“
oder „Stop“-Anzeige. Diese ist nämlich
beim Flexity auf einen kleinen roten
Bereich auf dem jeweils rechten Bildschirm
beschränkt, der nicht sonderlich hervor
tritt. Hier hat die bisherige Lösung der gesonderten
Halteleuchten in den älteren
Fahrzeugen eindeutig Vorteile. Da auf den
ersten Blick gut erkennbare Halteleuchten
unabdingbar sind, muss hier bei der neuen
Straßenbahn noch nachgearbeitet werden.
Auch die Anbringung der Liniennetze an
den Poster-Haltern bedarf einer Überarbeitung.
Diese sind sicherlich die meiste Zeit verstellt.
Schöner wäre es, wenn man bei den Wagenübergängen
einen Faltenbalg mit glatter
Oberfläche für die Klebe-Liniennetze hätte,
ähnlich wie bei U- und S-Bahn. Abschließend
bleibt noch zu erwähnen, dass die transparenten
Plastik-Infokörbchen für die Bauinfo-
Hefte zwar hübsch aussehen, aber ein viel zu
geringes Fassungsvolumen aufweisen.
Trotz dieser Liste an Verbesserungsmöglichkeiten
und -notwendigkeiten ist jedoch
unstrittig, dass bereits mit den vorgestellten
Prototypen ein Fahrzeug zur Verfügung
steht, zu dem man der BVG nur gratulieren
kann. Wenn man nun noch bei der Serienfertigung
die genannten Punkte berücksichtigt,
haben die Berliner ein sehr attraktives Fahrzeug
auf der Straße, das die Grundlage für
eine positive Entwicklung der Straßenbahn
in Berlin sein kann. (hm)
IGEB Stadtverkehr
|