|
Europas Städte bleiben auf sich allein gestellt,
wenn sie ihre Verkehrspolitik umweltfreundlich
umbauen wollen. Das ist die schlechte
Nachricht, die die EU vergangene Woche
ausgesendet hat. Statt einen konkreten und
hilfreichen Rahmen für die Ballungsräume
in den 27 Mitgliedsstaaten zu schaffen, hat
sich die Mehrheit der Abgeordneten für ein
seichtes Papier entschieden. Grüner soll‘s
werden, weniger Lärm geben und mehr Lebensqualität.
Wie das geschehen soll, dazu
halten sich die Verkehrspolitiker ebenso bedeckt
wie zuvor die EU-Kommission, die den
ganzen Prozess mit ihrem Grünbuch „Hin
zu einer neuen Kultur der Mobilität in der
Stadt“ angestoßen hat. Ein „Sushi-Menu“ zur
freien Auswahl an Maßnahmen gegen Verkehrsprobleme
wollte der österreichische
Berichterstatter, der Konservative Reinhard
Rack, den Städten anbieten. Die kriegen mit
dem Beschluss aber bestenfalls eine Liste
von Zutaten – ohne Rezept.
Nun könnte man fragen, was sich die EU
überhaupt darum schert, wie die Städte in
Europa ihre Verkehrsprobleme lösen? Will
hier das „ferne Brüssel“ mal wieder regulieren,
wo man doch vor Ort am besten entscheiden
kann? Gerade deutsche Länder und Städte –
allen voran die Bayern – haben diese Frage
kritisch gestellt. Für sie ist es ein klarer Eingriff
in die
Subsidiarität, nach der die europäische
Ebene nur dann aktiv wird, wenn lokale oder
nationale Politik der Sache allein nicht Herr
werden kann. Die Kritiker der EU-Initiative
können sich nun beruhigt zurücklehnen. Sie
bleibt so beliebig, dass sie nichts ändern wird.
Dabei wäre europäisches Handeln dringend
geboten. Acht von zehn EU-Bürgern
leben in Städten – und sie leiden fast überall
unter denselben Problemen: Staus, Unfälle,
Lärm und Luftverschmutzung. Auch im
Kontext des Klimawandels spielen die Städte
eine zentrale Rolle. Der Verkehr ist hier für
rund 40 Prozent aller CO2-Emissionen und
70 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich.
Es wird der EU nicht gelingen, die eigenen
Klimaschutzziele zu erreichen, wenn der
Verkehr nicht verringert und vom Auto auf
Bahn, Bus, Radfahren und Zu-Fuß-Gehen
umgestiegen wird. Allein mit diesen Zahlen
auf den engen Zusammenhang im Parlamentsbericht
hinzuweisen, ging der Mehrheit
der Abgeordneten aber schon zu weit.
Auch konkrete Maßnahmen bleiben
Fehlanzeige, so etwa der Vorschlag, die
Verkehrssicherheit durch ein generelles
Tempo-Limit von 30 km/h zu erhöhen (mit
der Möglichkeit, dass die Städte eigenständig
für bestimmte Straßen höhere Geschwindigkeiten
ausweisen). Sinnvoll wäre
auch, die EU-Gelder nur dann zu gewähren,
wenn Städte einen nachhaltigen Mobilitätsplan
vorlegen können. Derzeit werden
60 Prozent der EU-Gelder im Verkehrsbereich
für Straßenprojekte eingesetzt, nur
20 Prozent gehen in den Öffentlichen Nahverkehr
und die Schiene. Unwissenheit und
Unwillen kommen da oft zusammen: So hat
der rot-rote Senat in Berlin immer wieder
erklärt, die EU gebe kein Geld für Busse
und Bahnen. Das ist schon jetzt nicht richtig.
Das EU-Parlament hat sich auf Initiative
der Grünen bereits 2007 dafür ausgesprochen,
dass künftig mehr Geld in die Schiene
fließen soll, mindestens 40 Prozent der EUKofinanzierung.
Doch auch diese konkrete
Maßgabe wird im Grünbuch „Stadtverkehr“
nicht auftauchen.
Die Städte müssen ohne Unterstützung
der EU für ein Mehr an Umwelt- und Klimaschutz
sowie Verkehrssicherheit sorgen. Viele
sind dabei schon auf gutem Wege. Die EU
hat leider die Chance verpasst, ihnen dabei
zu helfen und jenen, die ihre Hausaufgaben
noch immer nicht gemacht haben, deutliche
Zielvorgaben zu setzen.
Grünbuch – eine Ideenschmiede für Gesetze
„Grün hinter den Ohren“ ist die Europäische Kommission eher selten. Wenn sie sich entscheidet,
ein Grünbuch zu einem Thema zu schreiben, liegt dieser Gedanke aber nicht
so fern. Denn mit einem solchen Papier soll erst einmal grundsätzlich abgesteckt werden,
was die EU an Gesetzesmaßnahmen vornehmen könnte. Beim Grünbuch „Hin zu
einer neuen Kultur städtischer Mobilität“, kurz Grünbuch Stadtverkehr, sollte es genau
darum gehen: abzustecken, welche legislativen Maßnahmen die EU ergreifen kann,
um die Mobilität in Ballungsräumen effizienter und umweltfreundlicher zu machen. In
einem zweiten Schritt – nach Konsultation des EU-Parlamentes – präsentiert die EUKommission
dann entweder ein sogenanntes Weißbuch, das klare Ziele benennt. Oder
sie macht direkt Vorschläge für Verordnungen und Richtlinien. So war zum Beispiel
für den Stadtverkehr ein Aktionsplan bereits für diesen Herbst angekündigt. Doch die
EU-Kommission schweigt sich noch immer aus. Vielleicht suchen sie noch nach einem
überzeugenderen Konzept.
Grünbuch Stadtverkehr der EU-Kommission im Internet:
Download: http://eur-lex.europa.eu...[..]...PDF
Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament
|