Bremen

Bremen setzt auf die Straßenbahn

In meiner Geburtsstadt Bremen gab es lange Zeit folgende Straßenbahnlinien: 1,2,3,5,6,10. Bereits als Kind fiel mir auf: Da fehlt doch was! Mein Vater klärte mich auf, dass die fehlenden Linien stillgelegt worden waren. Schon damals empfand ich das als Verlust. 30 Jahre später setzt Bremen (wieder) auf die Zukunft der Straßenbahn, auch die neue rot-grüne Koalition.

Bremen ist die größte deutsche Stadt ohne U-Bahn oder Stadtbahn-Tunnel. Das liegt sowohl am wenig soliden Baugrund als auch am chronischen Geldmangel. Obwohl die Straßenbahn immer die Hauptlast des öffentlichen Nahverkehrs in Bremen trug, wurden ab den 1950er Jahren mehrere Strecken zugunsten von Dieselbussen stillgelegt, so die Linie 7 nach Walle, die 8 und zuletzt 1972 die 4 nach Horn/Lehe.

Bremen, Marktplatz mit Rathaus und Straßenbahn
Bremen, Marktplatz mit Rathaus. Hier gehören die Verkehrsflächen den Fußgängern und Radfahrern – und der Straßenbahn. Foto: Martin Schlegel

Doch schon bald kam die Wende zugunsten der Straßenbahn, wenn auch zunächst mit zweifelhaften Projekten. Um Fördermittel für den Stadtbahnbau zu bekommen, errichtete die Hansestadt in den späten Siebzigern zwei aufgestelzte Betontrassen. Die Planer wollten offenbar beweisen, dass man mit ÖPNV-Bauten genauso viel Beton vergeuden kann, wie für Stadtautobahnen.

Andere Maßnahmen waren sinnvoller: Auf stauanfälligen Streckenabschnitten ließ das Straßenbauamt Markierungen anbringen, mit denen Autofahrern signalisiert wird, dass sie nicht auf den Gleisen fahren dürfen. Um dem Nachdruck zu verleihen, wurden die Strecken später aufgepflastert. Damit können Feuerwehr- und Krankenwagen die Strecken zwar noch befahren, für Autos bleiben sie aber tabu. All dies führte dazu, dass die Straßenbahnen nicht länger im Autostau stehen mussten und ihren Fahrplan besser einhalten konnten.

Vor einigen Jahren entschloss sich der Bremer Senat, die Linie 4 wieder aufzubauen. Auch die Universität wurde mit einer kurzen Neubaustrecke an die Straßenbahn angebunden. Dadurch erhöhten sich die Fahrgastzahlen auf der ganzen Strecke deutlich.

Heute erweist sich der Bremer Verzicht auf Tunnel als Vorteil, denn ein nahezu flächendeckendes Straßenbahnnetz erschließt die Kernstadt. Beide Neubauprojekte waren so erfolgreich, dass die rot-schwarze Koalition in der letzten Legislaturperiode ein Ausbauprogramm in Richtung Umland im Konsens verabschiedete.

Bessere Luft durch die Straßenbahn

Das Straßenbahnausbauprogramm fand auch Eingang in den Bremer Luftreinhalteplan. Dort sind fünf Neubaustrecken der Straßenbahn enthalten mit einer Streckenlänge von insgesamt 26,1 km! Zur Begründung heißt es: „In den kommenden Jahren soll das Straßenbahnnetz weiter ausgebaut werden. Mit dem Ausbau wird die Anzahl der Direktverbindungen erhöht und die Anzahl der Umsteigevorgänge reduziert. Und mit der Verlagerung vom Bus auf die Straßenbahn wird der Fahrkomfort verbessert. All dies führt zu einer erheblich höheren Attraktivität des ÖPNV“.

Rot-Grün bekräftigt Straßenbahnausbau

Nach den Wahlen im Frühjahr 2007 wurde die SPD-CDU-Koalition von einer rot-grünen Koalition abgelöst. In ihrer Koalitionsvereinbarung vom Juni dieses Jahres bekennen sich SPD und Grüne zum Straßenbahnausbau: „Die Koalitionsfraktionen bekräftigen, die beschlossenen Maßnahmen der Verlängerung der Straßenbahnlinie 1 nach Mahndorf und nach Huchting, der Straßenbahnlinien 2 und 10, der Straßenbahnlinie 4 nach Falkenberg und der Verlängerung der Straßenbahnlinie 8 nach Stuhr und Weyhe umzusetzen. Die Projekte sind planerisch weiter voranzutreiben und gemäß einem weiter zu präzisierenden Umsetzungsplan zu realisieren. Die planerische Option für die Linie 11 nach Delmenhorst soll offen gehalten werden.“

Außerdem fordert die neue Koalition für die Regio-S-Bahn eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur und ein attraktives Zugangebot. Die Spätverbindung von Bremen nach Bremerhaven soll wieder eingeführt werden.

Zurück zur Straßenbahn: Jetzt werden also bald die letzten innerstädtischen Erschließungslücken verschwinden, indem Straßenbahnlinien nach Osterholz und zum Autowerk gebaut werden. Mit dem Ausbauprogramm soll es aber vor allem gelingen, dass mehr Pendler aus dem näheren Umland auf den ÖPNV umsteigen.

Während in Städten wie Hannover und Köln die Straßenbahnen längst in die Außenbereiche führen, enden die Bremer Straßenbahnstrecken immer noch an der Stadt- und Landesgrenze. Karlsruhe beispielsweise hat erfolgreich die Straßenbahn mit den Eisenbahnstrecken verknüpft, dieses Modell übernehmen jetzt auch Kassel und Zwickau. In Saarbrücken wurde dafür sogar die Straßenbahn wieder eingeführt.

Nun will auch Bremen darauf zurückgreifen, um das Umland zu erschließen. Wenn der Widerstand in einigen Kommunen des niedersächsischen Speckgürtels aufgegeben wird, kann auch Bremen zeigen, dass die Verkehre im suburbanen Bereich nicht automatisch dem Autoverkehr überlassen werden müssen.

Interessante Einzelheiten zum Bremer Straßenbahn-Zielnetz 2010 gibt es unter:
www.bsag.de/7472

Martin Schlegel, Verkehrsreferent beim BUND Berlin

aus SIGNAL 4/2007 (August/September 2007), Seite 15

 

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