Ja, sie lebt noch
Eigentlich dürfte es diese Straßenbahn
angesichts der dramatischen
Realität des Öffentlichen Verkehrs in
Deutschland gar nicht mehr geben.
Sehr viel größere Straßenbahnbetriebe,
aber auch einzelne Netzteile
wurden in den vergangenen Jahrzehnten
stillgelegt bzw. sind von
der Stilllegung bedroht. Erinnert sei
an die Straßenbahn in Wuppertal
oder Kiel, an die Aufgabe des Tramverkehrs
Brandenburg—Kirchmöser
oder an die aktuelle Diskussion
in Berlin, wo für große Teile des
Pankower und Köpenicker Netzes
die „Schienenwürdigkeit“ in Frage
gestellt wird. Und natürlich nicht zu
vergessen das unlängst durch das
brandenburgische Verkehrsministerium
in Auftrag gegebene Gutachten
zur Zukunft der Straßenbahnen
in den Städten Brandenburg an der
Havel, Cottbus, Frankfurt (Oder) und
Potsdam. „Schienenfreundlich“ kann
man diese Aktivitäten keinesfalls
nennen – zumal in der Regel nur einseitig
wirtschaftliche Aspekte Grundlage
der Betrachtung sind.
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Beim Spatenstich in Alt-Rüdersdorf (v. l. n. r.): Andre Schaller, Bürgermeister der Gemeinde Rüdersdorf; Reinhold Schröter, SRS-Betriebsleiter; Jan Bleis, Veolia-Geschäftsführer; Henning Müller, SPD-Kreisvorsitzender Märkisch-Oderland; Dierk Homeyer, CDU-Kreisvorsitzender Märkisch Oderland. Foto: Volkmar Wagner |
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Völlig „gegen den Strom“ scheinen
die drei kleinen Überland-Betriebe
östlich von Berlin zu schwimmen: Neben
der Schöneicher-Rüdersdorfer-Straßenbahn
(Tram 88) existieren bekanntlich noch
die Woltersdorfer Straßenbahn (87) und die
Strausberger Eisenbahn (89).
Erfolgreich privatisiert
Im Jahr 2001 wurde die SRS erfolgreich privatisiert.
Seitdem hält die Niederbarnimer
Eisenbahn, ein Tochterunternehmen von
Veolia-Verkehr, 70 % der Anteile. Mit jeweils
weiteren 15 % sind die Anliegergemeinden
Schöneiche und Rüdersdorf beteiligt, die
– nicht gerade vereinfachend für diverse
Abstimmungsprozesse – noch dazu unterschiedlichen
Landkreisen angehören.
Letztendlich konnte die besonders
schwierige Hürde der Finanzierung des
Nahverkehrs genommen werden. Auch
vom Landkreis Märkisch-Oderland kamen
schließlich positive Signale und ein Verkehrsvertrag
sichert die Zukunft des Unternehmens
vorerst bis 2010.
Geschäftsführer Jan Bleis beschrieb beim
Spatenstich die Situation mit deutlichen
Worten: „In den vergangenen anderthalb
Jahren hat das Unternehmen keine einfache
Zeit durchlebt.“ Fünf Jahre nach der Privatisierung
sei die Schöneicher-Rüdersdorfer-
Straßenbahn in eine Finanzdebatte verwickelt
worden, obwohl bereits Vertragssicherheit
bis 2010 herrschte.
Die SRS hatte in den vergangenen Jahren
ihre Hausaufgaben gemacht: In den Jahren
2001/2002 wurde konsequent durchrationalisiert.
Nunmehr sind nur noch 27 Mitarbeiter
und Mitarbeiterinnen im Fahrdienst, im Werkstattbereich
und in der Verwaltung tätig. Die
kaufmännischen Leistungen werden innerhalb
der Veolia-Gruppe mit geleistet. Aktuell
2 Tatra KT4D und 5 ehemalige Heidelberger
GT6-Zweirichtungs-Fahrzeuge befördern auf
der 14 Kilometer langen eingleisigen Strecke
mit Ausweichen montags bis freitags täglich
3500 Fahrgäste, im Jahr eine Million.
Eine der schnellsten Straßenbahnen
Zielstrebig wurde an der Ertüchtigung des
Fahrzeugparks gearbeitet. Die heimische
Werkstatt leistet solide Arbeit, so dass sich
der Wagenpark den Fahrgästen in einem
attraktiven Zustand präsentiert. Und das in
einer „preußisch-sparsamen Variante“ auch
ohne Neufahrzeuge, die von einem so kleinen
Unternehmen ohnehin nicht alleine zu
finanzieren gewesen wären.
Auch bei der Ertüchtigung der Infrastruktur
konnten passable Erfolge verzeichnet
werden: Der allergrößte Teil der Strecke zwischen
dem westlichen Endpunkt am Berliner
S-Bahnhof Friedrichshagen und Rüdersdorf
wurde zwischenzeitlich rekonstruiert. Und
im Betriebshof entstand eine kleine,
feine Werkstatt nebst Abstellanlagen.
Der Erfolg der Bemühungen spricht
für sich: Die Züge der als Tram-Linie
88 voll in das Angebot des Verkehrsverbundes
Berlin-Brandenburg (VBB)
integrierten Überland-Straßenbahn
erreichen bei 18 Zwischenhalten
eine beachtliche Reisegeschwindigkeit
von 28 km/h und zählen damit
deutschlandweit zu den Spitzenreitern.
Die Bahnen sind für den Berufsund
Schülerverkehr innerorts, in der
Verbindung der Anliegergemeinden,
aber besonders auch in Verbindung
mit den anderen Verkehrsangeboten
im Verkehr von und nach Berlin
nicht mehr wegzudenken. Und sie
besitzen große Bedeutung für den
Ausflugsverkehr in die landschaftlich
reizvolle Region.
Verlässliche Perspektive
Jan Bleis nannte folgerichtig selbstbewusst
die Tram „volkswirtschaftlich
und strukturpolitisch unverzichtbar“.
Damit müsse die Diskussion zur
Finanzierung des Betriebes nach
Ablauf des Verkehrsvertrages zwingend
fortgeführt werden. Nun sei
aber erst einmal „eine verlässliche
Perspektive über alle Ebenen erreicht
worden“. Dazu hat auch das große
Engagement der Schöneicher und Rüdersdorfer
Fahrgäste beigetragen, die für „ihre“
Straßenbahn mit Unterschriftenaktionen
und Anwesenheit in allen Entscheidungsgremien
gekämpft hatten. Auch Vertreter
der „hohen Politik“ waren sich nicht zu fein,
in einer autoorientierten Gesellschaft für
die Straßenbahn einzutreten. So leisteten
die Bundestagsabgeordneten Jörg Vogelsänger
(SPD) und der Landtagsabgeordnete
Dierk Homeyer (CDU) mannigfaltige Unterstützung!
Was lange währt, wird nun hoffentlich
auch hier gut: Seit mehr als zwei Jahren waren
die Investitionen in diesem Abschnitt
mit einem Gesamtumfang von 2,3 Millionen
Euro geplant. Der erste Bauabschnitt,
der die Erneuerung der Schienen in der
Wendeschleife Alt-Rüdersdorf, die komplette
Rekonstruktion des Bahnsteig- und des
Umfahrungsgleises und den Neubau des
Ankunft-/Abfahrtsbahnsteigs in behindertenfreundlicher
Ausführung umfasst, soll
bereits am 15. Dezember abgeschlossen
sein. Der Betrieb wird mit den Zweirichtungs-
Fahrzeugen unter Nutzung eines Behelfsbahnsteiges
unmittelbar vor der Baugrenze
aufrechterhalten. 430 000 Euro kostet der
erste Abschnitt.
In den Folgejahren wird in Abhängigkeit
von den bereitgestellten finanziellen Mitteln
zügig weitergebaut: Im 2. Bauabschnitt
bis einschließlich Haltestelle Brückenstraße
entsteht eine kombinierte Tram-/Bushaltestelle,
die eine optimale Verknüpfung der
Tram 88 mit dem Bus nach Strausberg ermöglichen
wird. Als 3. Bauabschnitt folgt die
Rekonstruktion der Strecke zur Haltestelle
Breitscheidstraße, die erhebliche Frequenz
im Schülerverkehr aus dem benachbarten
Gymnasium aufweist.
Mit Abschluss der Sanierungen im Bereich
Brückenstraße (4. Bauabschnitt) gehören die
dort derzeit noch vorhandenen erheblichen
Mängel im Gleiszustand der Vergangenheit
an. Dann ist nicht nur der jüngste, erst 1975
gebaute Abschnitt der Schöneicher-Rüdersdorfer-
Straßenbahn saniert, sondern die Gesamtstrecke
präsentiert sich dann in einem
zeitgemäßen Zustand.
Politische Weichenstellung
Fahrzeug- und infrastrukturseitig scheint
dann das sympathische Unternehmen vor
den Toren Berlins gerettet. Jetzt muss nur
noch die Politik in naher Zukunft die richtigen
Weichen hinsichtlich der langfristigen
Finanzierung des Verkehrsangebotes
stellen!
Dem überaus engagierten Management der
SRS und seinen Beschäftigten sowie dem
Förderverein Tram 88 e. V. sei von ganzem
Herzen der Erfolg gegönnt. Und die Fahrgäste
stimmen ohnehin bereits seit Jahren mit
den Füßen pro Tram ab!
Mittlerweile hat sich so die SRS zu einer
Art Vorzeigeunternehmen für „zeitgemäßen
ÖPNV unter schwierigsten Randbedingungen“
entwickelt. Ein bundesweiter
Erfahrungsaustausch im Sinne „best practices“
soll hiermit ausdrücklich angeregt
werden! Berlin-Brandenburgischer Bahnkunden-Verband
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