International

Aktionsplan Städtische Mobilität

Die Zahlen sprechen für sich: In der Europäischen Union ist der Verkehr für ein Drittel aller CO2-Emissionen verantwortlich. Schlimmer noch: Seine Emissionen haben seit 1990 um mehr als 35 Prozent zugenommen, während sie im selben Zeitraum in der Industrie oder durch die Wärmedämmung bei den Häusern um etwa 10 Prozent reduziert werden konnten. Der Verkehr frisst also doppelt und dreifach all das auf, was in anderen Sektoren mit Milliarden-Investitionen eingespart wurde. Deshalb: Ohne eine Änderung unseres Verkehrsverhaltens werden wir den Klimawandel nicht stoppen können.

U-Bahn BVG
U-Bahn zwischen Potsdamer Platz und Gleisdreieck. Der ab 1991 in Berlin regierende CDU-SPD-Senat nutzte EU-Fördermittel, um diese Strecke wieder aufzubauen. Der derzeitige rot-rote Senat verzichtet auf EU-Gelder für den ÖPNV. Foto: Marc Heller

In der EU leben 80 Prozent der Menschen in Städten oder städtischen Agglomerationen. In diesen Regionen ist der Verkehr sogar für 70 Prozent aller klimaschädlichen Emissionen verantwortlich. Weil insbesondere die städtische Mobilität der Schlüssel ist, um den Klimawandel zu stoppen, will die EU durch einen Aktionsplan die Städte in ihrem Kampf gegen den Klimawandel unterstützen.

Ein Problem ist dabei natürlich die Subsidiarität, d. h. die Autonomie der Städte muss gewahrt bleiben, die EU kann und will den Städten nicht vorschreiben, was zu tun ist. Sie kann aber sehr wohl einen Rahmen setzen – siehe Feinstaub – und kann auch durch eine gezielte Förderpolitik eine nachhaltige und umweltfreundliche Verkehrspolitik unterstützen.

In den Städten sind 90 Prozent aller Autofahrten kürzer als 6 km. Das sind Entfernungen, die bestens geeignet sind, um umzusteigen auf Bahn, Bus, Rad und Zu-Fuß-Gehen. Diese Potenziale sieht auch die Europäische Kommission in ihrem Grünbuch „Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“. Ihr geht es dabei neben dem Klimaschutz vor allem auch darum, wie die Städte die zunehmende Verkehrsbelastung und Verschmutzung in den Griff bekommen können.

Mit der Verabschiedung des Berichts über einen „Aktionsplan zur städtischen Mobilität“ setzt das Europäische Parlament die Kommission nun unter Druck. Diese hatte die Vorlage eines eigenen Aktionsplans bereits für Herbst 2008 angekündigt – legte bisher aber nichts vor. Vor allem Deutschland trat kräftig auf die Bremse, weil sich insbesondere die CDU-geführten Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg eine Einmischung aus Brüssel verbeten haben. Diese wollen offensichtlich aus Brüssel nur Geld abzocken – ohne Rücksicht auf Verluste. Und damit sind sie ja bisher auch nicht schlecht gefahren, weil ihre autofixierte Verkehrspolitik auf offene Ohren stieß.

Derzeit werden nämlich 60 Prozent der EU-Gelder im Verkehrsbereich für Straßenprojekte eingesetzt. Nur 20 Prozent fließen in den öffentlichen Nahverkehr und lediglich 0,9 Prozent in die Fahrrad-Infrastruktur. Notwendig ist deshalb eine Umschichtung der Ko-Finanzierung zu Gunsten umweltfreundlicher Verkehrsträger, wobei das Europäische Parlament schon vor zwei Jahren mit Unterstützung der Kommission beschlossen hatte, dass in Zukunft mindestens 40 Prozent der Gelder in die Schiene fließen sollen. Es ist allein der Rat der Staats- und Regierungschefs, der die Realisierung dieser Umschichtung bislang verhindert.

In dem vom Parlament beschlossenen Bericht des französischen Sozialisten Gilles Savary, dem auch die Grünen zugestimmt haben, soll die Bewilligung von EU-Geldern künftig bei Städten ab 100 000 Einwohnern an die Vorlage eines städtischen Mobilitätsplans geknüpft werden. In Zukunft sollen die Städte integrierte Pläne für einen nachhaltigen städtischen Nahverkehr erarbeiten. Diese müssen folgende Komponenten beinhalten:

  • eine Analyse, Indikatoren und Ziele der Mobilität mit ihren wirtschaftlichen, sozialen und umweltpolitischen Auswirkungen,
  • einen Plan zur Entwicklung und zur Verbindung der Verkehrsnetze,
  • einen Plan zur Entwicklung der sanften Mobilität (Rad- und Fußgängerverkehr),
  • einen Leitplan für Parkmöglichkeiten und eine Plattform für den Verkehrsträgerwechsel,
  • ein Programm zur Anpassung der Verwaltung der städtischen Mobilitätsnetze und ihrer Verbindungsmöglichkeiten an Benutzer mit eingeschränkter Mobilität,
  • einen Leitplan für Warenlieferungen, einschließlich der Möglichkeit der Nutzung der öffentlichen Infrastruktur für den Warentransport,
  • ein Verfahren zur unmittelbaren Beteiligung der Bürger.

Die EU könnte auf verschiedene Weise den Austausch und die Verbreitung bewährter Praktiken fördern. Allerdings müssten die Städte dann auch solche Projekte anmelden. Berlin z. B. könnte EU-Gelder beantragen mit dem Hinweis, dass

  • 90 Prozent aller Haushalte nur 5 Fahrradminuten von der nächsten S-, U- oder Straßenbahn-Haltestelle entfernt sind,
  • fast 50 Prozent der Haushalte kein Auto haben,
  • der Fahrrad-Anteil im letzten Jahrzehnt von 6 auf fast 15 Prozent sich mehr als verdoppelt hat,
  • eine dezentrale Stadtstruktur mit 23 bezirklichen Zentren existiert,
  • ein sehr gutes öffentliches Verkehrsnetz angeboten werden kann,
  • mit 317 Autos auf 1000 Einwohner der Bundesdurchschnitt von 550 erheblich unterboten wird und Berlin damit in Europa eine Spitzenstellung einnimmt.

Der Berliner Senat könnte also Gelder einfordern, um die noch immer bestehenden Defizite zu beheben. Insbesondere könnte das Zusammenwachsen der Stadt mit den drei wichtigsten grenzüberschreitenden Straßenbahnlinien gefördert werden:

  • mit der Verlängerung der Tram von Rosenthal mit einer Schleife durch das Märkische Viertel bis zum Rathaus Reinickendorf,
  • mit der Verlängerung der Tram durch die Invalidenstraße zum Hauptbahnhof, um sie mit einer Trassenführung durch die Turm- und Beusselstraße mit den am Virchow- Klinikum endenden Straßenbahnlinien zu verbinden,
  • und mit der Verlängerung der Straßenbahn vom Alexanderplatz durch die Leipziger Straße zum Kulturforum und weiter zum Rathaus Steglitz.

Doch von all diesen Möglichkeiten macht der von SPD und Linkspartei getragene Senat keinen Gebrauch und verschmäht auf diese Weise auch mögliche Ko-Finanzierungen der EU. Die taz titelte deshalb am 29. Mai: „Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg“.

Michael Cramer, MdEP, Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament

aus SIGNAL 3/2009 (Juli 2009), Seite 21

 

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