|
Straßenbahn vor dem Cottbuser Rathaus.Offenbar hat man im Rathaus keine Wirtschaftlichkeitsberechnung für die Stilllegung gemacht. Foto: Florian Müller |
|
Die aktuellen Probleme der Cottbuser
Straßenbahn wurden bereits ausführlich
in SIGNAL 4/2009 dargestellt, wobei der
Schwerpunkt auf den wünschenswerten
Streckenerweiterungen lag. Das in diesem
Zusammenhang gestartete Bürgerbegehren
lief unterdessen erfolgreich weiter, so
dass der Initiative ProTramCottbus Mitte
November bereits rund 11 500 Cottbuser
Unterschriften vorlagen. Etwa 8 500 gültige
Unterschriften sind mindestens nötig. Je
größer die Unterstützung ist, desto höher ist
der Druck. Für die vom Cottbuser Oberbürgermeister
Frank Szymanski ausgeschriebene
Machbarkeitsstudie, in die die wesentlichsten
Inhalte des Bürgerbegehrens sowie
zusätzliche Anregungen von ProBahn übernommen
wurden, will die Stadt Cottbus bis
Ende November 2009 das Gutachterbüro
ausgewählt haben.
Oberbürgermeister spielt auf Zeit
Die von der Stadtverwaltung geplante Streckenstilllegung
wurde im SIGNAL-Beitrag
nur kurz angerissen mit dem Hinweis, dass
dieses Problem
vermutlich im neu gegründeten
Fahrgastbeirat weiter diskutiert werden
würde. Das ist bisher nicht geschehen,
denn der Fahrgastbeirat war in seinen ersten
Sitzungen hauptsächlich mit Problemen
seiner Satzung sowie seines rechtlichen Status
beschäftigt. Die Zusammenarbeit mit
der Stadt Cottbus und deren Mitgliedern gestaltet
sich in dieser Hinsicht ausgesprochen
schleppend. Dabei wird das Streckenstilllegungsproblem
mittlerweile akut, denn die
erste Stilllegung – die Strecke nach Schmellwitz-
Anger – soll bereits Ende 2010 realisiert
werden. Szymanski spielt offenbar auf Zeit.
Im Folgenden geht es deshalb um die
Problematik der Stilllegung der beiden
Streckenäste nach Schmellwitz-Anger und
Jessener Straße.
Vorbereitung auf Busbetrieb
Der Beschluss IV-094/09 der Cottbuser
Stadtverordnetenversammlung legt fest,
dass die Umstellung der Straßenbahnstrecken
nach Schmellwitz-Anger und zur Jessener
Straße auf Busbetrieb „vorzubereiten“
sei. Dies steht nach unserer Auffassung im
krassen Widerspruch zur allgemeinen nationalen
und internationalen Entwicklung, was
nachstehend bewiesen werden soll.
Selbst die „WirtschaftsWoche“, die sicher
des Tram-Lobbyismus unverdächtig ist, ist
auf die Straßenbahn umgestiegen. In ihrer
Ausgabe Nr. 32 vom 3. August 2009 schreibt
sie unter dem Titel „Oben ohne unterwegs“
– der Titel soll auf neue
technische Möglichkeiten der Tram
hinweisen, hier: Die Elektrische
ohne Oberleitung – unter anderem
auf Seite 66:
„Vorbei die Zeiten, in denen Bürgermeister
und Stadträte die einst rumpelnden Ungetüme
von den Straßen verbannten, die Verkehrsplanung
ganz aufs Auto konzentrierten
– und nebenbei die Innenstädte veröden ließen.
Steigende Spritpreise und Parkgebühren
haben das Umdenken beschleunigt. Mit
der Rückbesinnung auf die Werte urbaner
Zentren und dem Ende von Stadtflucht und
Zersiedlung kehren nun auch die Straßenbahnen
als schnelle, komfortable und hocheffiziente
Massenverkehrsmittel zurück.“
Innovative Städte setzen auf die Straßenbahn
Für die „Initial-Zündung“ der Straßenbahn-
Renaissance in Westeuropa hat wohl Frankreich
gesorgt.
Nachdem die Straßenbahn 1960 fast total
aus Frankreichs Städten verschwunden war,
führte Nantes bereits 1985 als erste französische
Stadt nach dem II. Weltkrieg ein
neues Straßenbahnsystem ein und in 2006
existierten dann in Frankreich schon 11 Netze
der zweiten Generation (Dissertation Dr.
Groneck, Bergische Universität Wuppertal,
2007).
Aber auch in Deutschland erlebte und
erlebt die Straßenbahn ihr Comeback: Neu
eingeführt wurde sie in den letzten Jahren
in Heilbronn, Oberhausen und Saarbrücken.
Längerfristige (ernsthafte) Planungen gibt
es in Kiel und Tübingen; Hamburg bereitet
die Einführung bis 2014 vor (gegenwärtig
läuft die konkrete Planung).
Ausgebaut wurden in den letzten Jahren
fast alle bestehenden Straßenbahnsysteme
in der Bundesrepublik. Und der Osten
Deutschlands spielt in diesem Rahmen eine
nicht unbeträchtliche Rolle. Neue Strecken
sind hier nach 1990 in folgenden Städten
entstanden:
- sehr umfangreicher Ausbau in Halle, Erfurt,
Rostock, Zwickau, Jena, Gera;
- Ausbau in Berlin, Dresden, Leipzig, Chemnitz,
Magdeburg, Nordhausen, Dessau;
- eher kurze Ergänzungsstrecken in Gotha,
Halberstadt, Görlitz.
Interessant ist in diesem Zusammenhang,
dass auch in Leipzig nach der Wende nennenswert
Strecken stillgelegt wurden; gegenwärtig
laufen hier jedoch Bestrebungen,
die aufgegebenen Strecken durch O-Busse
wieder zu revitalisieren.
Gera hatte wohl beim Streckenausbau den
größten Erfolg. Das „Straßenbahn-Magazin“
Nr. 4/09 führt dazu aus, dass hier infolge von
Tram-Streckenerweiterungen der ÖPNVKostendeckungsgrad
auf 79 Prozent erhöht
werden konnte und dass trotz 25-prozentigem
Einwohnerschwund die Fahrgastanzahl
um 17 Prozent gesteigert wurde. Zum
Vergleich: Cottbus liegt laut PTV-Gutachten
bei einem ÖPNV-Kostendeckungsgrad von
51 Prozent und die Fahrgastzahlen sinken.
Der oft gehörte Hinweis, dass Cottbus
eher eine Fahrradstadt sei, muss sicher auch
wie folgt interpretiert werden: Wo kein effektiver
ÖPNV existiert, steigt man halt eher
auf das Fahrrad oder in das Auto oder geht
gleich zu Fuß. Eine geradezu klassische Verkehrung
von Ursache und Wirkung!
Damit soll aber das Fahrrad nicht verteufelt
werden. Vielmehr sollte heute in der
Verkehrsplanung eigentlich eines „common
sense“ sein: Will man erfolgreich dem
Autoverkehr Anteile „abjagen“, muss man
alle Verkehrsträger des sogenannten Umweltverbundes
(ÖPNV, Rad, Zu-Fuß-Gehen)
fördern. Fördert man nur ein Element davon,
dann gewinnt man üblicherweise nur
„Umsteiger“ von den anderen Elementen des
Umweltverbundes – und kaum Umsteiger
vom Auto. Das Auto ist einfach für viele unglaublich
attraktiv – und das für jeden individuell
aus den unterschiedlichsten Gründen.
Will man mit diesem Verkehrsmittel ernsthaft
in Konkurrenz treten, muss man alle
ökologischen und stadtverträglichen Formen
des Verkehrs fördern. Und dazu zählt
nun einmal der gesamte Umweltverbund.
Die Welt baut Tram-Netze neu und aus
und Cottbus will Strecken stilllegen: Ein Anachronismus
allererster Güte!
Kein Versuch, die Attraktivität zu steigern
Zwar kommt man nicht umhin, den fraglichen
Streckenästen relativ geringe Fahrgastzahlen
zu bescheinigen. Aber es sind
auch keine Versuche seitens Cottbusverkehr
zu erkennen, die Attraktivität dieser
Streckenäste zu erhöhen. Und man muss
weiterhin die geringe Auslastung im Zusammenhang
mit den avisierten Streckenerweiterungen mit voraussichtlich guter
Nachfrage betrachten:
- Die Gesamtwirtschaftlichkeit des Systems
steigt, da überproportional neue
Fahrgäste gewonnen werden. Schwach
genutzte Strecken, die weiter zu sogenannten
Grenzkosten betrieben werden,
wirken sich dann wesentlich weniger auf
die Gesamtkostenrechnung der Straßenbahn
aus, da das Netz vor allem aus gut
genutzten Strecken besteht, die die Vorhaltung
der gesamten Straßenbahninfrastruktur
rechtfertigen. Auch bei geringer
Nutzung tragen die Strecken zu einer besseren
Nutzung des ÖPNV bei, da hier der
Schienenbonus wirkt. Damit kann man zu
Grenzkosten einen hochwertigen ÖPNV
auch noch auf Strecken anbieten, für die
allein gerechnet die Vorhaltung des Systems
Straßenbahn nicht gerechtfertigt
wäre.
- Je nach Netz- und Liniengestaltung können
durch die starken neuen Strecken
auch neue Fahrgäste für die schwach genutzten
Strecken dazugewonnen werden,
da völlig neue Verbindungen entstehen,
für die man bisher auf den Bus umsteigen
musste. Das kann die Bedeutung derartiger
Nebenstrecken u.U. erheblich steigern.
Keine Wirtschaftlichkeitsberechnung für die Stilllegung
|
Auszug aus dem Antwortschreiben der Stadtverwaltung zur Anfrage |
|
Den Nachweis der Wirtschaftlichkeit der
Streckenstilllegungen ist uns die Stadtverwaltung
ohnehin bisher schuldig geblieben.
ProTramCottbus-Mitglied Dieter Schuster
formulierte bereits zur Stadtverordnetenversammlung
vom 24. Juni 2009 eine diesbezügliche
Anfrage, zu der er folgende Antwort
erhielt (s. Kasten).
Eine völlig unzureichende Antwort!
Die Zuschusssenkung in Höhe von 0,8 Mio.
Euro bezieht sich auf insgesamt acht Maßnahmen,
die Zuschusssenkung infolge der
Stilllegungen ist nur eine davon.
Der Trassenrückbau wurde in die Rechnung
nicht einbezogen, weil er “… zeitversetzt
… wirksam …“ wird. Ja, treten
denn später keine Kosten auf?
Der Oberleitungsrückbau wird „… mit
eigenen Arbeitskräften erfolgen …“. Machen
die Arbeitskräfte das unentgeltlich
nach Feierabend?
Keine Aussagen zur Neubeschaffung von
Bussen sowie zur Bezuschussung des Busbetriebs!
Keine Aussagen zum zu erwartenden
Fahrgastverlust infolge der Umstellung!
Und der wird insbesondere auf der Linie 1
beträchtlich sein. Schließlich soll hier eine
Straßenbahn-Durchmesserlinie (Schmellwitz-
Anger—Thiemstraße) durch einen
Bus-Stich (Schmellwitz-Anger—Stadthalle)
ersetzt werden! Und auch von den 750
Fahrgästen (Wert aus PTV-Gutachten), die
werktags zwischen Friedrich-List-Straße
und Bahnhof unterwegs sind, werden wohl
angesichts größerer Busfahrzeiten, zusätzlicher
Umstiege und Wegfalls des „Schienenbonus“
nicht allzu viele übrig bleiben.
Eine weitere Anfrage anlässlich
der Gründungsversammlung
des Fahrgastbeirats
bezüglich des
Zuschussbedarfs bei Busbetrieb
wurde lediglich mit
Schätzwerten beantwortet.
Da bleibt eigentlich nur
folgende Vermutung: Es
existiert keine Wirtschaftlichkeitsberechnung
für die
Stilllegung der beiden Streckenäste!
Will die Stadtverwaltung
tatsächlich städtisches
Vermögen reduzieren,
ohne dies vermutlich ausreichend
begründet zu haben?
Nahezu unglaublich!
Wir denken, dass Stadtverwaltung
und Stadtverordnete
gut beraten sind,
den ÖPNV-Beschluss vom 24. Juni 2009
mindestens dahingehend zu ändern, dass
alle Streckenstilllegungen ausgeschlossen
werden. Ansonsten tappen sie weiter in die
Unglaubwürdigkeitsfalle.
Bürgerbegehren läuft weiter – unterschreiben können alle wahlberechtigten Cottbuser
Die Laufzeit für das Bürgerbegehren beträgt
ein Jahr, also bis zum 14. Juli 2010. Unterschreiben
dürfen alle, die in Cottbus wohnen
und mindestens 18 Jahre alt sind. Die Listen
liegen in mehreren Geschäften in Cottbus
aus. Laden Sie die Unterschriftenliste herunter
und drucken Sie sie aus. Sobald Sie und
Ihre Familie/Freunde unterschrieben haben,
senden Sie die Liste bitte per Post an Pro
Tram Cottbus!
Weitere Informationen zum Bürgerbegehren
und die Unterschriftenliste gibt es unter www.
pro-tram-cottbus.de. Die Listen senden Sie
bitte an Joachim Nächilla +++ Görlitzer Straße 16 +++
03046 Cottbus +++ Telefon 03 55 4 83 83 26
Initiative ProTramCottbus
|