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Nicht wenige Bahnhöfe entstehen an Orten,
die zunächst einmal nur durch technische
Notwendigkeiten und günstige geographische
Bedingungen bestimmt sind, ohne
dass man dabei auf das vorgefundene städtebauliche
Umfeld besondere Rücksicht
nimmt.
Vor dem Bau des ersten Anhalter Bahnhofs
im Jahre 1841 etwa gab es an diesem
Standort noch nicht einmal ein Stadttor in
der alten Berliner Zollmauer – erst die Eisenbahngesellschaft
ließ dieses anlegen.
Aber trotz dieser ungünstigen Ausgangsbedingungen
entwickelte sich die Gegend
rund um den Askanischen Platz im folgenden
Jahrhundert zu einem sehr lebendigen
Stadtquartier, in dem vor allem zahlreiche
Hotels für die ankommenden Bahnfahrgäste
ihre Pforten öffneten. Auch bei Berlins
neuem Hauptbahnhof, dessen Standort im
„Niemandsland“ ebenfalls technischen Erfordernissen
geschuldet ist, kann man darauf
hoffen, dass die Stadtentwicklung in Zukunft
den Vorgaben der Technik folgen wird.
Verkehrsbedürfnis des „Neuen Westens“
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Seit 125 Jahren gibt es den Fernbahn Berlin Zoologischer Garten, doch seit 3 Jahren fahren hier fast alle Fernzüge ohne Halt durch. Symbol für den Niedergang des Fernbahnhofs sind die leerstehenden und verwahrlosenden „Terrassen am Zoo“. Foto: Marc Heller |
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Es gibt jedoch auch die umgekehrte Variante,
bei der der Bahnbau der Stadtentwicklung
folgt. Um eine solche handelt es sich beim
Bahnhof Zoo. Anlässlich der Eröffnung der
Stadtbahn im Jahre 1882 errichtete man im
Zuge dieser Verbindungsbahn an der Westseite
des Zoologischen Gartens gleich eine
Station, um den Verkehrsbedürfnissen
des aufstrebenden „Neuen Westens“ Rechnung
zu tragen. Zunächst hielten
dort nur Vorortzüge, doch bereits zwei Jahre
später, am 15. Oktober 1884, entstand auch
an den Ferngleisen ein Bahnsteig. Um die
Kapazität zu erhöhen, erweiterte man den
Fernbahnteil Mitte der 1930er Jahre auf vier
Bahnsteiggleise und verschob den S-Bahnhof
nach Westen.
Neben den traditionellen Berliner Kopfbahnhöfen
erlangte die Stadtbahn schon
bald nach ihrem Bau eine wichtige Rolle für
den Personenfernverkehr und wurde von
zahlreichen Fernzügen frequentiert. Auch
internationale Express- und Luxuszüge wie
der „Nord-Express“ verkehrten hier – wobei
letztere zwar häufig die beiden eher unbedeutenden
Stationen Charlottenburg und
Alexanderplatz ausließen, aber ansonsten
nicht nur am betrieblich wichtigen Schlesischen
Bahnhof (heute: Ostbahnhof) hielten,
sondern auch an der Friedrichstraße und
am Zoologischen Garten – beide in wichtigen
Verkehrszentren gelegen. Angesichts
dieser Bedeutung ist es auch kein Wunder,
dass beispielsweise der Schriftsteller Klaus
Mann in seinem 1932 erschienenen Roman
„Treffpunkt im Unendlichen“ einen seiner
Protagonisten ganz selbstverständlich am
Bahnhof Zoo den Morgenzug nach Paris besteigen
lässt.
DB spielt Bedeutung herunter
Wie man sieht, spielte der Bahnhof Zoo also
bereits in der noch ungeteilten Stadt in der
Liga der Berliner Bahnhöfe weit oben mit.
Trotz der zahlreichen Belege für die lange
Geschichte des Fernbahnhofs Zoo erdreistete
sich die Deutsche Bahn AG im Juni 2005
jedoch, auf einer Schautafel im Zuge einer
Ausstellung über die Berliner Eisenbahngeschichte
am Potsdamer Platz Folgendes
zu verkünden: „’Berlin Stadtbahn – Zoologischer
Garten’, ein S-Bahn- und unbedeutender
Regionalbahnhof, wurde wichtigster
Fernbahnhof der westlichen Zwei-Millionen-
Stadt“.
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Sonderstempel der Deutschen Bundespost Berlin aus dem Jahre 1984 zur Ausstellung des Berliner Schienenverkehrs-Verbandes. Abb: Archiv S-Bahn Museum |
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Hintergrund dieser Lüge war die Tatsache,
dass die DB AG ein Jahr vor der Fertigstellung
des „Pilzkonzepts“ für den Bahnknoten
Berlin plötzlich verkündet hatte, künftig am
Zoo keine Fernzüge mehr halten zu lassen.
Dies widersprach sämtlichen ursprünglichen
Planungen, die stets davon ausgegangen
waren, dass der neue Zentralbahnhof an
der Kreuzung der Stadtbahn mit dem neuen
Nordsüdtunnel durch mehrere dezentrale
Fernbahnhöfe – darunter auch der Bahnhof
Zoo – ergänzt wird. Schließlich hatte das
Geburtstagskind nach dem Mauerfall einen
enormen Aufschwung erlebt, nachdem es
in den Jahren der Teilung zwar durchaus der
wichtigste und zeitweise einzige Fernbahnhof
in den drei Westsektoren (zumindest für
den zivilen Verkehr) gewesen war, allerdings
aufgrund der gesunkenen Bedeutung der Eisenbahn
für den Berlin-Verkehr von sehr viel
weniger Zügen frequentiert wurde als vor
dem Krieg.
Grund für den Aufschwung nach dem
Mauerfall waren so wichtige Ereignisse wie
1993 die Aufnahme des ICE-Verkehrs und
1998 die Wiedereröffnung der sanierten
Ferngleise auf der Stadtbahn in Richtung Osten.
Anschließend hielten am Bahnhof Zoo
für mehrere Jahre nicht nur fast sämtliche
nach Berlin verkehrenden Fernzüge, sondern
auch noch fünf Regionalexpress-Linien.
Jedem vernünftigen Beobachter musste
klar sein, dass es sich hierbei nur um einen
vorübergehenden Zustand handeln konnte
und dass nach Fertigstellung der neuen Strecken
des „Pilzkonzepts“ viele Züge direktere
und für sie günstigere Verbindungen befahren
und folglich nicht mehr am Zoo
vorbeikommen würden. Nun
jedoch verkündete der damalige
Bahnchef Hartmut Mehdorn, der einmal in
einem Interview gesagt
hatte, er empfinde Bahnfahrten
über vier Stunden
als „Tortur“, und der in seiner
nahezu zehnjährigen
Amtszeit alles unternahm,
um diese Erfahrung auch
für möglichst viele seiner
Kunden erlebbar zu
machen, dass künftig am
Bahnhof Zoo auch diejenigen
ICE-, Intercity- und
Eurocity-Züge nicht mehr halten sollten, die
weiterhin die Stadtbahn befahren würden.
Als Grund führte die Bahn eine angebliche
Zeitersparnis an, doch war es recht offensichtlich,
dass man die werten „Beförderungsfälle“
um jeden Preis an den neuen
Hauptbahnhof zwingen wollte.
Christiane F. und
„ewiggestrige West-Berliner“
Dieser weitere Höhepunkt fahrgastfeindlicher
Politik aus dem Hause Mehdorn rief
bei den betroffenen Anwohnern, Hoteliers
und Kaufleuten starke Proteste hervor, und
es befremdet in diesem Zusammenhang,
dass die Auseinandersetzung um den Fernverkehrshalt
am Zoo in der Öffentlichkeit
seitdem immer wieder als solche zwischen
„Ost“ und „West“ dargestellt wird und dass
die Verteidiger des ursprünglichen, in den
1990er Jahren beschlossenen Fernverkehrskonzepts
für ganz Berlin als „ewiggestrige
West-Berliner“ diffamiert werden. Diese
Sichtweise lässt außer Acht, dass einerseits
unter Bahnchef Mehdorn zeitweilig auch
über die Abkoppelung des Ostbahnhofs
diskutiert wurde, zum anderen aber auch
Bürger aus dem Westteil der Stadt – vornehmlich
solche, die nicht in Charlottenburg
wohnen – die Schließung des Bahnhofs
Zoo ausdrücklich begrüßten,
da sie es dem Bahnhof
anscheinend immer noch
nicht verzeihen können,
dass Christiane F. dort in
den 1970er Jahren Drogen
konsumierte.
Obwohl die Proteste –
zumindest bisher – nichts
ausrichten konnten, darf
sich unser Jubilar auch
nach dem Sommer 2006
noch immer mit vollem
Recht „Fernbahnhof“
nennen, da einige wenige
Nachtzüge und Züge
privater Anbieter dort nach wie vor regelmäßig
Halt machen und somit seine Ehre
retten. Dennoch ist es ein Skandal, dass
die DB AG seit drei Jahren zahlreiche Fahrgäste,
die ihr Ziel im Westen Berlins oder in
Potsdam haben, mit sinnlosen und willkürlichen
Umwegen schikaniert. Ein Höhepunkt
in dieser Entwicklung wurde während der
S-Bahn-Krise erreicht, als Ende Juli für zwei
Wochen sowohl der Hauptbahnhof als auch
der von der Bahn häufig als Alternative zum
Zoo angepriesene Bahnhof Spandau mit der
S-Bahn gar nicht mehr zu erreichen waren.
Zoo muss wieder „richtiger“
Fernbahnhof werden
Zweifelsohne wird der Bahnhof Zoo über
kurz oder lang wieder ein „richtiger“ Fernbahnhof
werden, wenn auch in kleinerem
Maßstab als zwischen 1998 und 2006. Unsicher
ist jedoch, ob man darauf schon jetzt
rechnen darf, nur weil der Torturexperte
Hartmut Mehdorn die Bahn endlich freigegeben
hat. Viel wichtiger als diese Personalie
dürfte es sein, die DB AG auch von
dem fahrgastfeindlichen Geist zu befreien,
den der verhinderte Luftfahrtmanager dort
hinterlassen hat. Wie bei dem beispiellosen
S-Bahn-Chaos dieses Sommers dürfte auch
beim Bahnhof Zoo erst dann eine wirkliche
Besserung möglich sein.
In diesem Sinne: Happy Birthday und auf
bessere Zeiten! (amler) Berliner Fahrgastverband IGEB
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