Gleich beim zweiten Thema im Kapitel zum Verkehr,
dem „Flughafen Willy Brandt“, findet sich
regelrechter Unsinn. Eine schnelle Realisierung
der Dresdener Bahn, ist, wenn überhaupt, nur
ohne eine Tunnelführung zu erreichen. Wer einen
Tunnel in Lichtenrade fordert, verursacht
nicht nur sehr viel höhere Kosten, sondern auch
massiven Zeitverzug, denn das Planfeststellungsverfahren
müsste von vorne anfangen.
Das Kapitel „Verkehrsinfrastruktur stärken“
enthält ebenfalls Unsinn, aber auch Erfreuliches.
Unsinn ist zum Beispiel, dass Planung und Bau
der S-Bahn-Linie S 21 zu den „bereits finanziell
gesicherten und begonnenen ÖPNV-Vorhaben“
gezählt werden. Denn diese Aussage trifft nur auf
den Abschnitt vom Nordring zum Hauptbahnhof
zu. Die Durchbindung vom Hauptbahnhof zum
Potsdamer Platz, die der S 21 erst eine verkehrliche
Bedeutung gibt, ist noch lange nicht finanziell gesichert.
Gleich dahinter steht der nächste Unsinn: „Die
Realisierung der folgenden weiteren Netzergänzungen
wird technisch wie rechtlich vorbereitet
und so weit wie möglich in dieser Wahlperiode
begonnen: Straßenbahnneubaustrecke Alexanderplatz
zum Kulturforum (nach Fertigstellung
der U-Bahn-Linie 5)“. Da die U 5 wahrscheinlich erst
2020 fertig wird, kann mit dieser Rahmensetzung
die so wichtige Verlängerung der Straßenbahn zum
Potsdamer Platz/Kulturforum mit Sicherheit nicht
mehr in der 2016 endenden Wahlperiode begonnen
werden.
Erfreulich sind demgegenüber die Nennungen
der Straßenbahnneubaustrecken vom Hauptbahnhof
zur Turmstraße sowie von der Wissenschaftsstadt
Adlershof zum Bahnhof Schöneweide und die
Straßenbahnanbindung des Bahnhofs Ostkreuz.
Die Verlängerung von Adlershof ist zwar längst
nicht die wichtigste im Berliner Netz, aber die
preiswerteste und am schnellsten zu realisierende.
Denn für deren Trasse ist beim Straßenbau schon
viel Geld ausgegeben worden. Außerdem wird der
Lückenschluss zur Steigerung der Fahrgastzahlen
auf den Straßenbahnlinien in und nach Adlershof
führen.
Richtig, aber leider ohne Erfolgsaussicht ist die
Absicht zur „Verlängerung der S-Bahn ab Bahnhof
Spandau nach Westen bis nach Falkensee“, denn
Brandenburg und der Bund wollen keine S-Bahn
nach Falkensee. Und Falkensee liegt nun mal im
Land Brandenburg.
Danach kommt bereits wieder Unsinn: „Sicherung
einer Option für eine mögliche Verlängerung
der U 7 von Rudow zum Flughafen BER“. Diese
U-Bahn-Verlängerung ist im Planverfahren für
den neuen Flughafen wegen Unwirtschaftlichkeit
ausgeschieden. Außerdem verläuft sie auf einem
langen Abschnitt im Land Brandenburg, das mit
Sicherheit kein Geld für eine Verlängerung der Berliner
U-Bahn ausgibt.
Kurz darauf ein Rückfall in West-Berliner Denken
vor dem Mauerfall: „Aufrechterhaltung einer langfristigen
Option für eine mögliche Verlängerung der
U-Bahn-Linie U 8 ins Märkische Viertel planerisch
berücksichtigen“. Wer das Märkische Viertel besser
erschließen will, kann und muss die Straßenbahn
von Rosenthal zum S- und U-Bahnhof Wittenau verlängern.
Das ist sehr viel preiswerter und erschließt
mehr Fahrgäste im Märkischen Viertel.
Richtig ist der Einsatz von SPD und CDU für die
„Realisierung der Stettiner Bahn“. Doch er kommt
für den Berliner Abschnitt zu spät, denn den wichtigen
Ausbau auf zwei Gleise in Berlin-Pankow wird
es in den nächsten Jahren leider nicht geben (siehe
auch Foto Seite 24).
Sehr erfreulich ist die Aussage „Der Prignitz-Express
soll über die Kremmener Bahn bis nach Gesundbrunnen
geführt werden.“ Hier darf Berlin auf
volle Zustimmung aus Brandenburg rechnen, was
bei der von SPD und CDU ebenfalls angestrebten
Wiederinbetriebnahme der Heidekrautbahn auf
ihrer Stammstrecke über Berlin-Wilhelmsruh nicht
der Fall sein wird.
Nur Absichtserklärungen, aber sehr unterstützenswert,
sind die Aussagen: „Wir werden eine Fortschreibung
des Leistungsvolumens für den ÖPNV
und den schienengebundenen Personennahverkehr
vornehmen; eine Ausweitung wird angestrebt.
In diesem Zusammenhang werden wir uns gegen
eine Reduzierung und für eine Dynamisierung der
Regionalisierungsmittel einsetzen.“ Da kann
man den Koalitionären nur viel Erfolg wünschen.
Dass SPD und CDU die Verlängerung der Stadtautobahn
A100 vereinbaren werden, war zu
erwarten. Aber dass beide „die Umgestaltung
der durch die Verlängerung der A100 entlasteten
Straßenabschnitte zugunsten der Verkehrsarten
des Umweltverbunds und nicht verkehrlicher
Nutzungen vorantreiben“ und „zeitgleich mit der
Fertigstellung der entsprechenden Bauabschnitte“
realisieren werden, muss man bezweifeln. Eine
jahrzehntelange Erfahrung steht dagegen.
Dass es diese Koalition nicht bei der A100 belässt,
sondern auch sonst auf Straßenneubau setzt, war
ebenfalls zu befürchten. Besonders schmerzlich ist,
dass hierfür EU-Mittel ausgegeben werden sollen,
deren Einsatz der Berliner Senat beim öffentlichen
Verkehr stets verweigert hat.
Positiv ist natürlich die Absicht, „auf allen politischen
Ebenen auf eine zügige Verbesserung der
Schienenwege v. a. in die zentraleuropäischen
großen Nachbarstädte Stettin, Breslau und
Prag“ hinzuarbeiten. Hier ist besonders die CDU
gefordert, an die von ihr geführte Bundesregierung
heranzutreten, denn ohne bundespolitische Unterstützung
ist die Absicht nahezu wertlos. Ähnliches
gilt für die Aussage, dass „am Bahnhof Zoo wieder
Fernverkehrszüge halten“ sollen.
Konsequent ist, am Bahnhof Köpenick einen
Regionalverkehrshalt zu vereinbaren und zugleich
auf den Regionalbahnhof Karlshorst zu verzichten,
verbunden mit der Zusage zur „Bestellung zusätzlicher
Regionalverkehrshalte am Bahnhof Ostkreuz“.
Positiv ist die Absicht, den Nahverkehrsplan
„weiterhin unter Beteiligung aller relevanten Interessengruppen“
zu aktualisieren. Nicht überwerten
darf man leider die Aussage: „Tarifanhebungen
im ÖPNV dürfen nur moderat erfolgen und sollen
sich am Anstieg der Lebenshaltungskosten orientieren.“
Ebenso sind Zweifel angebracht, ob diese
Koalition tatsächlich die Voraussetzungen schafft,
„die für einen schnellen und effizienten Ausbau der
ÖPNV-Beschleunigung sowie für die Sicherung
der Qualität der erreichten Beschleunigung erforderlich
sind.“ Bisher ist es der SPD jedenfalls nicht
gelungen.
Die Vereinbarungen zur „Zukunft der S-Bahn“
zeugen vor allem von großer Unsicherheit, wie eine
Lösung aussehen kann, zumal innerhalb von SPD
und CDU hierzu sehr unterschiedliche Auffassungen
bestehen. Lediglich eines scheint sicher: Der
Versuch, die S-Bahn zu kaufen, ist zum Scheitern
verurteilt.
Fazit: Aus Fahrgastsicht Positives und Negatives
halten sich die Waage. Die Absicht, auf Prioritäten
zu verzichten und die Bedingungen für alle
Verkehrsteilnehmer gleichermaßen zu verbessern,
ist jedoch andernorts längst aufgegeben worden
– weil es nicht geht. Innovativ und zukunftsweisend
ist diese Koalitionsvereinbarung jedenfalls nicht. Berliner Fahrgastverband IGEB
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