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Die BVG-Eindecker bieten inzwischen mehr Platz für Rollstühle und Kinderwagen. Doch dadurch gingen Sitzplätze verloren. Ein Kompromiss ist nötig – und möglich. Foto: Marc Heller |
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Noch in den 1990er Jahren war es Standard,
in 12-Meter-Eindeckern 38 Sitzplätze anzubieten.
Daneben gab es ein Multifunktionsabteil
für Kinderwagen und Rollstuhlfahrer.
Es folgte der Trend, bei diesem Wagentyp
von der zweitürigen auf die dreitürige Variante
zu wechseln, was natürlich Sitzplätze
kostete. Schneller Ein- und Ausstieg hatte
Vorrang vor Bequemlichkeit, zumal in dieser
Zeit auch bei der BVG ein Einstieg an allen
Türen möglich war.
Der verständliche Wunsch von Behinderten
und auch des Berliner Senats, Rollstuhlfahrern
einen möglichst barrierefreien
Zugang zu den Bussen zu ermöglichen,
führte aber dazu, dass die Sitzplatzanzahl
zwischen der ersten und der zweiten Tür
abermals reduziert werden musste. Denn
nur dadurch konnte eine Durchgängigkeit
für Rollstühle erreicht werden, so dass Rollstuhlfahrer
neben der Mitteltür nun auch die
Vordertür benutzen konnten, zumal dort die
Hublifte für den Ein- und Ausstiegsvorgang
eingebaut worden waren. Das kostete wiederum
Sitzplätze. Bei der letzten Serie von
Solaris-Gelenkbussen verblieben zwischen
der ersten und zweiten Tür nur fünf überbreite
Mutter-und-Kind-Sitze, die aber lediglich
als Einzelsitze gezählt und in der Regel
auch nur einzeln benutzt werden können.
Reduzierung der Sitzplatzzahl um ein
Drittel
Motoren in Turmbauweise sowie der Trend,
im Bereich der Hinterachse statt gegenüberliegenden
Sitzen nun Längssitze einzubauen,
kosteten abermals Sitzgelegenheiten.
Alle diese Maßnahmen führten dazu, dass
einige 12-Meter-Eindecker lediglich noch
25 Sitzplätze anboten, 13 weniger als bei
bauartgleichen Wagen vorangegangener
Generationen.
Schon damals
kritisierte der Berliner
Fahrgastverband
IGEB die
ungenügende
Sitzplatzzahl in
diesen Bussen,
zumal in den
Gelenkbussen
derselbe Trend
verfolgt wurde –
mit demselben negativen Sitzplatzergebnis.
Nach Wiedereinführung des Zwangs zum
Einstieg ausschließlich an der ersten Tür
hat die BVG auf die dritte Tür im 12-Meter-
Wagen und auf die vierte Tür im Gelenkwagen
verzichtet. Dadurch erhöhte sich die
Sitzplatzzahl wieder. Außerdem wurde auf
den störanfälligen Hublift an der Fahrertür
zugunsten einer mechanischen Klapprampe
an der ersten und zweiten Tür verzichtet.
Rollstuhlfahrer gelangen heute im Regelfall
über die Klapprampe an der zweiten Tür in
den Bus und erreichen auf kurzem Weg den
Rollstuhlplatz.
Verbessert wurde die Situation durch
den Kauf von LE (Low entry) Eindeckern
mit 32 Sitzplätzen. Die höhere Sitzplatzanzahl
wurde durch eine Stufe und den
ansteigenden Fußboden im Bereich hinter
der zweiten Tür möglich. Alle Sitze sind in
Fahrtrichtung und ohne Beeinträchtigung
von störenden Achsaussparungen eingebaut
worden.
Insgesamt werden zurzeit im Bereich der
einstöckigen Busse folgende Sitzplatzzahlen
geboten:
- 12-Meter-Standard Bus: 28 Sitzplätze
- 12-Meter-LE-Eindecker: 32 Sitzplätze
- 15-Meter-Bus: 43 Sitzplätze
- Gelenkbus MAN: 47 Sitzplätze
- Gelenkbus Solaris: 44 Sitzplätze
Zum Vergleich: Doppeldecker bieten 83 Sitzplätze,
allerdings überwiegend im Oberdeck.
Alle Eindeck-Busse verfügen über Mehrzweckabteile
für einen Rollstuhl und einen
Kinderwagen. Bemerkenswert ist, dass der
18 Meter lange Solaris Gelenkbus lediglich
einen Sitzplatz mehr aufweist als der 15 Meter
lange Citaro früherer Baujahre.
Mehr Platz für Rollstühle und Kinderwagen,
aber weniger Sitzplätze
Die neue Doppeldeckergeneration weist
dem Wunsch von Behindertenverbänden
entsprechend zwei Rollstuhlplätze auf. Da
dieser Bus länger als der Vorgängertyp konstruiert
wurde, bot sich die Möglichkeit, ein
optimales Multifunktionsabteil einzubauen
und dadurch eine Verminderung der Sitzplatzanzahl
zu vermeiden. Hier wurde ein
Kompromiss der verschiedenen Interessen
gefunden.
An die neue Eindecker-Generation wird
nun derselbe Anspruch gestellt: zwei Rollstuhlplätze
zuzüglich Raum für Kinderwagen.
Die Sitzplatzzahl dieser Busse würde
dadurch abermals sinken. Setzt man die
Forderungen am Beispiel des Solaris-Gelenkbusses
um, blieben zwischen der ersten
und zweiten Tür vermutlich lediglich zwei
Sitzplätze übrig. Die Gesamtsitzplatzzahl
würde etwa 40 betragen.
Damit würde eindeutig überzogen werden.
Neben Rollstuhlfahrern gibt es viele
mobilitätseingeschränkte Fahrgäste, die
zwar glücklicherweise nicht immer auf den
Rollstuhl angewiesen sind, aber dennoch
große Schwierigkeiten haben, sich in einem
fahrenden Bus gefahrlos fortbewegen zu
können und auf einen Sitzplatz angewiesen
sind. Weiterhin sollte ein Fahrgast im
Grundsatz Anspruch auf einen Sitzplatz haben,
denn nur der gewährleistet eine angenehme
und vor allem sichere Beförderung.
Stehplätze sind allenfalls für kurze Strecken
akzeptabel und stellen ein nicht zu unterschätzendes
Gefahrenpotenzial dar.
Darüber hinaus sind durch die Vordereinstiegsregelung
alle Fahrgäste gezwungen,
sich im fahrenden Wagen von der ersten Tür
durch den offenen Multifunktionsraum bis
hinter die zweite Tür zu bewegen, um einen
Sitzplatz erreichen zu können. Eine zusätzliche
Verringerung von Sitzplätzen, gerade in
diesem Bereich, ist nicht hinnehmbar. Schon
jetzt befinden sich beim Doppeldecker zwischen
ersten und zweiter Tür nur zwei feste
Sitze, davon einer auf der hohen Stufe
des Radkastens und der zweite als „Sitz für
Kleinwüchsige“ mit nur 40 cm Sitzhöhe. Im
Freibereich sind einige Klappsitze vorhanden.
Weitere Sitze gibt es dann erst hinter
der zweiten Tür, alle auf einer hohen Stufe
gelegen.
Rollstuhlplätze und Sitzplätze –
ein Lösungsvorschlag
Um trotzdem einen zweiten Rollstuhlplatz
realisieren zu können, müsste die Gangbreite
zwischen der ersten und der zweiten Tür
wieder der standardisierten Ausführung angepasst
werden, was bei den meisten Verkehrsbetrieben
absolut üblich ist. Die Sitzplatzanordnung
könnte günstiger variiert
und somit eine höhere Anzahl in diesem Bereich
erreicht werden. Die Durchgängigkeit
für Rollstuhlfahrer ginge dadurch zwischen
der ersten und der zweiten Tür zwar verloren
und ein Einstieg für Rollstuhlfahrer wäre
nur noch an der zweiten Tür mit Klapprampe
möglich, ein wirklicher Nachteil ist darin
aber nicht erkennbar. Schon heute wird fast
ausnahmslos so verfahren. Es gibt keinen erkennbaren
Grund für einen Rollstuhlfahrer,
durch einen engen Gang zum Rollstuhlstellplatz
zu manövrieren, da es über die Mitteltür
viel einfacher ist.
Durch eine solche Maßnahme ließen sich
sowohl eine erneute Reduktion der Sitzplätze
und zugleich der zweite Rollstuhlplatz realisieren.
Es ist zu hoffen, dass sich die Einsicht
durchsetzt, allen Fahrgastgruppen, egal ob
mobilitätseingeschränkt oder nicht, eine
möglichst angenehme Beförderungsqualität
bieten zu wollen. Dies kann immer nur ein
Kompromiss zwischen den unterschiedlichen
Anforderungen sein und nicht das Realisieren
der eigenen Idealvorstellung zu Lasten
einer anderen Gruppe. Der Vorschlag bietet
eine Kompromisslösung, der alle Beteiligten
zustimmen können müssten. (KJU) IGEB Stadtverkehr
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