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Bahnhof Stadtallendorf Foto: Pascal Reeber |
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Am 25. Mai 2010 – unmittelbar vor dem Hessentag
2010 – wurde der grunderneuerte
Bahnhof Stadtallendorf an der Main-Weser-
Bahn Frankfurt am Main—Gießen—Kassel
dem Verkehr übergeben. Aus diesem
Anlass hielt Stadtallendorfs Bürgermeister
Manfred Vollmer eine Rede. Sie bringt ausgesprochen
pointiert und umfassend all
diejenigen Erfahrungen mit der Deutschen
Bahn zum Ausdruck, die auch viele Pro Bahn
und Bus-Mitglieder immer wieder erleben
müssen.
Bürgermeister Manfred Vollmer: „Es ist
schon ein Abenteuer, so ein behindertengerechter
Umbau eines kleinen
Bahnhofs der Kategorie 5. Dieser
Umbau war allerdings längst fällig,
ja sogar überfällig; schließlich
hatte die Bahn ihn als Eigentümer
in den letzten Jahren - vorsichtig
ausgedrückt - wenig gepflegt bzw.
sich fast gar nicht darum gekümmert.
Die Sanierung des Bahnhofs
bzw. den Umbau durch die Kommune
haben die städtischen Gremien
in der Vergangenheit immer
abgelehnt, da sie allein zu Lasten
der Stadt gehen sollte. (…) Dann
jedoch kam im November 2007 der
Zuschlag zum Hessentag 2010. Das brachte
die städtischen Gremien zu einer Meinungsänderung,
denn in einem solchen Zustand
wie der Bahnhof war, konnte man ihn den
Besuchern des Jubiläumshessentages 2010
nicht präsentieren. Der Bahnhof ist die Visitenkarte
einer Stadt für seine Bürger, Gäste
und Besucher. Also musste dieser Schandfleck
beseitigt werden.
Wenn ich allerdings geahnt hätte, welche
Konsequenzen diese Entscheidung nach
sich zieht, wer weiß, welche Entscheidung
ich den städtischen Gremien empfohlen
hätte. Dazu einige Episoden und Feststellungen:
Nach den Förderrichtlinien des Landes
Hessen erhält die Stadt für den behindertengerechten
Umbau des Bahnsteigs 1 einen
Zuschuss von 85 Prozent der förderfähigen
Kosten. (…) Alle Planungs-, Prüf- und
Genehmigungsgebühren zahlt die Stadt allein.
Vor allem auch die Planungsleistungen
der DB AG. DB-Energie und DB Netz lassen
sich die Anwesenheit ihrer Mitarbeiter bei
Besprechungen mit einem Stundensatz
von knapp 80,00 € bezahlen. Hätte ich das
geahnt, ich hätte vermutlich auf deren Anwesenheit
verzichtet, sofern das möglich
gewesen wäre.
Nach rund 15 Monaten konnte der Bauvertrag
oder der Bau- und Finanzierungsvertrag
oder Finanzierungsvertrag, der Name
wechselte fast wöchentlich, unterzeichnet
werden. Hier soll es sich in Bezug auf die
Zügigkeit um eine reife Leistung gehandelt
haben. (…)
Im Rahmen der Planung wurde unser
Bahnhof der Kategorie 5 – von 6 Kategorien –
zugeordnet. Aufgrund dieser Kategorie war
die Ausstattung gemäß Ausstattungshandbuch
festgeschrieben, somit war klar, wie
wir uns zu entscheiden hatten. Aber nicht
nur keinen Spielraum hatten wir, wir mussten
das Ganze auch noch bezahlen. Darüber
hinaus gab es Prüfinstanzen wie die Fachplaner
der Bahn, das Eisenbahnbundesamt,
Lux-Controll, TEIV- und TSI-Prüfung und
und und. Natürlich mussten wir auch hier
alle Prüfgebühren und Abnahmegebühren
bezahlen. Warum – ist nicht nachvollziehbar,
da schließlich die Investitionen zur Verbesserung
des Bahnhofs in das Eigentum der
Bahn übergehen. Das ist ein erfolgreiches
Wirtschaften: Man schreibt vor, wie man
sein Eigentum, z. B. Einfamilienhaus, gerne
ausgestattet hätte und lässt das dann auch
noch von einem Dritten bezahlen.
Eine kleine Episode aus der Planungsphase
am Rande: Das neue Bahnhofsdach
hatte andere Maße als das alte. Nach dem
Bau des neuen Daches stellte man fest, dass
aufgrund der neuen Maße offensichtlich
ein Haltesignal nicht mehr voll eingesehen
werden könne. Niemand hatte das im Rahmen
der Planprüfungen der Bahn gemerkt,
überall war der grüne Prüfhaken dran. Die
Stadt sollte dann die angeblich notwendige
Veränderung des Haltesignals – ein immerhin
6-stelliger Betrag – bezahlen. Dagegen
habe ich mich wie in vielen anderen Dingen
vehement gewehrt. Und siehe da, nach einigen
Wochen war der ganze Vorgang kein
Thema mehr.
Eine interessante Zeit war der Zeitraum,
als zahlreiche Genehmigungen eingeholt
werden mussten. Aufgrund der Tatsache,
dass in einer Behörde beantragte Genehmigungen
einfach liegen blieben, weil entweder
niemand so richtig zuständig, jemand
krank oder in Urlaub war, habe ich mich
bemüht, den Chef dieser Einrichtung zu
sprechen. Und siehe da, es gab keinen Chef.
Eigentlich ganz toll, wenn eine Einrichtung
ohne Chef läuft, aber hier funktionierte das
offensichtlich nicht. (…)
So waren wir beispielsweise mit Mitarbeitern
im Keller des Bahnhofsgebäudes
um festzustellen, welche Einrichtungen der
Bahn künftig noch benötigt werden. Hier lagen
fast alle Kabel in dicke Staubschichten
gehüllt, waren offensichtlich jahrelang nicht
angesehen worden und der eine oder andere
Mitarbeiter wusste gar nicht so recht, welche
Räumlichkeiten und Kabel
es dort gab.
Besondere Erfahrungen
brachte auch der Erwerb der
Bahnhofsfläche sowie der
Gebäude mit sich. Fläche und
Gebäude waren nach unserer
Auffassung überbewertet. Ich
habe in diesem Zusammenhang
noch gar nicht gewusst,
dass das Bahnhofsgebäude
zum Wohnen eine so tolle
Lage ist, das Mieter danach
Schlange stehen, wir deshalb
hochwertiges Bauland haben
und noch weitere Geschosswohnungen
oder Gewerbebetriebe entstehen können;
all dies wurde in den Verhandlungen zur
Preisfindung von der Bahn unterstellt. In
den Großstädten wie Frankfurt dürfte das
sicher anders sein.
Eine große Kröte, die wir auch noch
schluckten: Lebenslanges Wohnrecht für
ehemalige Eisenbahner und deren Abkömmlinge.
Das gibt es wohl auch nur bei
der Bahn; bei allen anderen wirtschaftlichen
Unternehmen ist das unbekannt. Sicher ist
es auch ungewöhnlich, Eigentum mit einem
Einsitzrecht zu erwerben, dies ist aber in unserem
Fall auch nur der besonderen Situation
der Gestaltung des Bahnhofsgeländes im
Eingangsbereich der Stadt geschuldet. So
verliefen die Kaufverhandlungen zäh und in
einem nicht immer freundlichen Klima. (…)
Allerdings wurden nicht nur solche Erfahrungen
gemacht, es gab auch zahlreiche
Mitarbeiter, die ihr Bestes gegeben haben
und immer bereit waren zu helfen, aber
auch hier stand – wie so häufig – das System
Bahn manches Mal im Wege. (…)
Dies ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt
aus den Erfahrungen mit dem Kauf des
Bahnhofsgeländes einschließlich Bahnhof
und des behindertengerechten Umbaus
des Bahnhofs Stadtallendorf. Ich persönlich
jedenfalls würde mich über ein Gespräch
mit dem Vorstand der Bahn oder/und ein
Gespräch mit dem für die Bahn zuständigen
Ausschuss des Deutschen Bundestags freuen.
Ich glaube nämlich, dass man dort oben
gar nicht weiß, wie sich die Bahn im Laufe
der Jahrzehnte gewandelt hat. (…)
Jetzt aber trotz aller Wehrmutstropfen und
Bitternisse die Feststellung, dass wir uns freuen,
dass es dennoch trotz aller Widrigkeiten,
aller Hindernisse, aller Verärgerungen im kleinen
wie im großen doch noch geklappt hat,
dass der Bahnsteig 1 behindertengerecht
rechtzeitig vor dem Hessentag 2010 umgebaut
werden konnte. Der Abriss des Güterschuppens
und der Umbau der Schalterhalle
zu einer WC-Anlage und einer Bike&Ride-
Anlage haben ebenfalls zu einem optischen
Gewinn beigetragen. Dazu gehören ferner
die Eingangsbereiche der Stadtmitte und
der Niederkleiner Straße, die behindertengerecht
neu gestaltet wurden. (…)
Gleichzeitig vielen Dank, dass der Bahnsteig
2 aus dem Konjunkturprogramm zusätzlich,
ich muss sagen, sehr ansehnlich
hergerichtet wurde. Übrigens, meine sehr
geehrten Damen und Herren, die Sanierung
geschah in wenigen Wochen und darum
kümmerten sich offensichtlich auch alle
Verantwortlichen der Bahn, denn sonst hätte
das überhaupt nicht klappen dürfen. (…)
Also, es geht offensichtlich auch anders!
Damit zusammengefasst noch einmal ganz
herzlichen Dank an die zahlreichen engagierten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn,
der Ingenieurbüros sowie der Behörden und
des Bauunternehmens. Ohne sie hätte es nicht
geklappt. An einem solchen Tage vergisst man
die Probleme und Schwierigkeiten und vielleicht
auch diejenigen, die sich nicht so eingesetzt
haben, wie man es erwartet hat und die
uns das haben so richtig spüren lassen, was wir
doch für kleine Leute sind. (…)
Und jetzt kommt die Feststellung, die am
meisten schmerzt. Die am Bahnhof durchgeführten
notwendigen, überfälligen und
behindertengerechten Verbesserungen
gehen nicht, wie man vermuten könnte, in
das Eigentum der Stadt über, sondern in das
Eigentum der Bahn AG. Und dennoch macht
es jetzt wieder Spaß, sich am Bahnhof aufzuhalten
und den öffentlichen Personennahverkehr
in Anspruch zu nehmen. (…)
Ich gebe abschließend die Hoffnung nicht
auf, dass sich die Bahn bei ihren Zukunftsüberlegungen
vielleicht doch noch darauf
besinnt, dass sie nicht nur den Gewinn zu
Lasten der Mitarbeiter wie auch der Kunden
im Auge hat, sondern auch ihre Aufgabe
für die Allgemeinheit, nämlich ein umweltfreundliches,
attraktives und bezahlbares
Verkehrsmittel zu sein, nicht aus dem Fokus
verliert. Gerade Staatsunternehmen haben
eine solche Verpflichtung.“
Pro Bahn & Bus im DBV
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