Hamburg

Stadtbahn Hamburg: Gegenwind wird schärfer

Die seit 2008 beschlossene Wiedereinführung der Straßenbahn in Hamburg gerät zunehmend unter Beschuss. Eine Allianz aus Lokalpresse und Steuerzahlerbund bläst inzwischen fast täglich zum Kampf gegen das angebliche „Prestigeprojekt“. Die Grünen – einst Vorreiter der Pro-Straßenbahn-Bewegung – halten sich weitgehend zurück. Jetzt nehmen die Anwohner das Thema selbst in die Hand.

Tramstrecke
Noch ist es eine Vision: Ein Stadtbahnzug gleitet auf begrünten Gleisen durch die Hudwalckerstraße in Hamburg-Winterhude Fotos und Idee: Christian Hinkelmann / Montage: Holger Mertens
Tram
Nach 40 Jahren könnte die Hochhaussiedlung Steilshoop endlich ihren versprochenen Bahnanschluss bekommen. Fotos/Montage: Christian Hinkelmann/Stefan von Mach
Tram
Der U-Bahn-Knotenpunkt Kellinghusenstraße soll die vorläufige Endhaltestelle der ersten Stadtbahnstrecke werden Visualisierung: Hamburger Hochbahn AG
Tram
Am 20. Juni konnten die Hamburger schon einmal in einem aus Bremen geliehenen Stadtbahnwagen Probe sitzen. Foto: Christian Hinkelmann
Plan
Zielnetz Stadtbahn. Bis zum Jahr 2025 soll in Hamburg ein über 40 Kilometer langes Stadtbahnnetz entstehen. Plan: Hamburger Hochbahn AG

Der 20. Juni 2010 ist ein guter Tag für Hamburgs Stadtentwicklungssenatorin Hajduk (GAL/Grüne). Stolz posiert sie in der Hamburger Innenstadt vor einem aus Bremen ausgeliehen Straßenbahnzug und lächelt in die zahlreichen Fernsehkameras. Gleichzeitig beschnuppern hunderte Hamburger den Straßenbahnwaggon von innen und außen und informieren sich an zahlreichen Infoständen über das Bauprojekt. Für einen kurzen Augenblick könnte man denken, dass die Einführung der Straßenbahn kurz bevorsteht.

Die Wirklichkeit sieht leider anders aus: Versucht man nämlich, neben den blumigen Sonntagsreden, die leisen Zwischentöne der schwarz-grünen Regierung zu erfassen, drängt sich einem schnell der Eindruck auf, dass die Straßenbahn noch längst nicht in trockenen Tüchern ist.

So ist es zum Beispiel beachtenswert, dass der Hamburger Senat die Straßenbahn zwar immer wieder als notwendig herausstreicht, sie aber gleichzeitig permanent unter Finanzierungsvorbehalt stellt. Somit drücken sich GAL und CDU seit Monaten vor einer Grundsatzentscheidung für oder gegen die Tram. Jüngstes Beispiel: Mitte Juni legte Bürgermeister Ole von Beust eine Streichliste vor, die Haushalts-Einsparungen von 500 Millionen Euro pro Jahr vorsieht. Das Straßenbahnprojekt war dort nicht aufgeführt – allerdings stand es auch nicht auf der Liste der Bauprojekte, die Hamburg auf jeden Fall realisieren will. Mit anderen Worten: Die Straßenbahn wurde bei der weiteren Finanzplanung komplett ausgeklammert und die finale Entscheidung über das Projekt abermals vertagt. Kein gutes Zeichen für die Tram!

Unterdessen laufen die Planungen für den ersten Streckenabschnitt zwischen Bramfeld und Winterhude zwar weiter – allerdings im Bummeltempo. Der für diesen Sommer geplante Beginn des Planfeststellungsverfahrens wurde kurzerhand auf den Herbst verschoben. Damit gewinnen GAL und CDU weiter Zeit.

Dazu kommt, dass die Öffentlichkeitsarbeit der zuständigen Stadtentwicklungsbehörde zur Stadtbahn bisher sehr mangelhaft gewesen ist. Seit 2008 veröffentlichte die Behörde gerade einmal fünf dürre Pressemitteilungen zum Thema. Auf Interviewanfragen wurde nur äußerst zögerlich reagiert.

Damit hat die von der GAL geleitete Behörde die einmalige Gelegenheit verpasst, das Thema Straßenbahn in der breiten Öffentlichkeit und in den Medien positiv zu besetzen und mögliche Kritik gleich im Keim zu ersticken. Selbst, als die – zuerst neutral berichtende – Lokalpresse im Jahr 2009 plötzlich begann, sich geschlossen auf die Seite der Stadtbahngegner zu stellen, blieb die Stadtentwicklungsbehörde schweigsam.

So kam es dazu, dass die Stadtbahngegner die öffentliche Meinung über die Bahn inzwischen im Alleingang bestimmen und fast täglich in ausführlichen Presseberichten zum Kampf blasen.

Kurz: Man kann sich dem Eindruck nicht verwehren, dass es der Hamburger Senat mit der Stadtbahn gar nicht so ernst meint, wie er immer wieder beteuert.

Aber warum sind CDU und GAL beim Thema Straßenbahn so zögerlich? Ein Erklärungsansatz wäre, dass sich der hochverschuldete Senat mit dem Bauvorhaben kostenmäßig übernommen hat, dieses aber aus Rücksicht auf die Grünen nicht vor der nächsten Bürgerschaftswahl 2012 öffentlich machen möchte. Schließlich ist die Stadtbahn eines der grünen Schlüsselthemen, und ein vorzeitiges Ende des Projekts wäre für die Partei ein herber Gesichtsverlust.

Gut möglich also, dass hinter den Türen der Stadtentwicklungsbehörde absichtlich mit angezogener Handbremse geplant wird um die Kosten zeitlich zu strecken.

Allerdings wäre dies ein Trugschluss, denn Verzögerungen bei Planung und Bau könnten für die Stadt teuer werden. Schließlich werden die Fördermittel des Bundes – nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz GVFG – immer knapper und laufen im Jahr 2017 ganz aus. Heißt: Alles, was bis dahin nicht gebaut wurde, wird vermutlich nie realisiert werden.

Damit läuft die Stadt Hamburg also ernsthaft Gefahr, aus Mutlosigkeit einen Straßenbahnbetrieb aufzubauen, der vermutlich dauerhaft nur aus einer Stummel-Linie bestehen würde. Ein wirtschaftlicher Betrieb wäre dann unmöglich.

Das kann nicht das Ziel sein. Insofern wäre der Hamburger Senat gut beraten, sich endlich deutlich zur Stadtbahn – und vor allem – deutlich für einen möglichst schnellen Bau eines kompletten Netzes zu bekennen. Bislang ist davon weder von der GAL noch der CDU etwas zu hören. Selbst die öffentliche Forderung von Hochbahnchef Günter Elste im Januar 2010 nach einem höheren Planungstempo verhallte ungehört.

Um die Planungen endlich zu beschleunigen, haben engagierte Bürger im Frühjahr 2010 die Initiative „Stadtbahn JETZT!“ gegründet, welche den möglichst schnellen Bau eines kompletten Stadtbahnnetzes fordert. Innerhalb eines Monats gelang es den Aktivisten, mehr als 1000 Unterschriften zu sammeln und der Stadtbahn somit erstmals eine deutliche Stimme aus der Bevölkerung zu geben.

Nun bleibt abzuwarten, wie die Politik auf diesen Druck „von unten“ reagiert. Die Ausstellung eines Bremer Straßenbahnwagens in der Hamburger Innenstadt war vielleicht schon ein erster zaghafter Schritt in die richtige Richtung.

Mehr Informationen über die geplante Stadtbahn und die Initiative „Stadtbahn JETZT!“ erhalten Sie im Netz unter www.stadtbahnjetzt.de

Christian Hinkelmann, Initiative „Stadtbahn JETZT!“

aus SIGNAL 3/2010 (Juli 2010), Seite 28-29

 

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