Berlin • Brandenburg

Berlin prüft

Die überfällige Diskussion um die Zukunft der S-Bahn hat begonnen

Na endlich! Lange Zeit wollte Senatorin Ingeborg Junge-Reyer die Entscheidung über die Zukunft der Berliner S-Bahn auf Ende 2011 vertagen, also auf die Zeit nach der nächsten Wahl und damit auf die Zeit nach ihrem altersbedingten Ausscheiden aus dem Senat. Nun will sich das Land Berlin also Ende 2010 entscheiden, vorbereitet durch einen Lenkungskreis der Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung, Wirtschaft und Finanzen sowie der Senatskanzlei.

Zu diesem Meinungswandel hat sicherlich das S-Bahn-Chaos 2009 maßgeblich beigetragen, vermutlich aber auch engagierte und kompetente Diskussionsbeiträge wie der vom VBB-Geschäftsführer Hans-Werner Franz, der seine Denkschrift allerdings ausdrücklich als private Meinungsäußerung deklarieren musste – und sich dennoch den Zorn der Senatorin zuzog.

Drei Modelle sollen geprüft werden: die Ausschreibung eines Teilnetzes, ein Betrieb durch die BVG oder der Kauf der S-Bahn GmbH. Das dritte Modell ist unrealistisch, weil die DB AG einen Verkauf ihrer Tochter S-Bahn Berlin GmbH vehement ablehnt. Das zweite Modell ist ebenfalls unrealistisch, weil der Finanzsenator es nicht will. Möge er standhaft bleiben, denn auch die IGEB hält es nicht für sinnvoll, zu den drei nur unzureichend kooperierenden Betriebsteilen U-Bahn, Straßenbahn und Bus einen vierten hinzuzufügen. Außerdem wäre es nicht gut, einen Monopolanbieter für öffentlichen Nahverkehr in Berlin zu haben. Im Übrigen wäre bei einer Eingliederung der Mitarbeiter der S-Bahn in die BVG, was beim zweiten Modell ja erforderlich wäre, mit einem äußerst schwierigen Betriebsklima zu rechnen.

Somit bliebe nur die Teilnetzausschreibung. Dass der rot-rote Senat diese ernsthaft in Erwägung zieht, ist eine Sensation, den die Partei Die Linke war stets grundsätzlich dagegen, und auch in der SPD wollten viele keine Ausschreibung, sondern eine erneute Direktvergabe an die DB-Tochter. Der eingetretene Meinungswandel ist Ausdruck, wie schwerwiegend die Verärgerung bei Senat und Fraktionen über die DB AG und das von ihr und ihrer Tochter S-Bahn GmbH angerichtete Chaos ist. Das zunächst nur ein Teilnetz ausgeschrieben werden soll ohne Festlegung auf die nächsten Ausschreibungsschritte, wie von Hans-Werner Franz vorgeschlagen, ist allerdings Ausdruck der noch immer großen Skepsis gegenüber einer Vergabe des S-Bahn-Betriebs im Wettbewerb.

Unverständlich ist, dass nicht weitere Modelle geprüft werden. Der Lenkungskreis sollte sich die Freiheit nehmen, die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nach interner Prüfung ausgewählten drei Modelle um weitere zu ergänzen. Zum Beispiel sollte, ähnlich wie beim Regionalverkehr in Niedersachsen, ein landeseigener Fahrzeugpool geprüft werden. Auch das Modell einer Landeseisenbahn sollte ernsthaft geprüft werden. Diese sollte zumindest mittelfristig auch über die Infrastruktur verfügen, damit die Länder Berlin und Brandenburg nicht länger durch die bei der Berliner S-Bahn extrem hohen Trassenpreise indirekt die nächste internationale Einkaufstour der DB AG finanzieren.

Verwunderlich ist, dass das Land Brandenburg in diesem Diskussionsprozess bisher kaum eine Rolle spielt. Zum einen hat der Berliner Senat die Landesregierung in Potsdam offensichtlich mehrfach unzureichend oder erst spät konsultiert, zum anderen haben die Brandenburger offensichtlich auch wenig Neigung, sich intensiv in die komplizierte Entscheidungsfindung einzubringen. Eigentümer des künftigen S-Bahn-Betreibers will das Land Brandenburg jedenfalls nicht werden, das hat das Infrastrukturministerium klargestellt.

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 1/2010 (März 2010), Seite 37

 

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