|
Über das Projekt „Stuttgart 21“ kann man
unterschiedlicher Meinung sein, doch
unstrittig zwischen Befürwortern und
Gegnern ist, dass „Stuttgart 21“ nur funktioniert,
wenn auch die anschließende
Neubaustrecke Wendlingen—Ulm gebaut
wird. Für diese Neubaustrecke über die
Schwäbische Alb gibt es jedoch bislang
keine Ausführungsplanung, obwohl sie
durch ein geologisch äußerst schwieriges
Gebiet mit wasserführenden Höhlen führt.
Von sieben Planfeststellungsabschnitten
sind zurzeit erst zwei genehmigt. Es fehlen
aktuelle nachprüfbare Baukosten- und
Kosten-Nutzen-Berechnungen. Die Baulast
liegt beim Bund; die Baukosten werden
seit Jahren mit 2,025 Milliarden Euro beziffert,
von denen 950 Millionen Euro das
Land Baden-Württemberg beisteuern will.
Bahnfachleute rechnen hingegen anhand
der abgerechneten Neubaustrecke Nürnberg—
Ingolstadt für die Neubaustrecke
Wendlingen—Ulm mit Kosten von 5,690
Milliarden Euro.
Die Befürworter von „Stuttgart 21“ betrieben
mit Nachdruck den Baubeginn in
der Erwartung, dass es für die Neubaustrecke,
wenn „Stuttgart 21“ einmal begonnen
ist, kein Zurück geben kann. Das ist die aus
zahlreichen öffentlichen Bauprojekten bekannte
Unsitte, die Kosten und Risiken schön
zu rechnen in der Gewissheit, das Parlament
werde, wenn der Bau einmal begonnen ist,
die Mehrkosten später schon genehmigen.
Hier geht es allerdings nicht „nur“ um
Mehrkosten, sondern um ein grundsätzliches
Risiko: Erweist sich die Neubaustrecke
Wendlingen—Ulm als nicht machbar oder
nicht finanzierbar, dann wäre „Stuttgart
21“ ein unbrauchbarer Torso, ein Schwabenstreich
in Milliardenhöhe. Das ist vor
allem ein Risiko des Bundes, und wenn die
Bundesregierung möglichen Schaden vom
Bund abwenden will, sollte sie im Bundeshaushalt
2010 einen qualifizierten Sperrvermerk
für die Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen
des Bundes für „Stuttgart
21“ vorschlagen, der aufgehoben werden
kann, wenn für die Neubaustrecke Wendlingen—
Ulm Planungen, Kostenermittlungen
und Erläuterungen vorliegen, aus denen die
Art der Ausführung, die Kosten, die vorgesehene
Finanzierung und ein Zeitplan ersichtlich
sind.
Eine zeitliche Verzögerung des Projekts
„Stuttgart 21“ wäre unschädlich, weil der
Bau der Neubaustrecke Wendlingen—Ulm
etwa gleichviel Geld und Zeit erfordert wie
„Stuttgart 21“, das erst in Betrieb genommen
werden kann, wenn die Neubaustrecke fertiggestellt
ist.
Peter Conradi, Architekt. Seit 1959 Mitglied
der SPD, von 1972 bis 1998 Mitglied des
Deutschen Bundestages, von 1999 bis 2004
Präsident der Bundesarchitektenkammer.
Engagiert in der Initiative Bürgerbahn statt
Börsenbahn. Peter Conradi, Stuttgart
|