Die Schweizer verzichteten auf
die Höchstgeschwindigkeit und
proklamierten „so schnell wie
nötig“, wobei sie für die Verbindung
der Fahrgäste von Haus
zu Haus immer ein besonders
waches Auge hatten. Die Franzosen
wollten von A nach B „so
schnell wie möglich“ und bauten
die neuen Bahnhöfe auf der grünen
Wiese, damit ihre TGV beim
Durchfahren der Städte keine
Zeit verlieren. So haben von den
zehn neuen TGV-Bahnhöfen gerade
mal zwei einen Schienenanschluss
an das bestehende Netz,
die übrigen acht sind nur über
die Straße erreichbar.
Den Kampf gegen die Airlines
hat die SNCF gewonnen. Zwischen
Paris und Lyon wird ebensowenig geflogen
wie zwischen Paris und Brüssel. Den
Kampf um die Fahrgäste im Nahverkehr allerdings
hat sie gar nicht erst aufgenommen
und deshalb gegen das Auto verloren.
Die Schweizer aber haben doppelt gewonnen.
Wegen der hohen Fixkosten sind
Schienenstrecken nämlich nur dann rentabel,
wenn sie gut ausgenutzt sind. Und ein
kleines Stück vom großen Kuchen Autoverkehr
ist eben mehr als ein etwas größeres
vom – zahlenmäßig gesehen – kleinen Luftverkehr.
Mit dem integrierten Taktverkehr
wird in der Schweiz pro Einwohner doppelt
so viel Bahn gefahren wie in Deutschland.
Schweiz oder Frankreich als Vorbild?
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TGVs im Pariser Gare de Lyon. Mit den Hochgeschwindigkeitszügen hat die SNCF den Flugverkehr zwischen Paris und Lyon entbehrlich gemacht. Foto: Tilo Schumann |
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Welchen Kurs verfolgt die DB AG nun unter
ihrem neuen Chef? Fährt Rüdiger Grube weiter
in der französischen Spur à la Hartmut
Mehdorn oder setzt er auf Schweizer Intelligenz
statt Beton?
Wie sehr sich die Landschaft im Eisenbahnfernverkehr
verändert hat, zeigt sich
beispielsweise im Land Brandenburg. Dort
hielten im Jahr 1999 noch 400 Fernzüge
pro Tag. Heute, zehn Jahre später, sind es
nur noch 100. Und Brandenburg ist keine
Ausnahme.
Die InterRegios wurden abgeschafft, die
InterCity-Züge zum großen Teil durch die
ICE-Züge ersetzt. Durch die Aufschläge und
auch durch die jährlichen Fahrpreiserhöhungen
um insgesamt 24,3 Prozent seit 2004
wurde das Bahnfahren in Deutschlands
Fernverkehrszügen aber nicht nur erheblich
verteuert. Es wurde durch das erzwungene
mehrfache Umsteigen auch unbequemer.
Zudem verlängerte sich die Fahrzeit – sofern
man nicht in den Genuss einer Direktverbindung
kam. Das Gesamtangebot des
Fernverkehrs auf dem deutschen Netz liegt
heute unter dem von 1994, obwohl seither
50 Milliarden Euro in die Schiene investiert
wurden.
Fehlentscheidung am Bahnhof Zoo
Auch wenn mit dem neuen Bahnchef Rüdiger
Grube erneut kein „Bahner“ an die Spitze
des Unternehmens aufgerückt ist, könnte
ihm seine Vergangenheit als Daimler-Manager
dennoch helfen. Navigationssysteme in
Autos berechnen schließlich die Wege vom
Abfahrtsort zum Zielpunkt und nicht nur
den Teil auf der Autobahn. Die alte Logik, die
Fahrzeit zwischen Berlin und Hamburg ohne
Rücksicht auf die Fahrgäste auf 90 Minuten
zu verkürzen, ist allenfalls für die Statistik ein
Mehrwert.
Denn für mehr als eine Million Bahnkunden,
die bis 2006 am Bahnhof Zoo ein- und
aussteigen konnten, hat sich die Fahrt von
und zum Berliner Hauptbahnhof um bis zu
30 Minuten verlängert.
Wie fixiert die Bahnspitze auf diese falsche
Fährte setzt, zeigte sich gerade erst
wieder, als die DB einen Fernverkehrshalt
im Bahnhof Zoo selbst dann verweigerte,
als der S-Bahn-Verkehr zum Berliner Hauptbahnhof
wegen Fahrzeugmangel für zwei
Wochen eingestellt werden musste.
Dieses Beispiel ist leider kein Einzelfall,
es demonstriert nur die falsche Punkt-zu-
Punkt-Philosophie. In der Schweiz stecken
die Eisenbahnplaner ihre Energie vor allem
in vertaktete Fahrpläne, um die Umsteigezeiten
zu verkürzen, und ziehen ihre Bürger
damit erfolgreich in die Bahn.
In Deutschland müssen Bahnchef und
Verkehrsminister, die jahrelang in ihrer
Höchstgeschwindigkeits-Strategie ein Herz
und eine Seele waren, das Verhältnis von
Fern- und Regionalverkehr wieder ins Lot
bringen. Bisher gehen nämlich 80 Prozent
der Investitionen in den Fernverkehr – eine
Priorisierung, die an den wahren Wachstumsfeldern
der Bahn vorbeifährt.
Schneller durch Vertaktung
Seit 15 Jahren stagniert der Anteil des Fernverkehrs
bei 7 Prozent. Die Wachstumsrate
zwischen 1993 und 2006 liegt aber im von
Bundespolitik und Bahnspitze stiefmütterlich
behandelten Nah- und Regionalverkehr
bei 48 Prozent. Der Kurzstreckenverkehr
wird vernachlässigt, um die unrentablen
Hochgeschwindigkeitsstrecken zu finanzieren.
84 Prozent der Stationsentgelte und
64 Prozent der Trassenpreise werden durch
Regional- und Nahverkehrszüge erzielt,
ohne dass die dafür zahlenden Bundesländer
Einfluss auf die Preisgestaltung und die
Investitionsentscheidungen haben. Allein
bei der Berliner S-Bahn – sie und nicht die
ICEs finanziert den neuen Hauptbahnhof in
Berlin – wurden in den vergangenen Jahren
zweistellige Millionenbeträge abgeschöpft.
2010 sollte es mit 125 Millionen Euro sogar
ein dreistelliger werden.
Bahnchef Grube muss klar analysieren,
mit welchen Investitionen die größten Erfolge
erzielt werden. Eine bessere Vertaktung
von Regional- und Fernverkehr bringt dabei
größeren Zeitgewinn für die Kunden als ein
mit Milliardeninvestitionen um 5 Minuten
beschleunigter Zug. Gleiches gilt auch für
Prestigeobjekte, die noch immer nicht ad
acta gelegt wurden, zum Beispiel Stuttgart 21.
Denn auch die Milliarden für die Versenkung
des Stuttgarter Bahnhofs in den Untergrund
werden Deutschlands Bahn nicht
voranbringen. Abermals soll dort das Geld
vergraben werden, dass andernorts für eine
effiziente Bahn benötigt wird.
Stattdessen würden ein paar kluge Navigatoren
beim Gestalten des Fahrplans in
Verbindung mit der Beseitigung von Engpässen
und Lückenschlüssen der Bahn den
Quantensprung bringen, den sich die Steuern
zahlenden Bahnkunden von ihren Milliardeninvestitionen
seit langem erwarten. Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament
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