Der Rücktritt von Bahnchef Hartmut Mehdorn
(auch der gesamte Vorstand müsste
zurücktreten) kann endlich den Weg frei
machen für den Beginn einer neuen Bahnpolitik.
Diese ist angesichts der dramatischen
Entwicklungen im Bereich des Weltklimas
und der Energievorräte dringend
erforderlich.
Die Bahnen in Deutschland müssen wieder
die Nummer 1 im Verkehr werden, mit
maximalen Marktanteilen im Personenwie
im Güterverkehr. Dafür brauchen Bund
und Länder dringend einen Masterplan
Bahn, der ausgehend von den ersten beiden
Stufen der Bahnreform die mittel- und
langfristigen Perspektiven künftiger Verkehrs-
und Bahnentwicklung festlegt.
Das Netz muss dringend ausgebaut
werden, auch und gerade in der Fläche.
Alle Oberzentren brauchen IC-Anschluss.
Deutschland braucht dringend einen
neuen InterRegio, der alle Mittelzentren
anbindet. Und das Land braucht einen
Deutschland-Takt, der einen echten Systemverbund
sicherstellt und die Wartezeiten
minimiert.
Es muss Schluss sein mit dem Rückzugskurs
der Bahn, mit den vielfachen
Stilllegungen regionaler Strecken, mit der
Schließung tausender Bahnhöfe, dem Abbau
von über 200.000 Arbeitsplätzen im
Bahnbereich, einem fast völligen Rückzug
der Güterbahn aus der Fläche (MORA C).
Die Zerstörung des viele Jahre sehr erfolgreichen
InterRegio-Systems muss sofort
rückgängig gemacht werden.
Börsenbahn ohne verkehrspolitische
Ausrichtung
Mehdorns Ziel war eine kleine, feine Korridorbahn
für Deutschland. Er konzentrierte
die Investitionen auf wenige Großprojekte
der Hochgeschwindigkeit und Stuttgart 21
mit gigantischen Kostenexplosionen. Die
Bahn in der Fläche hat Mehdorn nie interessiert.
Er verstand sich als knallharter Sanierer,
dessen Hauptauftrag es sei, ein kleines,
feines, börsenfähiges Kernunternehmen
ohne klare verkehrspolitische Ausrichtung
zu schaffen. Die Bundesregierung hat dem
passiv zugeschaut, alle Verkehrsminister
der letzten 10 Jahre haben sich aus der konzeptionellen
Bahndiskussion abgemeldet
und Mehdorn bei seinen vielfach Nachfrage
dämpfenden und dem Schienenverkehr
schadenden Aktionen gewähren lassen.
Mehdorn machte aus der Bahn Deutschlands
größten Straßenspediteur, stieg im
Luftverkehr ein und war sehr viel mehr an
der Globalisierung und an kontinentalen
Magistralen als am deutschen Flächenbahnnetz
interessiert. Mehdorn hat jahrelang
und mit System aus Kostenspargründen
die Kapazität der Deutschen Bahn
verschlechtert.
Dazu einige Beispiele: Er hat tausende
Weichen herausreißen lassen. Er hat tausende
Langsamfahrstellen toleriert. Er hat
bereitgestellte Ausbaumittel verfallen
lassen. Er hat den S-Bahn-Ausbau und Regionalbahnausbau
in vielen Regionen verschleppt.
Er hat immer öfter den Wettbewerb
mit innovativen Regionalbahnunternehmen
verloren, wegen unambitionierter
Angebotskonzepte.
Mehrdorn hat jahrelang eine eher kundenfeindliche
Tarifpolitik betrieben und
mit fragwürdigen Sonderpreisaktionen das
Tarifsystem immer komplizierter gemacht.
Mit seinem Tarifexperiment PEP (das in
letzter Minute vom damaligen Kanzler
Schröder gestoppt wurde) wollte er ein
Umerziehungsprogramm gegen spontan
und flexibel Reisende starten. Bis heute
verärgerte er viele Kunden mit der immer
weiter grassierenden Zugbindung und Reservierungspflicht.
Die Unpünktlichkeitsprobleme der Bahn
hat Mehdorn nie in den Griff gekriegt. Er
hat Sicherheitsfragen sträflich ignoriert,
verweigerte Schutzzäune an Bahnstrecken,
setzte zeitweise ohne solide Ausbildung
angeheuerte Lokführer ein (das war der
Hauptgrund für das fatale Brühler Bahnunglück),
ignorierte Monate lang die Achsprobleme
beim ICE 3.
Verfall der Kundenzufriedenheit
Alle Qualitätsanalysen der letzten Jahre
haben einen dramatischen Verfall der Kundenzufriedenheit
belegt, das Bahnimage
wurde immer schlechter, Rambo Mehdorn
wurde zu einer Reizfigur aller Bahndiskussionen.
Und trotzdem hat der Eigentümer, die
Bundesregierung, dem allem tatenlos zugeschaut.
Mehdorn hat den Verkehrsausschuss
des Bundestages und die Verkehrsminister
der Länder vielfach düpiert. Man
ließ ihn trotzdem gewähren.
Jetzt muss ein Ruck durch die deutsche
Verkehrspolitik gehen. Es muss Schluss sein
mit parteipolitischen Opportunitäten. Die
Bahn braucht endlich wieder einen Bahnfachmann
an der Spitze. Und Bund und
Länder müssen ganz oben auf ihre Agenda
einen Masterplan Bahn setzen, nach
Schweizer Vorbild und mit einer klaren
Priorität für die Flächenbahn, die alle Regionen
anbindet, Kunden und Wirtschaft
wieder ernst nimmt, den Verkehrsmarkt
offensiv aufrollt und aus dem Autoland
Deutschland endlich wieder ein Bahnland
macht.
Mehdorns Nachfolge
Mittlerweile ist das Trauerspiel um die
deutsche Bahnpolitik in seine nächste
Runde gegangen. Niemand suchte nach
einem Bahnexperten. Man qualifiziert sich
zum Bahnchef viel eher als Mann aus der
Luftfahrt oder der Autoindustrie oder dem
Straßenspeditionsgewerbe, so wie das auf
die beiden Favoriten der großen Koalition
wie Grube von Daimler und vorher Airbus
sowie Bender von Fraport und vorher
Schenker zutrifft.
Absurdes Theater: Ein Bahnchef soll möglichst
nichts von Bahn verstehen, damit er
ähnlich wie Mehdorn im Bahnsystem beliebig
rumholzen kann, zum Schaden des Markterfolgs.
Denn auf den erschreckend kleinen
Marktanteil der Bahn schaut derzeit kaum
einer in den Würdigungen von Mehdorns
angeblicher Erfolgsstory. Hauptsache, die
fiskalischen Daten stimmen. Die Mär von seinen
berauschenden Umsatz- und Gewinnerfolgen
konnte vollmundig verbreitet werden,
obwohl die Bahn im Fernverkehr noch nie
so kleine Marktanteile hatte. Auch im regionalen
Güterverkehr ist sie zum Zwerg geschrumpft
worden. Halbwegs vorzeigbare
Erfolge gab es nur im Personennahverkehr
und im Güterfernverkehr. Die meisten Erfolge
gab es im Immobiliengeschäft und bei
den globalen Einkaufstouren, die beide für
Deutschlands Verkehrsentwicklung völlig
bedeutungslos sind.
Aber bei der Bahn geht es offensichtlich
immer weniger um Verkehrspolitik, sondern
nur noch um Finanzpolitik. Und das in einem
Jahrhundert, in dem Klimapolitik und
Energiesparpolitik, damit also Verkehrswendepolitik,
eigentlich hohe Priorität haben
sollten. So verspielt Deutschland einmal
mehr die Chance für eine Verkehrswende
durch eine Bahnoffensive. Die werden Luftfahrt-
und Autoexperten kaum hinkriegen,
dafür haben sie viel zu wenig Ahnung vom
relevanten Verkehrsmarkt und den Zusammenhängen
im Bahnsystem.
Prof. Heiner Monheim hat 15 Jahre in der
Bundesraumordnung, 10 Jahre im Landesverkehrsministerium
NRW und 15 Jahre in
Verkehrsplanung und Verkehrsforschung
gearbeitet. Er hat viele regionale Bahnreaktivierungsprojekte
und Projekte für eine
Renaissance der Bahnhöfe begleitet. Er hat
den VCD und das Bündnis Bahn für Alle mitgegründet
und am Flächenbahnkonzept des
Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt und
Energie mitgearbeitet.
Prof. Heiner Monheim, Bonn/Trier
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