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Gehört Hartmut Mehdorn die Deutsche
Bahn AG? Insbesondere durch die Berichterstattung
über den letzten Arbeitskampf
bei diesem Unternehmen konnte man oft
den Eindruck gewinnen, es wäre so. Doch in
Wirklichkeit ist natürlich auch der so mächtig
scheinende Bahnchef nur ein Angestellter.
Und kein Vorstandsvorsitzender kann
auf die Dauer anders handeln, als es der
mehrheitliche oder gar alleinige Eigentümer
des Unternehmens will, zumal wenn dieses
nicht an der Börse notiert ist. Im Falle der
DB AG ist der Eigentümer bekanntlich (noch)
die Bundesrepublik Deutschland. Und an
diesem Beispiel zeigt sich besonders schön,
wie sich das eben so mit „Volkseigentum“
verhält: Es gehört formal allen und damit
niemandem wirklich, Entscheidungswege
sind verworren und steinig.
Nicht zuletzt daraus bezieht Hartmut
Mehdorn seine Macht, seit er 1999 auf seinen
jetzigen Posten gelangte. Der Wirtschaftsund
Verkehrsjournalist Markus Wacket beschreibt
dies in seinem Buch „Mehdorn, die
Bahn und die Börse – Wie der Bürger auf der
Strecke bleibt“ anschaulich. Er zeichnet nach,
mit welchen Mitteln der Manager das Ziel
verfolgte, das letzte große bundeseigene
Unternehmen zu versilbern – samt all der
insbesondere den Bahnnutzern bekannten
Folgen und „Nebenwirkungen“, die sich aus
den umfangreichen Maßnahmen zur „Sanierung“
und Umstrukturierung ergaben.
Den Absichten der vor nunmehr anderthalb
Jahrzehnten angeschobenen Bahnreform
zuwiderlaufend, habe dazu insbesondere
die konsequente Verhinderung
ernsthafter Konkurrenz gehört, samt umfassender,
volkswirtschaftlich völlig unsinniger,
für die DB AG aber strategisch richtiger
Vernichtung von Volksvermögen: sei es die
Verschrottung von rollendem Material, das
nicht etwaigen Wettbewerbern in die Hände
fallen soll, sei es die Schrumpfung des
Netzes, das – weniger durch Aufgabe ganzer
Strecken als durch den Ausbau von Weichen
und Gleisen – immer unflexibler gemacht
wurde. Am allerwichtigsten war Mehdorn
nach Wackets Darstellung jedoch stets das
Festhalten an der „integrierten“ Bahn, wie
die faktische Verteidigung der Vormachtwenn
nicht Fast-Monopol-Stellung der
DB AG hübsch umschrieben wurde. Börsengang
mit Schienennetz, wodurch die DB AG
auch weiterhin darüber entscheiden könnte,
wer wo Züge fahren lassen darf und letztendlich
auch, zu welchem Preis – über die
Nutzungsentgelte. Zudem hübsche es die
Bilanzen ungemein auf und staatliche Mittel
gäbe es allein schon zum Unterhalt des dann
teilweise oder voll privatisierten Netzes, Jahr
für Jahr zweieinhalb Milliarden Euro, wobei
es weitgehend der DB AG überlassen bliebe,
wie und wo sie diese einsetze. Für weitere
Geldtransfers aus den Taschen der Steuerzahler
in jene der privaten Anteilseigner (wie
üblich als „Investoren“ verklärt) sorgten die
Einnahmen aus dem, oft ebenso langfristig
und ohne Ausschreibung vergebenen, Nahund
Regionalverkehr. Oh, glückliche Welt
des Turbokapitalismus!
Wacket versucht sich auch an einem Psychogramm
Mehdorns, dessen persönlichen
Vorlieben es anscheinend auch zu verdanken
ist, dass die Bahn in den letzten Jahren
mehr und mehr Eigenheiten der Luftfahrt
übernommen hat. Der gern als ruppig und
eigenwillig beschriebene Manager steht
ganz im Zentrum des Buches – konsequenterweise,
denn die ihm gewogenen wie die
ihm feindlich gesonnenen Politiker (und als
Feind betrachtete und betrachtet Mehdorn
offenbar jeden, der nicht seiner Meinung
ist) kamen und gingen. Mehdorn blieb. Und
es war anscheinend nicht allzu wichtig, wer
den Aufsichtsratsvorsitzenden oder gar den
Bundesverkehrsminister geben durfte, insbesondere
nicht zu Zeiten der Kanzlerschaft
Schröders (der nach seinem Ausscheiden
aus der Politik nicht auf der Gehaltsliste der
DB AG landete, im Gegensatz zu zahlreichen
anderen Politikern – ein Umstand, der den
Kenner der Materie mehr überrascht als
der Seitenwechsel des Gewerkschaftschefs
Hansen). Lang ist die von Wacket zusammengetragene
Liste der kleinen Tricks, großen
Ungeheuerlichkeiten und regelrechten
Frechheiten, auch und gerade gegenüber
den Vertretern des Eigentümers, welche den
Vorstandschef jedes normalen Unternehmens
wohl längst den Kopf gekostet hätten.
Dabei blitzt in dem Buch gelegentlich
Sympathie für Mehdorn durch. Eigentlich
kann ihm auch niemand einen Vorwurf machen:
Er erledigt seinen Job, und das geradezu
gewissenhaft. Und die Aufgabe, welche
ihm gestellt wurde, lautet nun einmal nicht,
volkswirtschaftlich sinnvoll zu handeln, mehr
Verkehr auf die Schiene zu bringen, billige
und komfortable Verbindungen anzubieten,
dem Gemeinwohl zu nutzen, sondern: die
Bahn so rentabel wie möglich zu machen
und damit so attraktiv wie möglich an der
Börse, an welche er sie befördern soll.
Beschwerden über die Folgen des Umbaus
der einstigen Behörde zum global agierenden
Logistikkonzern sollten daher vor
allem an all jene Politiker gerichtet werden,
die gerade in den Monaten der heftigen Tarifauseinandersetzung
so taten, als wäre die
Bahn AG nicht nur auf dem Papier ein Privatunternehmen
und zudem eines, mit dem sie
leider, leider überhaupt nichts zu tun hätten
und das sie deshalb auch nicht beeinflussen
könnten.
Wie sich die angeblichen Vertreter des
Volkes und seiner Interessen aus der Verantwortung
stahlen und stehlen, wie sich die
Politiker hinter dem Bahnchef verstecken,
der die zunehmende Unbeweglichkeit, Ineffizienz
und Impotenz unseres real existierenden
politischen Systems geschickt
nutzt – das hätte in dem Band ruhig noch
etwas deutlicher benannt werden können.
Zumal Wacket klar darlegt: Die Interessen
der Bahnnutzer, insbesondere jener Mehrheit
der Deutschen, die nicht in den wenigen
Metropolen und deren Dunstkreis wohnen,
können niemals die Interessen einer börsentauglichen
Bahn oder deren künftiger (Mit-)
Eigentümer sein. Andererseits hegt Wacket
Zweifel, die DB AG könnte in der globalisierten,
neoliberalisierten Welt noch lange mithalten,
ginge sie einen anderen Weg, etwa
den der Schweizerischen Bundesbahnen.
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Markus Wacket: Mehdorn, die Bahn und die Börse. Wie der Bürger auf der Strecke bleibt. Redline Wirtschaft– FinanzBuch Verlag, München2008. 240 Seiten. 19,90 Euro. |
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Das Buch liest sich flüssig und unterhaltsam,
bietet aber – gerade deshalb? – wenig
Zahlen und „harte“ Fakten. Und da Wacket
sich dem Vernehmen nach vieler Zuträger
bedient hat, die aus verständlichen Gründen
anonym bleiben wollen, nennt es auch
für all die Anekdoten, Insiderinformationen
und Hintergrundberichte so gut wie keine
Quellen. Für die wissenschaftliche Arbeit ist
es daher kaum zu gebrauchen, fast ebensowenig
für die konkrete politische Argumentation.
Einen Index gibt es auch nicht, die
Kapitelüberschriften dienen nur begrenzt
der Orientierung. Der Band ist vor allem hilfreich
und sinnvoll, um die Entwicklung und
Geschehnisse der letzten Jahre noch einmal
Revue passieren zu lassen. Und wie die Ereignisse
der letzten Monate zwangsläufig fehlen,
so fehlt auch eine Antwort auf die Frage,
weshalb sich Mehdorn letztlich doch nicht
durchsetzen konnte mit seinem Wunsch
nach einem Börsengang samt Netz. Obwohl
der Leser schon ahnt: Das letzte Wort
dürfte hier noch nicht gesprochen sein, der
Schwanz längst wieder daran arbeiten, mit
dem Hund zu wedeln. Hartmut Mehdorns
Vertrag jedenfalls ist schon verlängert worden
– vorfristig und entgegen der Gepflogenheit,
nach der Vorstandsmitglieder mit
spätestens 65 Jahren ihren Posten räumen.
Er darf bis 2011 bleiben. Mindestens. Mal sehen,
was ihm bis dahin noch alles einfällt. Jan Gympel
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