Seit der EU-Osterweiterung 2004 gewinnen
die Verkehrswege zwischen Deutschland
und Polen zunehmend an Bedeutung. Vor
diesem Hintergrund ist die Bilanz im Güterverkehr
erschreckend, da von den deutlichen
Zuwächsen im Verkehrsaufkommen fast ausschließlich
der Straßengüterverkehr profitierte
und obendrein noch eine Verlagerung von
der Schifffahrt und vor allem von der Bahn
auf den Lkw stattgefunden hat. Dabei ist gerade
der Schienenverkehr in seiner Energieeffizienz
und Umweltbilanz der Straße weit
überlegen.
Im Schienenpersonenverkehr sieht die Bilanz
noch dramatischer aus; hier lag der Anteil
der Bahn im grenzüberschreitenden Verkehr
2004 gerade einmal bei 2 Prozent. Und trotz
steigenden Fahrgastzahlen wird er laut Prognose
auch 2025 nur wenig über 2 Prozent
liegen. Angesichts des seit Jahren bescheidenen
Zugangebots und fehlender Ausbaupläne
ist dies auch nicht erstaunlich.
Erschwerend wirkt
sich in der Relation Berlin
Hbf—Wrocław Głowny die unattraktiv
lange Fahrzeit von 5:22 Stunden aus; Berlin-
LinienBus benötigt für diese Strecke aktuell
eine Fahrzeit von 4:50 Stunden. Im Jahr 1936
benötigten die Diesel-Schnelltriebwagen dagegen
eine Fahrzeit von nur 2:39 Stunden bei
einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 124,3
km/h, allerdings mit der
im Vergleich zu heute
abweichenden Route
über Frankfurt (Oder)!
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Abgehängter Bahnhof Görlitz. Für die Strecken nach Dresden, Cottbus und Polen gibt es noch immer keine Termine für deren Ausbau und Elektrifizierung. Foto: Christian Schultz |
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Karniner Hubbrücke, Symbol für die Kriegsfolgen. Neben dem Bund hat auch Mecklenburg-Vorpommern angesichts der Konkurrenz für den Seehafen Rostock kein Interesse am Wiederaufbau der direkten Bahnverbindung zwischen Ducherow und der Hafenstadt Świnoujście. Foto: Christian Schultz |
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Verantwortungslos
ist angesichts dieser
Rahmenbedingungen
die teilweise seit vielen
Jahren andauernde Politik
von Ankündigungen,
ohne dass konkrete,
greifbare Ergebnisse
zum Ausbau der Schienenverbindungen
erreicht wurden. Dies
bestätigt sich auch in
den Antworten der Bundesregierung. Für
die Bahnstrecken Berlin—Szczecin, Berlin—
Wrocław, Dresden—Görlitz—Wrocław bzw.
auch Cottbus—Görlitz gibt es bis heute keinerlei
konkrete verbindliche Terminpläne für
den Ausbau einschließlich der notwendigen
Schließung von Elektrifizierungslücken. So
gehört u. a. das Vorhaben Ausbaustrecke
(Berlin—)Angermünde—Grenze Deutschland/
Polen (Elektrifizierung Passow—Grenze
D/PL) im jüngsten Entwurf des Investitionsrahmenplanes
des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS)
zu denjenigen Projekten, die erst nach 2015
begonnen werden sollen!
Eine der erfreulichen Ausnahmen ist die
im April 2012 erfolgte Unterzeichnung der Finanzierungsvereinbarung
für den Ausbau der
für den internationalen Güterverkehr wichtigen
Strecke Knappenrode—Horka—Grenze
Deutschland/Polen (siehe Seite 5).
Wiederaufbau der Strecke Ducherow—
Karnin—Świnoujście unwirtschaftlich?
Dass das Gutachten der DB International
GmbH bezüglich der Wirtschaftlichkeit des
Wiederaufbaus der Strecke Ducherow—Karnin—
Świnoujście keine neuen Erkenntnisse
brachte, ist falsch! Während in der vom BMVBS
beauftragten Studie von Intraplan ausschließlich
der Personenverkehr berücksichtigt wurde,
gelangte DB International GmbH mit Berücksichtigung
auch des Güterverkehrs von/zur
Hafenstadt Świnoujście zu einem erheblich
besseren Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV). So
wurde in Abhängigkeit vom Ausbau der Hafenanlagen
auf der Westseite Świnoujścies von
DB International GmbH für vier verschiedene
Szenarien ein NKV von 2,6, 4,17, 5,56 und sogar
9,62 ermittelt. Der Grenzwert, an dem das
NKV über 1 steigt, liegt bei etwa 84 000 t/Jahr
für den Güterverkehr.
Dass auch im Personenverkehr noch ein
erhebliches Potenzial besteht, zeigt die beispiellose
Erfolgsgeschichte der Usedomer Bäderbahn
(UBB) seit Übernahme der Inselbahn
am 1. Juni 1995. Anfang der 1990er Jahre
sollte der Bahnbetrieb auf Usedom komplett
eingestellt werden. So nutzten im Jahr 1992
nur noch knapp 300 000 Fahrgäste die Züge,
inzwischen sind es über 3,5 Millionen Fahrgäste
pro Jahr!
Keine Finanzierungsmöglichkeiten für
die Verbesserung der Schieneninfrastruktur
zwischen Deutschland und Polen?
Sehr unglaubwürdig sind politische Argumentationen
mit fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten,
solange für ein Prestigeprojekt
wie Stuttgart 21 mindestens 4,5 Milliarden
Euro aufgebracht werden. Keiner kann
heute zudem sicher vorhersagen, was das
Großprojekt Stuttgart 21 am Ende tatsächlich
kosten wird. Die skandalösen Kostensteigerungen
für den Flughafen Berlin Brandenburg
(BER) seien an dieser Stelle nur beispielhaft
genannt.
Der Finanzbedarf für die Realisierung von
Stuttgart 21 geht zwangsläufig zu Lasten u. a.
der o. g. Projekte, die Fahrgästen wie Güterkunden
allerdings einen wesentlich höheren
Nutzen bringen würden. So beträgt der gesamte
Investitionsbedarf für die Ausbaustrecke
Berlin—Cottbus—Görlitz 242 Millionen
Euro.
Unverständlich ist, dass nach der umfassenden
Modernisierung des Abschnitts
Berlin—Cottbus auf einen zeitnahen Abschluss
des Gesamtprojekts
mit
Elektrifizierung
des Abschnitts
Cottbus—Görlitz
verzichtet wird.
Auch der Investitionsbedarf
für
das Projekt Ducherow—
Karnin—
Świnoujście erreicht
bei weitem nicht
die Größenordnungen
wie Stuttgart 21.
Sowohl im Gutachten
von Intraplan
als auch von DB International GmbH wurde
zugrunde gelegt, dass die Strecke Ducherow—
Karnin—Świnoujście als eingleisige
Strecke wiederaufgebaut und auch elektrifiziert
wird. Das Investitionsvolumen inklusive
der Planungskosten wurde seitens Intraplan
mit rund 140 Millionen Euro für die rund 40
km lange Strecke errechnet. Die Anbindung
des Westhafens Świnoujścies wurde von DB
International GmbH mit 6,8 Millionen Euro
ermittelt.
Desinteresse an den genannten Schienenprojekten
zwischen Deutschland und Polen
dürfte die Haltung des Bundes wohl treffender
beschreiben. Deutscher Bahnkunden-Verband
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