Im Mai 2012 begann in Berlin und Brandenburg
der Fahrgasteinsatz der neuen Elektro-
Talent-2-Triebwagen (ET 442) von Bombardier,
produziert im Hennigsdorfer Werk. DB
Regio setzt die Fahrzeuge zunächst auf den
Linien RB13, RB20, RB21, RB22 und RB23
rund um Potsdam ein. Später sollen auch
die über die Berliner Stadtbahn verkehrenden
Linien RB14 und RE 7 bestückt werden.
Hauptsächlich werden damit die alten
Reko-Reichsbahn-Doppelstockwagen vom
Typ DBuz abgelöst, was für die Fahrgäste ein
deutlicher Gewinn ist. Mit der Eröffnung des
Flughafens BER, jetzt geplant für März 2013,
geht auch der neue FlughafenExpress RE 9
mit Talenten in Betrieb.
Geliefert wurden zunächst 14 Stück 3-teilige
Triebwagen. Insgesamt sind
48 Fahrzeuge
vorgesehen, teils 3-teilig, teils 5-teilig und
teils mit 600, teils mit 800 mm Einstiegshöhe,
die je nach Bahnsteighöhe und Fahrgastaufkommen
im „Ausschreibungsnetz Stadtbahn“
bei DB Regio eigentlich schon seit
Dezember 2011 eingesetzt werden sollten.
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Lange haben DB und Fahrgäste gewartet: Am 8. Mai 2012 präsentierte DB Regio die neuen Elektrotriebwagen vom Typ Talent 2 (ET 442), hier in der 3-teiligen Variante. Foto: F. Müller |
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Im Innenraum gibt es viele Stufen zwischen den Tiefeinstiegen und den Abteilen auf den Drehgestellen. Das 1. Klasse-Abteil ist mit einer Glastür abgetrennt. Foto: F. Müller |
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Die untere Verengung des Wagenüberganges über dem Jakobsdrehgestell fällt kaum auf. Foto: F. Müller |
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Das Rollstuhlabteil neben dem geräumigen WC. Foto: Marc Heller |
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Foto: Marc Heller |
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Die Mehrzweckabteile sind mit Klappsitzen ausgerüstet. Foto: Marc Heller |
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Foto: Marc Heller |
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Eine Tür, zwei Trittstufen – je nach Bahnsteighöhe. Foto: Marc Heller |
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Doppelte ausfahrbare Trittstufen
In den ersten Wochen machten die Fahrzeuge
im Fahrgasteinsatz einen positiven Eindruck.
Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei
160 km/h mit einer guten Beschleunigung.
Die Fahrzeuge bieten Vollklimatisierung,
Steckdosen an vielen Sitzplätzen, Sitze mit
seitlichen Armlehnen und hohen Kopflehnen
und Videoaufzeichnung. Das Kuppeln
und Trennen von Fahrzeugen, das im künftigen
Fahrplan regelmäßig geschehen soll,
wurde in den ersten Wochen in Golm geprobt.
Ausfahrbare Trittstufen außen an den Türen
dienen als Spaltüberbrückung oder zum
Besteigen des Fahrzeugs. Zum Teil sind die
Fahrzeuge mit zwei Trittstufen pro Tür in
verschiedenen Höhen ausgestattet, die je
nach Bahnsteighöhe genutzt werden. Das
Ausfahren der Trittstufe dauert etwa 3 Sekunden
und verzögert somit das Öffnen der
Tür.
Bei diesen Bauteilen ist zu wünschen,
dass sie möglichst robust und ausfallsicher
konstruiert sind und sich im harten Alltag
bewähren. Bei anderen Fahrzeugen mit
ausfahrbaren Trittstufen gab es bis heute
wiederholt massive Probleme, die zum Abschalten
der Trittstufen und im schlimmsten
Fall zum Komplettausfall des Fahrzeugs
führten, wenn sich die am Bahnsteig ausgefahrene
Stufe nicht mehr zurückziehen lässt.
Die Bewährungsprobe für den Talent
kommt im Winter bei Schnee und Streusand.
Zusätzlich gibt es im Wagen eine vom Betriebspersonal
manuell anzulegende Überfahrrampe
zur Überbrückung des Höhenunterschieds
zwischen Wagenfußboden und
Bahnsteig für Rollstuhlfahrer. Das Türöffnen
und Türschließen wird von einem Warn-
Piepston begleitet.
An jeden Türraum schließt sich ein Mehrzweckabteil
an, in der Mitte des dreiteiligen
Fahrzeugs gibt es zwei Rollstuhlplätze sowie
ein behindertengerechtes WC, im fünfteiligen
Fahrzeug auch noch ein weiteres kleines
WC.
Klapptische und Kniefreiheit
Alle festen Sitze (außer Klappsitze) haben einen
Klapptisch am Rücken des Vordersitzes
oder einen festen Tisch über dem Abfallbehälter
im Vis-á-vis-Abteil.
Die Sitze sind gepolstert und mit blauem
Stoff bezogen. Der Sitzabstand (Kniefreiheit)
scheint für die große Mehrzahl der Fahrgäste
angemessen zu sein.
Die 3-teiligen Talente haben in der Berlin/
Brandenburg-Ausführung 179 Plätze (davon
12 in der 1. Klasse), die 5-teiligen Talente 315
Plätze (davon 15 in der 1. Klasse). Die Mehrzweckabteile
sind konsequent mit Klappsitzen
bestückt, um bei Bedarf möglichst viele
Sitzplätze anbieten zu können.
Das Fahrgeräusch sowie die Lüftung ist innen
wie außen angenehm leise.
Während der Fahrt mit höherer Geschwindigkeit
macht sich zum Teil ein Schlingern
oder seitliches Wippen des Wagens bemerkbar.
Hier ist eine Nachjustierung der
Schwingungsdämpfer wünschenswert. Das
führende Drehgestell erscheint bei höherer
Geschwindigkeit etwas lauter als die Jakobsdrehgestelle
an den Wagenübergängen.
Ebenso ist im vorderen Abteil das Luftreibungsrauschen
von außen am Wagen deutlich
hörbar.
Der Innenraum ist mit einigen Stufen und
Fußbodenneigungen versehen. Zu den Enddrehgestellen
geht es im Fahrgastraum drei
Stufen hinauf, zu den Abteilen über den Wagenübergängen
eine Stufe. Die Mehrzweckabteile
und das Rollstuhlabteil sowie das WC
sind von den entsprechenden Eingängen
natürlich stufenfrei zu erreichen,
zum Teil über Neigungen im
Fußboden.
Im Niederflurbereich stehen Gepäckablagen
über den Sitzen bereit,
größere Gepäckstücke passen
auf dem Fußboden zwischen die
Rückenlehnen der Vis-á-vis-Abteile.
Fahrgastinformation
Zur Fahrgastinformation sind an
den Wagenübergängen und den
Wagenenden 15-Zoll-Monitore
montiert, die das bekannte Reisendeninformationssystem
mit
Echtzeitinformationen zeigen sollen. Dieses
funktionierte jedoch im Juni noch nicht vollständig.
Zusätzlich gibt es im Innenraum LED-Laufbänder,
die nacheinander die Liniennummer
und das Ziel, den nächsten Bahnhof und
die Ausstiegsseite, Datum und Uhrzeit sowie
WC-besetzt anzeigen.
Die LED-Außenanzeiger sind zweizeilig
programmiert und zeigen die Liniennummer,
das Ziel und ausgewählte Via-Stationen an.
Letzteres ist ein deutlicher Fortschritt in der
Fahrgastinformation.
Jahrelange Verspätung
Die Fahrzeug-Zulassung durch das Eisenbahn-
Bundesamt und die Abnahme durch die DB
AG zog sich jahrelang hin, so dass viele Wagen
schon lange ungenutzt auf Abstellgleisen herumstanden.
Durch den erst am 8. Mai kurzfristig
verschobenen Flughafen-BER-Eröffnungstermin
bestand bis dahin der Druck, mit den
neuen Fahrzeugen zum 3. Juni den FlughafenExpress
Berlin Hbf—Flughafen BER (RE 9)
einzurichten. Ansonsten hätte man anderswo
passende Fahrzeuge abziehen müssen, um sie
auf dem RE 9 einzusetzen, was durch die allgemeine
Fahrzeugknappheit beim DB-Konzern
zu Schienenersatzverkehr auf weniger im Fokus
stehenden Strecken hätte führen können.
Insofern hatte die späte Bekanntgabe der
Verschiebung der Flughafeneröffnung für die
Bahnfahrgäste doch auch etwas Gutes: Ohne
den Handlungsdruck wären die Talente vielleicht
noch immer nicht im Fahrgasteinsatz,
wovon jetzt auch Fahrgäste profitieren, die
nicht zum Flughafen wollen.
Die für den FlughafenExpress RE 9 vorgesehenen
drei fünfteiligen Fahrzeuge sollen
zunächst auf „stand by“ bis zur Flughafeneröffnung
bereitgehalten werden.
Die Talent-Fahrzeuge für die Strecke Cottbus—
Leipzig, die bereits
seit Dezember 2010 dort
verkehren sollten, stehen
leider noch immer nicht zur
Verfügung und kommen
erst später zur Auslieferung.
Die Zulassung für die Berlin-
Brandenburger Talente
sieht zwar immer noch
einige Einschränkungen
vor, die aber das geplante
Betriebsprogramm nicht
beeinträchtigen sollen. So
können die Talente bisher
nur zu Zweiertraktionen
gekuppelt werden (auch
3+5-teilige), aber noch nicht zu Dreiertraktionen.
Auch ist ein Kuppeln mit anderen Baureihen
noch nicht möglich.
Stärken und Schwächen
DB Regio hat versprochen, dass die angebotene
Platzkapazität durch das geplante Stärken
und Schwächen der Züge besser der Nachfrage
angepasst wird. So fährt zum Beispiel der
RE 7 heute mit vier Doppelstockwagen den
ganzen Tag über den gesamten Laufweg. Ab
Dezember 2012 sollen hier auf nachgefragten
Streckenabschnitten und Tageszeiten Talente
in Doppeltraktion (3+5-teilige mit 494
Sitzplätzen) eingesetzt werden, bei weniger
Fahrgastandrang werden Solo-5-teiler (315
Sitzplätze) fahren. Das ist gegenüber heute
zwar eine Verringerung der Sitzplatzzahl bei
geringer Fahrgastnachfrage, aber eine Ausweitung
bei hoher Nachfrage. Hier bleibt zu
hoffen, dass DB Regio wirklich nur bei geringer
Nachfrage die Züge schwächt und keine
unschönen Spareffekte zum Nachteil der
Fahrgäste auftreten.
Fazit
Aus Fahrgastsicht werden mit dem Talent 2 keine
neuen Maßstäbe gesetzt, aber damit hat
auch niemand gerechnet. Die Fahrt mit dem
Talent 2 ist aber um ein Vielfaches angenehmer
als mit den alten Doppelstockwagen. (fm) IGEB S-Bahn und Regionalverkehr
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