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Schienenverkehrsknoten Nordkreuz

Bedeutender Fernbahnabschnitt fertiggestellt, doch auf dem Nordring ist im Verzug

Der von der Deutschen Bahn AG lediglich als Arbeitstitel gewählte Begriff "Nordkreuz" hat schon zu Mißverständnissen geführt. Es handelt sich hier nicht etwa um einen neuen Bahnhof, sondern um den im Bereich Gesundbrunnen/Bomholmer Straße/Schönhauser Allee entstehenden Schienenverkehrsknoten, ohne den das sogenannte Pilzkonzept ebenso Makulatur wäre wie ohne den Nord-Süd-Tunnel durch den Großen Tiergarten. Aber anders als beim umstrittenen Tunnelprojekt, für das der Planfeststellungsbeschluß trotz vieler Änderungen (und einer Rekordzahl von Einwendungen - s. SIGNAL 1/95 ) nun hektisch herbeigeführt werden soll, gab es zum Nordkreuz übenwiegend Zustimmung, und seit Herbst 1993 haben die Bautrupps hier bereits ein gewaltiges Stück Arbeit geleistet.

Die Gesamtbaumaßnahme Nordkreuz gilt als Wiederaufbau auf vorhandenem Bahngelände, ein Planfeststellungsverfahren war somit nur für gravierende Änderungen wie völlig neue Gleistrassen und Oberleitungen nötig. Am 17. Januar 1995 nahm die DB AG einen wichtigen Teilabschnitt (den Bauabschnitt 91) in Betrieb: Die Ferngleise Pankow Greifswalder Straße sind nun wieder elektrisch befahrbar. Südöstlich der Behmstraßenbrücke überqueren sie die bereits in Beton gegossenen Tunnelstücke für die Ringbahn zwischen Gesundbrunnen und Schönhauser Allee und die S-Bahn-Trasse Bornholmer Straße (West) - Schönhauser Allee. In 14-monatiger Bauzeit wurden für 60 Mio DM insgesamt zwölf Ingenieurbauwerke (Über- und Unteführungen) errichtet und 4,4 Kilometer Gleise neu verlegt. 12.000 Kubikmeter Schotter, 15.000 Meter Kabel, 3.000 Meter Oberleitung, 35.000 Kubikmeter Beton sind "verbaut" worden. 175.000 Kubikmeter Bodenaushub und 75.000 Kubikmeter Bodeneinbau waren erforderlich. Außerdem entstand das Container-Stellwerk "Bof".

Ab Fahrplanwechsel Ende Mai sollen täglich 26 Fernreise-Züge von und nach Berlin-Lichtenberg das künftige Nordkreuz passieren: zwölf InterRegios der Linien Rostock Chemnitz und Stralsund - Leipzig sowie 14 EC- und IC-Züge der Relation Nauen - Dresden - Prag. Schon jetzt nutzen Güterzüge und bei Bedarf auch Reisezüge die Trasse zwischen Pankow und dem östlichem Innenring. Neu mit ihr verknüpft ist die Güterstrecke aus Richtung Tegel (in Höhe des Bahnhofs Bomholmer Straße); das sogenannte Franzosengleis Schönholz - Gesundbrunnen - Moabit wurde dagegen gespert und bereits teilweise abgebaut

Von allen Strecken in alle Richtungen

Niveaufreie Gleisverbindungen ermöglichen am Nordkreuz in Zukunft Zugfahrten praktisch von jeder Strecke in jede Richtung für Regional- und Fernbahn! So sollen die Züge aus Rostock oder Stralsund zum Bahnhof Gesundbrunnen verkehren und von dort - vorausgesetzt, der neue Nord-­Süd-Tunnel wird realisiert nach der Jahrtausendwende zum Lehrter Zentralbahn­hof. Alternativ könnten sie aber auch über den Innenring westwärts geleitet werden. Ebenso denkbar sind InterRegio­ oder Regionalbahnlinien via Spandau - Gesundbrunnen zum Bahnhof Lichtenberg. Wie der für das Gesamtvorhaben "Berliner Innenring/Nördlicher Abschnitt" zuständige Projektleiter Ingo Adam betont, wird in jedem Fall im Nordkreuz auch die Ausfädelung einer zweigleisigen Fernbahntrasse Richtung Frohnau - Rostock baulich vorbereitet. Die Strecke über Frohnau (die sogenannte Nordbahn) wird indes, wenn überhaupt, erst deutlich nach Jahrtausendwende gebaut. Deshalb nehmen Züge zur Ostsee auf unbestimmte Zeil die Umwegroute über Blankenburg und das Karower Kreuz.

Schon konkreter absehbar ist die Verknüpfung der S-Bahn-Trasse aus Bernau/Birkenwerder - Blankenburg (S8/S10) mit der Nord-Süd-S-Bahn Richtung Gesundbrunnen (S1/S2). Voraussichtlich ab Ende 1997 bleibt den Fahrgästen das Treppauf­-Treppab am Bahnhof Bornholmer Straße erspart. Der provisorische Haltepunkt für S8 und S10 wird dann aufgegeben, wie vor dem Mauerbau halten die Züge aller Linien wieder an den beiden alten Bahnsteigen unter der Bösebrücke, einer dient grundsätzlich der Nordrichtung, der andere der Südrichtung. Züge aus Oranienburg und Bernau können dann sogar zeitgleich am selben Bahnsteig eintreffen. Die schon 1952 eigens zur Umgehung des französischen Sektors geschaffene "Stalin­-Kurve Pankow - Schönhauser Allee" verschwindet, trotzdem sind neben Direktfahrten von Pankow zum Westring (neu) weiterhin auch solche zum Ostring möglich. Bei der S-Bahn GmbH denkt man z.B. an eine Linie Hennigsdorf- Tegel - Ostring. (Wie in SIGNAL 1/95 berichtet wurde, prüften Gutachter erneut, ob auf der Kremmener Bahn Regionalzüge ausreichen. Dem Vernehmen nach hat sich dabei aber wiederum die Gleichstrom­-S-Bahn durchgesetzt, ab Oktober 1998 soll sie bis Hennigsdorf verkehren.)

Strecke
Foto: Frank Böhnke
Baustelle
Baustelle Nordkreuz. Beide Fotos zeigen die S- und Fernbahngleise von Pankow (Stettiner Bahn) zur Greifswalder Straße (Nordring), oben im November 1992 vor dem Abbau der Fernbahngleise, hier im November 1994 nach deren Wiederaufbau. Bisher lagen sie auf einem Damm, jetzt führen sie über ein großes Brückenbauwerk Foto: Bodo Schulz

Noch weiter gestärkt in seiner Bedeutung wird der S-Bf Bornholmer Straße durch die für Ende September 1995 vorgesehene Verlängerung der Straßenbahnlinie 23 zum Louise-­Schroeder-­Platz (siehe auch Seite 17). Leider werden die Straßenbahnhaltestellen nicht unmittelbar an den S-Bahn-­Zugängen errichtet.

Zwei Richtungsbahnsteige für die S-Bahn erhält auch der Bahnhof Gesundbrunnen. Hier treffen sich künftig die Linien der (S1 ,S2 etc.) und des Vollrings (S4). Zwischen Gesundbrunnen und Schönhauser Allee sollen die Züge 1999 rollen. Erfreulich: Es werden direkte Umsteigetreppen zwischen den S-Bahnsteigern und dem U8-Bahnsteig angelegt werden, und der S- und Fernbahnhof erhält einen neuen Vorplatz zur optimalen Anbindung der Omnibusse an die Bahnhofszugänge.

Verzögert dem Ringschluß entgegen

Von Westen her tastet sich die S-Bahn etappen­ weise heran. Voraussichtlich erst Ende 1996, also über ein Jahr später als geplant, wird das Teilstück Westend - Jungfernheide fertiggestellt. Eigentlich sollte zu diesem Zeitpunkt schon bis Westhafen gefahren werden, Ende 1997 dann bis Gesundbrunnen. Die Einhaltung der Termine hängt wesentlich von der Mittelfreigabe durch Bonn ab. Das Gesamtprojekt Nördlicher Innenring einschließlich Nordkreuz ist mit 1,96 Millarden DM veranschlagt, nur 180 Millionen sind bisher bewilligt.

Skizze
Die Schema­-Skizze zeigt das sogenannte Nordkreuz. Ziel der Bahn ist es, daß alle Züge in alle Richtungen fahren können. Besonders schwierig ist dabei der mit dem Pfeil gekennzeichnete Bereich. Seit dem 16.1.1995 können hier wieder Fernzüge verkehren (siehe Foto auf Seite 6 unten). Skizze: DB AG

Verzögerungen gab es unter anderem wegen veränderter Planungskompetenzen. Der Senat ist nach Übernahme der S-Bahn durch die Deutsche Bahn AG bzw. ihre Tochter S-Bahn Berlin GmbH ohnehin nicht mehr zuständig. Die Planfeststellung und Bauaufsicht obliegt der neuen Behörde Eisenbahn-­Bundesamt, von ihr muß die privatrechtliche DB AG alle Bauvorhaben absegnen lassen. Die ersten Ausschreibungen waren aber noch von der Reichsbahndirektion Berlin, Projektgruppe Bau vorgenommen worden, so z.B. im Berliner Amtsblatt vom 30.12.1993: "Stahlbetonarbeiten S-Bahn Berlin-­Westend bis Berlin-­Jungfernheide. voraussichtlich in der Zeit von März 1994 bis März 1995." Schön wäre es gewesen.

Bahnhof
Anfang Januar 1995 am S-Bf Bornholmer Straße. Für die inbetriebnahmen des Fernbahngleises von Pankow zur Greifswalder Straße finden letzte Arbeiten statt. Das zwischen der rampe und dem S-Bahnsteig gelegene Gleis führt Schönholz nach Tegel. Foto: Marc Heller
strecke
16. Januar 1995. Seit diesem Tag können wieder Fernzüge zwischen Pankow und Greifswalder Straße verkehren. Das Foto zeigt das neue Überführungsbauwerk der Fernbahn über die S-Bahn. Links im Bild sind die Aus- und Einfahrt der S-Bahn-Unterführung für die Züge von Schönhauser Alle nach Bornholmer Straße zu erkennen, die jetzt noch nordöstlich der Fernbahn fahren wie der abgebildete Zug Richtung Schönhauser Allee. Unten im Bild befindet sich die Ausfahrt für die Züge auf der Ringbahn in Richtung Gesundbrunnen. Foto: DB AG, NRZ II

Alles in allem sind - so Projektleiter Ingo Adam - 69 Kilometer Fernbahngleise und (ohne S21 zum Lehrter Zentralbahnhof) 32 Kilometer S-Bahn-­Gleise neu zu verlegen. Zum "Gesamtpaket" zählen auch zwei Regionalbahnsteige und ein Fernbahnsteig in Gesundbrunnen. Letzterer soll übrigens nun doch die ICE­-gerechte Länge von 410 Metern aufweisen. Überlegungen, es vorerst bei 300 Metern zu belassen, hat der Bahnvorstand endlich verworfen. Zwar soll der ICE in Gesundbrunnen nicht regulär halten, dorthin kann er aber bei Störungen auf der Stadtbahn oder Nord-­Süd-Fernbahntunnel ausweichen. Auf die bahnnotwendige von etwa 1.500 bis 2.000 Quadratmetern reduziert wird das vom Architekten Axel Oestreich entworfene Empfangsgebäude. Die Option Für einen von privaten Investoren finanzierten Ausbau, etwa die Errichtung von fünf Bürotürrnen, bleibt offen.

Neben der S-Bahn sollen zumindest Regionalzüge schon vor der Jahrtausendwende zum Bahnhof Gesundbrunnen fahren: Nach den Vorstellungen des Landes Brandenburg und des DB-Geschäftsbereich Nahverkehr sind es ab 1998/99 der RegionalExpress aus Schwedt (Linie RE 3) und ab ca. 1999 auch der aus Neuruppin (RE4). Der Abschluß aller Baumaßnahmen im Bereich Nordkreuz ist für das Jahr 2002 terminiert.

IGEB

aus SIGNAL 2/1995 (April 1995), Seite 4-6

 

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