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Der 14. Oktober 1995 wird als denkwürdiger Tag in die Berliner Verkehrsgeschichte eingehen.
Fast genau 28 Jahre nach der Abschaffung der Straßenbahn in West-Berlin wurde die erste
StreckenverIängerung in den Westteil der Stadt eröffnet. Gleichzeitig konnte
mit der Wiederinbetriebnahme von Berlins ältester U-Bahn-Strecke
(hier eine Hochbahn) der so wichtige Lückenschluß im Schnellbahnnetz zwischen
U-Bf Schlesisches Tor und S-Bf Warschauer
Straße gefeiert werden. Die Wiederinbetriebnahme der beiden
Schienenstrecken symbolisiert in herausragender Weise das Zusammenwachsen der
Stadt seit dem 9. November 1989. Beide führen über geschichtsträchtige Brücken, an denen
die Stadt in Ost und West geteilt war: die Straßenbahn über die Bösebrücke nach
Westen und die U-Bahn über die Oberbaumbrücke nach Osten!
Nur wer schon länger in Berlin lebt, konnte nachemptinden, was
dieses Ereignis für die Berliner Bevölkerung bedeutete.
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Generalprobe. Während an vielen Stellen noch gebaut wurde, fanden in den Tagen vor dem 14. Oktober die Fahrschulungen und natürlich die Pressefahrt statt. Foto: Thomas Billik |
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Bei aller Freude darf nicht vergessen werden: Dieses war nur der 1. Teilabschnitt. Der 2. - und weitere - müßen folgen. Foto: Stefan Schnerr |
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Der Friedrichsheiner Bezirksbürgermeister Helios Mendiburo (SPD) forderte bei der Eröffnung der U-Bahn-Strecke über die Oberbaumbrücke auch die Verlängerung der Straßenbahn über diese Brücke nach Kreuzberg und Neukölln. Foto: I. Schmidt |
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Unverständlich ist, daß es die BVG nicht geschafft hat, ihren Informationscomputer, der leider schon häufig Anlaß zu Kritik gab, rechzeitig umzustellen. Dieser war auch für den 25. Oktober noch auf SEV statt U1/U15 programiert. |
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Lange Wege und mehrfach Fahrbanüberquerungen sind erforderlich, um zwischen U-Bahn und Straßenbahn sowie S-Bahn umsteigen zu können. Den hochranigen Eröffnungsgästen war derartiges natürlich nicht zuzumuten. Sie wurden mit Sonderbussen von der U-Bahn- zur Straßenbahn-Eröffnung befördert. Foto: I. Schmidt |
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Wieviel attraktiver eine als Hochbahn geführte U-Bahn ist, veranschaulichen diese beiden Bilder des am 14. Oktober wieder in Betrieb genommenen Abschnittes über die Oberbaumbrücke. Hier ein Blick aus dem Zug auf die Brücke aus Kreuzberger Sicht. Foto: Thomas Billik |
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Hier der Blick von Friedrichshain nach Kreuzberg. Im Vordergrund ist die Bahnsteigbeleuchtung des U-Bfs Warschauer Straße zu sehen. Foto: Marc Heller |
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Nachdem der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen„ Bausenator Wolfgang Nagel,
Verkehrssenator Herwig Haase und andere prominente Einweihungsgäste bewiesen hatten, daß
auch sie zu den Benutzern öffentlicher Verkehrsmittel zählen, wenn Ihnen nur die
Aufmerksamkeit der Medien gewiß ist, feierten Tausende die
überfällige Wiederinbetriebnahme dieser wichtigen Lückenschlüsse zwischen Ost und West,
Vom "Großen Bahnhof" an der Warschauer Straße führen viele direkt mit der Straßenbahnlinie
23 zur zweiten festlichen Eröffnung des Tages,
zur Straßenbahn im Wedding. An dieser Stelle
soll nicht unerwähnt bleiben, daß die Eröffnungsgäste nicht mit der Straßenbahn, sondem mit
Bussen (!) von der Warschauer Straße zur Bornholmer Straße fuhren, So blieben ihnen auch einige
Erkenntnisse erspart, z.B. über die katastrophalen Umsteigeverhältnisse zwischen der U-Bahn
und der Straßenbahn sowie der S-Bahn auf der
Warschauer Brücke oder über behindernde Straßenbahn-Ampelschaltungen.
U-Bahn auf der Oberbaumbrücke
Ein Jahr nach der Öffnung für den Autoverkehr
wurde nun auch der Schienenverkehr auf der
Oberbaumbrücke wiedereröffnet, so daß endlich
eine - allerdings mit kurzem Fußweg verbundene - Verknüpfung zwischen den U-Bahn-Linien
U1 und U15 mit den S-Bahn-Linien 3, 5, 6, 7,
75 und 9 geschaffen wurde. Der 950 m lange
Streckenabschnitt war Bestandteil der ersten
Berliner U-Bahn-Strecke, die 1902 eröffnet wurde. Zu beachten sind dabei die sorgfältig
restaurierte Oberbaumbrücke und der denkmalgerechtwiederhergestellte Hochbahnhof
Warschauer Brücke (jetzt Warschauer Straße).
Umso schwerer wiegt das Fehlen der Straßenbahnverbindung über die Warschauer und
Oberbaumbrücke zum Stadtbezirk Kreuzberg, die sie
auch von den beiden Bezirksbürgermeistem
Strieder (Kreuzberg) und Mendiburo (Friedrichshain) am Eröffnungstag gefordert wurde. Wer
vom U-Bf Warschauer Straße kommend mit den
Straßenbahnlinien 20 oder 23 weiterfahren möchte, muß mit einem achtminütigen Fußmarsch und
mehreren Überquerungen der Fahrbahn rechnen.
Hier zeigt sich der Elfekt einer Verkehrsplanung,
die in erster Linie auf das Auto fixiert ist: Zuerst
durfte der motorisierte lndividualverkehr über die
Oberbaumbrücke rollen, dann folgte die U-Bahn,
und irgendwann einmal wird - vielleicht - die Straßenbahn dort verkehren.
Gut gefüllte U-Bahn-Züge
Bis ein neues Angebot von den Fahrgästen in
ihrer täglichen oder gelegentlichen Routenwahl berücksichtigt wird, vergehen Wochen oder
Monate. Verkehrsfachleute haben ermittelt, daß fundierte Aussagen über die Akzeptanz einer neuen
Strecke sogar erst nach einem Jahr möglich sind.
Umso erfreulicher ist es, daß die U-Bahn-Züge
schon in den ersten Tagen zumindest im Berufsverkehr sehr gut besetzt waren. Dies konnte schon
deswegen nicht erwartet werden, weil durch
schlechte Planung bei den Straßenbauarbeiten die
zwischen U- und S-Bahn umsteigenden Fahrgäste zu einem sehr unattraktiven Umweg mit
zweimaliger Überquerung der Warschauer Straße
gezwungen werden. Hinzu kamen Probleme, den
Fahrplan einzuhalten, weil sich das Kehren der
Züge in Warschauer Straße im 3-Minuten-Takt
erst einspielen mußte.
Erfreulich ist, daß die BVG die Züge der U15 seit
dem 14. Oktober montags bis freitags ohne die
vormittägliche Unterbrechung bis Warschauer
Straße (statt bisher Kottbusser Tor) verkehren
läßt. Die Entscheidung zu dieser Angebotsverbesserung fiel erst kurz vor der
Wiederinbetriebnahme. Und auch für die (zu langen) Zeiten, in
denen die U15 nur zwischen Uhlandstraße und
Wittenbergplatz verkehrt, gibt es endlich eine
kleine, aber gerade für die vielen Berlin-Besucher
auf dieser Strecke wichtige Verbesserung. Auf
dem U-Bf Wittenbergplatz wird bei Ankunft der
U15 "Wittenbergplatz. Endbahnhof. Weiterfahrt
in Richtung Warschauer Straße vom Bahnsteig
II" verkündet, und seitdem fährt kaum noch ein
Fahrgast unfreiwillig nach Uhlandstraße zurück.
Kurz vor den Wahlen: "Tram goes West"
Die bevorstehenden Wahlen hatten das Unmögliche möglich gemacht. Mit nur einem Jahr
Bauzeit bzw. acht Monate nach dem Planfeststellungsbeschluß wurde das erste Teilstück der
Straßenbahnverlängerung für die Linie 23 errichtet:
die 2,7 km lange Strecke zur provisorischen Endstelle Louise-Schroeder-Platz.
Behindertenfreundliche Haltestellen mit Wetterschutz und
Beleuchtung, zwei Umsteigemöglichkeiten zu S-
bzw. U-Bahn, geringer Haltestellenahstand (und
damit kurze Fußwege), Rasengleis (Schienen elastisch befestigt auf Betonlängsbalken),
baumschonende Bauweise etc, sind nur einige der Attribute einer Trasse, mit der Maßstäbe für
weitere Streckenverlängerungen gesetzt werden.
Das ganze Wochenende über herrschte enormer
Andrang auf den frisch eingeweihten Strecken.
Riesig war das Interesse vor allem an der "zurückgekehrten" Straßenbahn, wie die trotz dichter
Zugfolge überfüllten
Züge zeigten. Daß einige Fahrgäste ihre Vorbehalte gegen das noch
unbekannte Medium
Straßenbahn abbauen
mußten, merkte man an
Äußerungen wie:
"Mensch. die ist ja leise", "Schönes Fahrgefühl!", "Es geht zügig
voran". Immerhin besitzt die Straßenbahn
auf dem Neubauabschnitt eine "relative"
Vorrangschaltung, die
sicher noch verbesserungsfähig ist und
längst nicht eine in anderen Städten übliche
Reisegeschwindigkeit
zuläßt, die aber die
ampelgequälten Berliner Straßenbahnfahrgäste immerhin die
möglichen Qualitäten
einer modemen Straßenbahn erahnen läßt.
Neben dieser eingeschränkten Vorrangschaltung sind aber noch weitere kritische
Anmerkungen geboten. So ist insbesondere die Umsteigesituation am U-Bf Osloer Straße nicht
optimal. Der (anfällige) Aufzug wird der großen
Zahl der umsteigenden Fahrgäste nicht gerecht,
so daß viele Fahrgäste unnötig komplizierte Umsteigewege zurückzulegen haben. Wichtigster
Kritikpunkt ist jedoch die emeute Verschiebung
des Fertigstellungstermins des zweiten Teilabschnitts bis zum Eckernförder Platz (mit der
wichtigen Umsteigestation U-Bf Seestraße) auf Ende
1997. Noch im Juli 1994 hatte Bausenator Nagel verkündet, daß "die Bauarbeiten bis zum
Ekcernförder Platz bis 1996 endgültig abgeschlossen werden" (Landespressedienst 4.7.1994).
Auf die Feier folgte der traurige Berliner Straßenbahn-Alltag
Nach der feierlichen Eröffnung wirkte sich sehr
schnell der Berliner Straßenbahn-Alltag auch auf
die Neubaustrecke aus. Neben den "üblichen"
Behinderungen der Linie 23 in Friedrichshain
erwies sich - wie von der IGEB erwartet - die
ohnehin problematische Prenzlauer Promenade
als neuralgischer Punkt. Obwohl die Behinderungen der Straßenbahn hier seit Jahren ein Problem
sind, hat es der Berliner Senat bis zum heutigen
Tag nicht geschafft, die Gleise in der Prenzlauer
Promenade abzumarkieren und damit vom Autostau freizuhalten. Als nun im Oktober an der
Weißenseer Spitze gebaut wurde, brach hier alles zusammen, Dies führte in den ersten Wochen
dazu, daß sich allein bei den Zügen der Linie 23
die Ausfallkilometer (also die Betriebskilometer,
die fahrplanmäßig eigentlich vorgesehen waren)
auf fast 1.000 addierten! Verspätungen in der
einen Richtung werden wegen der unbefriedigenden Wendemöglichkeit am Louise-Schroeder-
Platz sofort auch in der Gegenrichtung wirksam.
Für die Fahrgäste bedeutete dies z.T. Fahrplanlücken von bis zu 30 Minuten!
Entspannt hat sich dies erst Ende Oktober, nachdem die Behinderungen an der Weißenseer Spitze
etwas reduziert wurden. Die Abmarkierung der
Straßenbahntrasse ist aber weiterhin dringend
geboten - genauso wie die Realisierung von Beschleunigungsmaßnahmen im Bereich
Friedrichshain. Trotz dieser vom Senat zu verantwortenden teilweise chaotischen Zustände haben sich
die Fahrgäste nicht entmutigen lassen. Die Straßenbahn-Neubaustrecke wird hervorragend
angenommen und beweist, daß mit der ersten Streckeneröffnung in West-Berlin ein richtiger Schritt
zur Korrektur der verkehrspolitischen Fehlentscheidung der 50er und 60er Jahre getroffen
wurde. IGEB
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