Am 22. Mai 1995 begannen Bauarbeiten an der überalterten Bergbrücke in Rüdersdorf, was zur Unterbrechung des Straßenbahnbetriebes zwang. Mit den vorgehaltenen Zweirichtungswagen wurde ein Pendelverkehr zwischen Friedrichshagen und Rüdersdorf, Torellplatz sowie auf dem übrigen Teilstück in Rüdersdorf zwischen Heinitzstraße und Alt-Rüdersdorf aufrechterhalten. Dieser Rückschritt sowohl hinsichtlich der Kapazität als auch des Fahrkomforts erschien angesichts der geplanten vier Wochen bis zur Anbindung einer Behelfsbrücke als tragbar. Genau daraus wurde aber nichts. Baugrunduntersuchungen (nachträgliche!) ergaben eine angeblich mangelnde Tragfähigkeit des Bodens. Die Fahrgastzahlen gingen zwangsläufig extrem zurück, genaue Zahlen sind nicht zu bekommen. Gerade in der Hitze dieses Sommers wurde die Fahrt in den engen und schaukelnden Altbauwagen als unangenehm empfunden, so daß die Parkplatzsuche in Friedrichshagen als das kleinere Übel eingestuft wurde. Dazu kam der Umsteigezwang in Rüdersdorf und der Fußweg über die Brücke. Der nach Fertigstellung der Brücke ab 19. September 1995 wieder mögliche Einsatz der KT4D ließ die Akzeptanz der Bahn wieder abrupt ansteigen. Neben der Zubringerfunktion zur S-Bahn hat die 88 eine beachtliche Rolle im innerörtlichen Verkehr. Der Schülerverkehr kann als obligatorisch abgehakt werden. An dieser Stelle sei allerdings die Frage gestattet, ob ein Schulsystem, daß durch mitunter weite Wege zusätzlichen Verkehr verursacht, der Weisheit letzter Schluß ist. Hinzu kommt Einkaufsverkehr nach Rüdersdorf. Als kritisch wird die Übergangssituation am Bahnhof Friedrichshagen angesehen. Das Überqueren der Straße in Richtung S-Bahn ist aufgrund der Verkehrsdichte risikobehaftet und noch schwieriger geworden, seitdem die querfahrtsregelung in diesem Kreuzungsereich geändert wurde. Eine Lösung in Form einer (eventuell schon durch die eintreffende Straßenbahn anzusteuernden) Ampelanlage ist angedacht. Bauarbeiten stehen weiter ins Haus. Allerdings soll nach Möglichkeit der Betrieb weiterhin aufrecht erhalten und auch der Einsatz der Tatras nicht nochmals zur Disposition gestellt werden. Die Erneuerung der Brücke über das Fredersdorfer Mühlenfließ in Schöneiche ist eines der dringlichsten Vorhaben für die nächste Zeit, Es gibt konkrete Vorstellungen, nördlich vom jetzigen Standort eine neue Brücke für Straßenbahn und Straßenverkehr zu bauen, Damit verbinden würde sich eine veränderte Gleislage in den angrenzenden Bereichen. Probleme gibt es noch des wohl übertriebenen Bedürfnisses einiger Leute wegen, den nach dem Krieg ohnehin ruinierten Schloßpark und das historische Straßenpflaster zu erhalten. Da die geplante Trassierung unabhängig von derjetzigen Straßenlage erfolgt, spricht eigentlich nichts gegen eine Erhaltung der alten Straße - nur eben nicht mehr als öffentlichen Verkehrsweg. Der Kreuzungsbereich Dorfstraße/Schöneicher Straße soll zu einem Kreisverkehr umgestaltet werden, der von der Straßenbahn südlich tangiert wird. Das Gleis würde dann auf dem südlichen Fahrbahnteil weiter durch die Schöneicher Straße geführt werden.
Noch 1995 erfolgen Gleisauswechslungen und Deckenschlußmaßnahmen im Bereich Goethepark. Bisher staubte es dort noch ziemlich. Ebenfalls erfolgten Baumaßnahmen an der Haltestelle S-Bahnhof Friedrichshagen, um hier den üblichen Standard mit 22 cm Bahnsteighöhe herzustellen. Der Wagenpark aus den gebrauchten Cottbusser KT4D wird in nächster Zeit durch Modernisierung beim Mittenwalder Gerätebau für die nächsten 24 Jahre fit gemacht. Entsprechend der finanziellen Möglichkeiten erfolgen einige Umbauten: statische Umformer für die Bordnetzversorgung, Klappfenster, neuer Fußboden. Die noch vorhandenen Altbaufahrzeuge werden als Notfallreserve vorgehalten, sollen aber im Normalfall nicht mehr zum Einsatz kommen. In Schöneiche rechnet man in den nächsten Jahren mit einem Bevölkerungszuwachs von 70 Prozent. Dementsprechend sind die Kapazitäten der 88 anzupassen. Man liebäugelt dazu mit dem Niederflurmittelteil für den KT4D, das demnächst in Cottbus erprobt werden soll. Ein neues Angebot im Touristikbereich ist im nächsten Jahr zu erwarten. Der bislang angebotene historische Triebwagen mußte wegen Ablauf der Untersuchungsfrist zunächst abgestellt werden, soll aber wieder aufgearbeitet werden. Als Ersatz wird einer der Schöneicher Eigenbauten der sechziger Jahre in historischer Farbgebung als Partywagen zur Verfügung stehen. Der beabsichtigte Einbau einer Theke kam aus finanziellen Gründen nicht zustande, für die Bewirtung an Bord wird natürlich trotzdem gesorgt werden. Straßenbahn-Linie 89:
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Vier Trieb- und zwei Beiwagen bleiben vorerst erhalten. Die Gleisanlagen wurden zum größten Teil erneuert, ebenso erfolgte eine teilweise Modernisierung der Haltestellen. Dem Betrieb kann damit eine ausreichende Attraktivität bescheinigt werden. Er soll noch attraktiver werden. Dazu dient die seit langem geplante Wiederaufnahme des Betriebes durch die Große Straße und gegebenfalls die Weiterführung der Strecke bis zur „Nordkreuzung" bzw. bis zum S-Bahnhof Strausberg-Nord. Beschlüsse der Stadtverordneten zur Verlängerung der Straßenbahn in die Große Straße liegen seit Oktober 1995 vor. Es sieht also auf den ersten Blick alles sehr schön aus. Auf den ersten Blick. Denn offenbar wird die Straßenbahn als Sündenbock für Fehler in der Stadtentwicklung und als Vehikel für politische Auseinandersetzungen um künftige Nahverkehrsbesrellungen im Land Brandenburg benutzt. Die auf die kleine Bahn einfallenden Probleme sind äußerst vielschichtig und in ein paar Sätzen nicht erläutert. Sortieren wir also:
S-Bahn oder Straßenbahn oder S-Bahn und Straßenbahn?
Auf Kommunal-und Landesebene mehren sich die Stimmen, die angesichts der finanziellen Verantwortung des Landes für den Nahverkehr ab 1996 die Stadt vor die Wahl stellen wollen, welches der beiden Verkehrsmittel ihr lieber ist. Abgesehen davon, daß Leute, die solch Zeug propagieren, selber bestimmt nie auf eines der Verkehrsmittel angewiesen sind - solche Überlegungen sind schlicht abenteuerlich.
Das sich in Nord-Süd-Richtung ausdehnende Stadtgebiet wird (fast) optimal erschlossen, Die eigentliche Flächenerschließung gewährleistet die Straßenbahn, lediglich die Randbereiche (Nord, Philipp-Müller-Straße, Hohensteiner Chaussee) werden durch Stadtbuslinien bedient, mit denen ein regionaler Gemeinschaftstarif und Anschlußbeziehungen am Lustgarten bestehen. Die am östlichen Stadtrand verlaufende S-Bahn ist für die Erschließung der Stadt selber eher von untergeordneter Bedeutung. Dagegen vermittelt sie eine akzeptable Verbindung mit Berlin und den nächstliegenden Orten (Fredersdorf, Neuenhagen, Hoppegarten), die ohne nochmaliges Umsteigen im Stadtbereich zu erreichen ist, Würde hier ein Umsteigezwang geschaffen, wäre die Attraktivität dieser Verbindung weitaus niedriger.
Der als Ersatz ins Feld geführte Stadtexpreß kann als Altemative nicht überzeugen. Denn auch der muß bestellt und bezahlt werden, so daß sich am auslösenden Moment der erwähnten Überlegungen nichts ändert. Dazu wird ein 30-Minuten-Verkehr erwogen, der ebenfalls fragwürdig ist. Die gegenwärtige Betriebssituation läßt auf der eingleisigen S- Bahn nur einen 40-Minuten-Abstand zu. Es muß auch gefragt werden, wie diese Züge auf der bis Biesdorfer Kreuz eingleisigen Ostbahn zusätzlich zu den Regionalverkehrszügen nach Küstrin und dem nicht geringen Güterverkehr eingeordnet werden sollen. Hier wäre eine stichhaltige Erklärung von größtem lnteresse. Für die Ablösung der S-Bahn wären also zunächst umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur des Fernverkehrs notwendig, bei denen wieder gefragt werden muß: wer zahlt?
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Über die gegenwärtige Struktur des schienengebundenen Nahverkehrsangebotes sollte man in Strausberg und im Lande Brandenburg glücklich sein. Denn so sollten zukunftsträchtige Mobilitätsangebote aussehen: kurze Wege, Wahlmöglichkeiten, hohe Verfügbarkeit, in Störungsfällen Rückfallebenen. Die Zukunft für den Verkehr nach Berlin kann nur so aussehen, daß die S-Bahn erhalten und ausgebaut wird. Dazu ist es nötig, Voraussetzungen für einen 20-Minuten-Verkehr zu schaffen. Hierfür wäre eine Ausweichmöglichkeit im Bereich Hegermühle zu schaffen. Zu prüfen wäre, im Bahnhof Strausberg die Gleise für Fernverkehr und S-Bahn zu trennen und gleichzeitig bahnsteiggleiches Umsteigen zwischen der S-Bahn und den Regionalzügen zu ermöglichen. Damit wäre zugleich ein Ersatz für den „verlorengegangenen" Stadtexpreß vorhanden, da ab hier die ohne Halt bis Lichtenberg durchfahrenden Regionalzüge genutzt werden können.
Kommen neue Gleise in die Große Straße?
Oben erwähnt wurde ein Beschluß der Stadtverordneten, die Straßenbahn durch die Große Straße zu führen. lm Dezember sollen Bauarbeiten zum Umbau der Straße beginnen, Laut Beschluß soll die Straße damit auch zur Fußgängerzone umgebaut werden. Und hier scheiden sich die Geister. Denn die Geschäftsleute aus dem Innenstadtbereich rebellieren urplötzlich gegen die Beschlußlage. Ausgangspunkt ist die Freigabe der Großen Straße für Anlieger und für ruhenden Verkehr vor einiger Zeit. Die Umsätze sollen daraufhin gestiegen sein. Die Forderungen der Gewerbetreibenden gehen dahin, daß statt der Fußgängerzone ein verkehrsberuhigter Bereich mit Parkmöglichkeiten geschaffen wird. Die Straßenbahn wurde hierbei als störender Faktor ausgemacht. Nicht zuletzt spielen alte Vorurteile hierbei eine Rolle. Man hat Angst, daß es laut wird usw. Im Grunde alles Dinge, die längst widerlegt sind. Die Strausberger Eisenbahn selbst hat Untersuchungen vornehmenlassen über Gleisbauformen, die eine Lärmbelastung völlig ausschließen.
Bei Lichte betrachtet, sind zwei grundlegende Probleme auszumachen: einmal die verschiedenartige Auslegung der Begriffe Fußgängerzone und verkehrsberuhigter Bereich und die daraus entstehenden Mißverständnisse und zum anderen Fehlentwicklungen im Handelsgefüge. Im Strausberger Stadtgebiet sind mittlerweile drei Großmärkte entstanden, die sowohl von der Lage als auch von der Struktur her auf PKW-Benutzung orientiert sind. Hier liegen die eigentlichen Gründe für den Rückgang des Umsatzes in der Strausberger Innenstadt. Daran ändern auch Parkmöglichkeiten nichts, die genau genommen nur für eine zahlungskräftige Minderheit interessant sind, Und nicht alle kaufen jedem Tat einen Kühlschrank oder Femseher, wo das eigene Fahrzeug noch Sinn macht.
Im Gegenteil: gerade die Straßenbahn könnte dafür sorgen. daß hier der Geschäftsbetrieb wiederbelebt wird, Denn sie fährt vor den Schaufenstern entlang, die nicht unbedingt mit parkenden Autos zugestellt sein sollten. Der Kundenkreis wäre ein weitaus größerer als bisher, da mit den Anliegern der Straßenbahn der größte Teil Strausbergs schnellen Zugang zu diesem Bereich hätte und manch einer sich es doch überlegt, ob er sich auf den Weg zum Einkaufscenter auf der grünen Wiese macht. Mehr Parkplätze in der Innenstadt wären dagegen keine Lösung, sondem für die Gewerbetreibenden ein Tod auf Raten, wenn sie versuchen, die Märkte auf „der grünen Wiese" nachzuahmen, Ohnehin wird sich in der Frage der Parkmöglichkeiten noch einiges ändern. der Parkplatz in der Müncheberger Straße soll aufgegeben werden, auf dem Gelände des ehemaligen Kleinbahnhofes ist dafür ein Parkhaus im Bau, Umfragen unter Strausberger Bürgern und gezielt unter Besuchern der Großen Straße ergaben mehrheitlich eine Zustimmung zur Straßenbahnverlängerung.
Das Land hat bereits Gelder für die Sanierung der Großen Straße bewilligt. Allerdings sind die separat beantragten Mittel für den Gleisbau noch nicht zur Verfügung gestellt worden, Der Baubeginn im Dezember, der übrigens am Ende der zunächst geplanten Teilstrecke, an der Klosterstraße beginnen soll, ist damit in Frage gestellt. Zumindest, wenn die Gleisverlegung berücksichtigt wird. Das Bauen „von hinten" wird begründet mit den geringen Konflikten mit anderweitigem Hochbau in diesem Bereich. Vermuten kann man allerdings, daß hier den Gewerbetreibenden noch ein Aufschub gewährt wird, um möglichst lange die Anfahrt für den motorisierten Verkehr zu ermöglichen. Ein konkreter Termin für den Beginn des zweiten Bauabschnittes war noch nicht zu erfahren.
Eine flexible Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen im Gesamtberliner Verkehrssystem muß der Schöneicher Straßenbahn unbedingt bescheinigt werden. Die Betriebseinschrankungen im S- Bahn-Verkehr infolge der Stadtbahnsanierung haben einen gebrochenen Verkehr der Stammzüge auf der S3 zur Folge, nur die Verstärkungszüge werden weiter in Richtung Potsdam durchgeführt. Da aber die Anschlüsse der 88 auf eben diese nun am Hauptbahnhof endenden Stammzüge abgestimmt waren,veranlaßten der nochmaligen Umsteigezwang ebenfalls viele Fahrgäste zur PKW-Nutzung.
Der Fahrplan wurde daher so verändert, daß jetzt im Tagesverkehr Anschluß zu den bis Potsdam durchgehenden Zügen besteht. Der veränderte Betriebsablauf der S·Bahn hat sich übrigens (neben anderen Großbaustellen auch negativ auf die Nutzung der Zubringerstreoken zur S3 im BVG-Bereich (Tram 60, 61, 62) und im entgegengesetzten Verhältnis auf die MIV-Belastung des Kbpenicker Raumes ausgewirkt. Gleiche Reaktionen der BVG auf solche veränderten Rahmenbedingungen sind nicht bekannt. Natürlich ist dies aufgrund der Komplexität des Netzes schwieriger, aber gewiß nicht unmöglich.
Zu folgenden Punkten müssen klare Aussagen getroffen werden:
IGEB
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