Fernverkehr

Gigantomanie auf Stelzen

Zur Kritik der Magnetbahntechnologie

Er habe, so der vormalige Forschungsminister Riesenhuber auf einer Pressekonferenz im Januar 1992 einmal, unter der Magnetbahn im Emsland „glückliche Kühe weiden " sehen. Als die Journalistenschar dies mit wieherndem Gelächter quittierte, wiederholte der Mann seine sensible Beobachtung. Er präsentierte dabei dem Publikum ein entrücktes Lächeln und abgedrehte Äuglein, wie diese bei einem Vater zu beobachten sind, der seinem Sohn - aber eigentlich sich selbst - eine Modelleisenbahn schenkt und eben die Jungfernfahrt absolviert hat - einmal durch den Tunnel, dreimal um das Legodorf. Mit ähnlichem Gestus erklärten Kanzler Kohl, Wissenschaftsminister Krüger und Verkehrsminister Wissmann Anfang März. 1994, der Gesellschaft endgültig ihr Spielzeug Transrapid zukommen und eine Modellstrecke durch norddeutsche Lande errichten lassen zu wollen.

Da die Zweifel an ihrem Spielzeug von Jahr zu Jahr größer wurden und diese mit den normalen Gesetzgebungsmethoden nicht unterdrückbar schienen, griff die Bundesregierung im Sommer 1995 zu einem völlig neuen gesetzgeberischen Mittel. Per Gesetz wurde der „Bedarf" an einer Magnetbahn schlicht „festgestellt". Dieses „Magnetbahnbedarfsgesetz" dekretiert in Paragraph 1 schlicht:

„ Es besteht Bedarf für den Neubau einer Magnetschwebebahnstrecke von Berlin nach Hamburg".

ln Paragraph 2 heißt ex cathedra weiter, diese Bedarfsfeststellung sei sakrosankt, also „verbindlich“.

Es handelt sich also keineswegs um ein Geschenk, das auf feudale Art gewährt wird. So sehr der Vergleich mit der Modelleisenbahn und dem Vater, der dem Sohne eine solche schenkt, um sich selbst zu beschenken, Parallelen aufweist, so sehr gibt es auch Unterschiede:

Erstens: Wenn der Vater dem Sohne die Bahn schenkt, so pflegt er sie aus eigener Tasche zu bezahlen. Kohl, Krüger und Wissmann jedoch wollen die Beschenkten zahlen lassen und versichern treuherzig, die Kosten lohnten, weil derart der Standort Deutschland gesichert, selbiger nunmehr Kapital gewissermaßen magnetisch anziehen würde.

Zweitens: Modelleisenbahnen sind finanziell erschwingliche Miniaturspielzeuge, die schlimmstenfalls das Kinderzimmer oder den Hobbyraum verstellen. Die Magnetbahn jedoch ist eine unverantwortlich teure und gigantomanische Riesenhuberei, die sperrig in der Landschaft steht, diese zerstört und dem Schienenverkehr erheblichen Schaden in Höhe mehrer Milliarden Mark zufügt.

Historische Parallelen

Die Parallelen sind bemerkenswert: Da gründete die Bahn vor 60 Jahren eine Tochtergesellschaft, welche den Fahrweg für die Konkurrenz zu finanzieren hatte. Gleichzeitig übernahm dieselbe Bahn die Planungen für ein neues Schienensystem, das technisch völlig unausgereift und in erheblichem Maß Ausdruck eines Wahns der Technikbeherrschung war.

Das war 1933 ff. Die Reichsbahn (und deren Tochter Reichsautobahngesellschaft) mußte die Autobahnen bauen und verfolgte das Projekt einer 4- oder 3-Meter-Breitspurbahn, die die Weltstadt Germania alias Berlin mit Hauptstädten nachgeordneter Rangfolge verbinden und dazu dienen sollte, Rohstoffe und Getreide aus der Sowjetunion in vordem nicht bekanntem Umfang zu rauben 1).

Am 2. März 1994 faßte das Bundeskabinett den Beschluß, auf der Strecke Hamburg-Berlin die Magnetbahn Transrapid zu bauen. Die bis zum avisierten Betriebsbeginn im Jahr 2004 weitgehend privatisierte Bahn AG soll sich dann in der Transrapid-Beteiligungsgesellschaft engagieren und ist gleich mehrfach angeschmiert: durch aus der Konkurrenz erwachsende Einnahmeverluste und die haftung für das wahrscheinlich riesige Defizit der Magnetbahn.

Nun galt der damalige Reichsbahnchef, Julius Dorpmüller, als ein hervorragender „Fachmann", was kaum jemand dem alten Bundesbahn- und dem neuen Bahn AG-Chef Heinz Dürr nachsagt. Dem NS-Regime gelang es dennoch, Dorpmüller stromlinienförmig in die nationalsozialistischen Ziele der Volksmotorisierung" und der Kriegsführung einzuspannen, obgleich damit der Reichsbahn enormer Schaden zugefügt wurde.

Der Bundesregierung gelang es, den Bahn AG-Chef fast ohne Brüche für ihre Magnettechnologie-Politik zu gewinnen, obgleich damit der „neuen" Bahn erheblich geschadet wird. Ja, der Bahnvorstand unter Heinz Dürr war sogar in vorauseilendem Gehorsam bereit, Zensur auszuüben und die Veröffentlichung einer ausführlichen Arbeit aus dem eigenen Haus, in der eine vernichtende Kritik der Magnetbahntechnologie formuliert wurde, zu untersagen 2).

Daß die nunmehr formell nicht mehr als „Beamtenbahn“ daherkommende Deutsche Bahn AG den Bonner Kabinettsbeschluß zum Bau der Transrapid-Strecke mit nur zaghaftem Widerspruch „zur Kenntnis nimmt", unterstreicht den Kern unserer Kritik an der Bahnprivatisierung, wonach sich mit dieser der Schienenverkehr erst recht in jene Marktnische verkrümelt, die ihr die Autogesellschaft zuweist 3). lm übrigen ist bezeichnend, daß im Aufsichtsrat der neuen, nunmehr angeblich ausschließlich eigenen Interessen und dem Markt verpflichteten Deutschen Bahn AG das Vorstandsmitglied des führenden deutschen Energie- und Mineralölkonzerns Hermann Krämer und der Siemens-Aufsichtsrat Hermann Franz sitzen. Dem Interesse des erstgenannten Unternehmens entspricht es, wenn die Bahn z. B. durch die Magnetbahn noch weiter in Richtung Prellbock rollt, die lnteressen des zweiten Unternehmens sind direkt mit dem Transrapid-Projekt verquickt.

Karte
Foto: B. Schulz,1992, Karte: Kursbuch DBAG, Montage:GVE

Zwei Milliarden DM wurden bisher für die Magnetbahntechnologie ausgegeben. Dennoch steht die Magnetbahn „Transrapid" mehr als sie fährt. Nun sollen weitere 5,6 Mrd. DM für eine "Referenzstrecke" aufgebracht werden. Sollte es dazu kommen, so sah SPD-Verkehrsexperte Klaus Daubertshäuser bereits 1993 „rund vier Milliarden Mark Subventionen pro Jahr" auf den Staat zukommen, Die Magnetbahn „Transrapid" wird zu einem Subventionsfaß ohne Boden - vergleichbar dem Schnellen Brüter in Kalkar, der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf oder dem als "Eurofighter" getarnten Jäger 90.

Dabei wurde der Transrapid vielfach totgesagt. Er lebte jedoch gerade in diesem Zustand munter weiter. Wobei die zwei Milliarden DM bereits geflossener Subventionen von erheblichem Gewicht sind, um Sachargumente, die gegen ein solches Projekt sprechen, beiseite zu räumen. Es ist grotesk, wenn der Kanzler, der Wissenschaftsminister und der Verkehrsminister betonen, das Transrapidprojekt würde „10.000 hochqualifizierte Arbeitsplätze" bringen. In Wirklichkeit werden hier Steuergelder in einer Höhe vergeudet, mit denen der Erhalt und gegebenenfalls die Konversion von mehreren großen Industriebetrieben in den neuen Bundesländem und einige hunderttausend Arbeitsplätze dort hätten finanziert bzw. abgesichert werden können.

Eine Jahrhunderttechnologie?

„Der wohlfeile, schnelle, sichere und regelmäßige Transport von Personen und Gütern ist einer der mächtigsten Hebel des Nationalwohlstands und der Zivilisation? 152 Jahre später wird an diese Worte des deutschen Nationalökonomen Friedrich List wieder angeknüpft. „Die Situation ist heute vergleichbar mit der zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts, als über den Bau der ersten deutschen Eisenbahnstrecke entschieden werden mußte." So Hans Georg Raschbichler am 15. März 1988 auf einem Symposium in Münster, das die Magnetbahntechnologie ins rechte Licht rücken sollte. Raschbichlers Fehlgriff um ein Dritteljahrhundert - die ersten Überlegungen „Über ein allgemeines deutsches Eisenbahn-System" , eine Schrift Friedrich Lists, erschienen 1833 - muß der Hitze des Konkurrenz-Gefechtes geschuldet sein, in der sich die bundesdeutschen Magnetbahnbetreiber wähnen.

lm übrigen verbindet die Herren Raschbichler und List eine Gemeinsamkeit: List war, außer Nationalökonom. auch Eisenbahnindustrieller; Raschbichler ist Vertreter von „Transrapid International", eines Unternehmens, das die weltweite Vermarktung der Transrapid-Magnetbahn betreibt und hinter dem deutsche Rüstungs- und Großunternehmen wie Krauss-Maffei, MBB und Thyssen stehen. Raschbichler wurde außerdem Vorsitzender der Geschäftsführung der Magnetschnellbahn Berlin-Hamburg GmbH mit Sitz in München, der eigens für das Projekt dieser „Referenzstrecke“ gebildeten „Anschubgesellschaft". PR war und ist also beider Business.

Bleibt die Frage: Handelt es sich bei der Magnetbahn-Technologie wirklich um eine Jahrhunderttechnologie auf dem Transportsektor, wie es die Eisenbahnen ohne Zweifel waren?

Die Bundesregierung war schon immer dieser Meinung. Am 3. Dezember 1987 faßten Kohl und Kabinett den Beschluß: „Die Magnetbahn muß eine Anwendung in der Bundesrepublik Deutschland finden." Dabei windet sich seit Anfang der 80er Jahre eine 31,5 Kilometer lange Versuchsstrecke für die über 400 Stundenkilometer schnelle Transrapid-Magnetschwebebahn durch das niedersächsische Emsland. Mit dem Bau der Anlage wurde 1978 begonnen; 1987 wurde mit der Südschleife die - figürliche - Achterbahn vollendet.

Werbeheft_Titelblatt
Titelblatt eines Werbeheftes für die Magnetbahn von Daimler Benz Industrie / AEG

Funktionierte die Magnetbahn so, wie in den Hochglanzbroschüren der daran beteiligten Unternehmen beschrieben, dann lassen sich ihr schwerlich revolutionäre Züge absprechen. Beim Transrapid erfolgen Vortrieb und Beschleunigung des Fahrzeugs durch die im Fahrweg verlegten dreiphasigen Elektrowicklungen. Der „Linearmotor" ist so lang wie die gesamte Strecke. Das heißt, daß entlang der Streckenführung der „Stator" des Motors als Kupferwicklung angebracht werden muß, während der „Rotor", die Bahn selbst, über diesen Stator und von diesem angetrieben läuft. Ein sich aufbauendes elektromagnetisches Wanderfeld „schleppt“ gleichsam das Fahrzeug mit sich, beschleunigt es. Da das Fahrzeug mit einem Schwebegestell den Fahrweg, die Führ- und Bremsschienen, umgreift, wirkt die anziehende Magnetkraft nach oben und hebt das Fahrzeug an. Diese grundsätzlich andere Konzeption verzerrt im übrigen Energieverbrauchsvergleiche zwischen Eisenbahn und Magnetbahn; erstere führt ihren Motor mit, letztere verlegt diesen gewissermaßen in den Fahrweg.

„Nach 150 Jahren Eisenbahngeschichte steht erstmals ein Fahrzeug zur Verfügung, das in einem Abstand von 10 Millimetern über seinem Fahrweg schwebt und völlig entgleisungssicher ist,“ So die Selbstdarstellung der Betreibergesellsehaft. Ähnlich die Argumentation der Bundesregierung. 1993 wurde dem Transrapid auf völlig dürftiger Grundlage die „Einsatzreife" bescheinigt. Daß dies in Widerspruch zur bisherigen Magnetbahn-Realität, in Widerspruch zu der Einschätzung des Berliner Umweltbundesamtes (UBA) und in Widerspruch zu Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesverkehrsministeriums steht, ficht nicht an. Bezeichnend für die ebenso ignorante wie interessengesteuerte Art, mit der der Magnetbahnbeschluß in Bonn gefällt wurde, ist die Tatsache, daß Verkehrsminister Wissmann den 13 Professoren des Wissenschaftlichen Beirats seines Ministeriums einen Gesprächstermin über ihr ablehnendes Gutachten anbot - für die Zeit nach der Kabinettsentscheidung.

Gigantomanie auf Stelzen

Mehr als ein Jahrzehnt lang wurde die Magnetbahn hierzulande als ein umfassend einsetzbares neues Schnellverkehrsmittel propagiert. Wenn es nunmehr „nur" um den Bau einer Referenzstrecke geht, dann doch dazu, um mit dieser Vorzeigebahn anderen Ländern, Regierungen, Investoren etc. einzureden, dieses Verkehrsmittel eigne sich als eine umfassende Alternative zu anderen traditionellen Hochgeschwindigkeitsverkehrsmitteln wie dem Shinkansen, dem TGV oder dem ICE. Die Tatsache, daß - für manche überraschend - im Februar und März 1994 das Transrapid-Projekt derart gepuscht und gegen alle Widerstände als „Magnetbahngesetz“ durch den auslaufenden Bundestag gebracht und im Herbst 1995 im neuen Bundestag mit dem „Magnetschwebebahnbedarfsgesetz" die wissenschaftlichen Grundannahmen für einen „Bedarf" vorweg dekretiert wurden, hat viel damit zu tun, daß der ICE Ende 1993 auch in Südkorea vom TGV geschlagen wurde und alle bisherigen vollmundig propagierten Möglichkeiten für Transrapid-Projekte - so eine Verbindung von Orlando nach Disneyland - auf Eis liegen. Mit Erstaunen war zur Kenntnis zu nehmen, daß in dem im Sommer 1995 von der Bundesregierung vorgestellten „Lateinamerikakonzept" der Transrapid als ein Lateinamerika einsetzbares Verkehrsmittel propagiert wird.

Die Propagandisten einer deutschen „Referenzstrecke" schwelgten noch vor wenigen Jahren in gigantomanischen Verkehrswelten. Die Vorstellungen gingen dahin, mit einem Netz von Magnetbahnen die Autobahnkreuze zu verknüpfen. Diese Kreuze würden auf zwei bis drei Ebenen ausgebaut - unten bewachte Tiefgaragen, in der Mitte die Autobahn und oben der Magnetbahnhaltepunkt. Die Anfahrt erfolgte mit eigenem Pkw, die Weiterfahrt fände mit Tempo 400 statt, bis zum Zielpunkt, wo ein Mietwagen den Transfer in die City ermöglicht.

Diese Logik zu Ende gedacht und alle Behauptungen der Betreiber für bare Münze genommen, müßte das konsequente Ziel lauten: schrittweises Einstellen der Bundesfernstraßenverbindungen; paralleles Zurückfahren des Bundesbahnbetriebs, vor allem der Hochgeschwindigkeitsbahnen; Errichtung von Magnetbahnen auf den bisherigen DB-Trassen; Einstellung der Binnenluftfahrt. Wenn es denn tatsächlich überzeugende Systemvorteile der Magnetbahn gibt, dann können diese nicht allein für die Strecke Hamburg-Berlin zutreffen. Im Gegenteil: In seiner Isolation degeneriert der Transrapid in jedem Fall zu einem Exponat im Jurassic Park Deutschland.

Das Verkehrsministerium, aus dem lange Zeit Widerstand gegen das Transrapid-Projekt gemeldet wurde, ahnt durchaus, daß der Bau allein einer Referenzstrecke wenig Sinn macht. Nachdem das Bundeskabinett im Sommer 1992 das Transrapid-Projekt als Teil des Bundesverkehrswegeplans definierte, führte der damalige Minister Günther Krause öffentlich aus: „Nach der Entscheidung des Bundestags über die Verlegung des Parlaments und von Teilen der Bundesregierung nach Berlin würde eine Verbindung Bonn - Berlin in die Untersuchungen einbezogen. Eine längerfristige Perspektive könnte die Strecke Berlin-Hamburg mit Weiterführung in Richtung Bremen-Ruhrgebiet-Köln-Bonn bieten."4) Das wäre zwar nicht die kürzeste Verbindung, aber darum geht es wohl auch nicht immer in der Verkehrspolitik. So führt die neue ICE-Verbindung Berlin-München über Magdeburg und Hannover. Daß sie damit schneller als die Direktverbindung über Leipzig ist, ist Resultat gezielter Fehlinvestitionen. Die Reichsbahn fuhr vor 60 Jahren die Strecke Berlin-München schneller als der ICE heute 5).

Strukturelle Mängel

Es gibt eine Reihe struktureller Mängel, die mit der Transporttechnologie Magnetbahn verbunden sind:

  • Die Magnetbahn stellt ein neues und teures Massenverkehrsmittel dar, welches nicht mit dem bestehenden Schienenverkehrssystem kompatibel ist. Neben Schiene, Straße und Flugverkehr soll ein viertes Personenverkehrsmittel bereitgestellt werden. Dies würde zunächst einen enormen Zuwachs an „gebrochenem" Verkehr - des Umsteigens von einer Transportform zur anderen - bedeuten. Sodann stellen Magnetbahnen gewaltige Parallelinvestitionen in Verkehrswege dar. Hier soll sich Verkehrsgeschichte auf fatale Weise wiederholen: Der Entwertung der Investitionen in die Schienenstränge durch den Bau von Straßennetzen und Binnenwasserstraßen würde eine Entwertung aller dieser Verkehrswegeinvestitionen dort folgen, wo die nun favorisierte Magnetbahn parallel verliefe. Wenn heute bereits alle Verkehrsarten - Straße, Schiene, Wasser - subventioniert werden, so würde diese Vergesellschaftung von Transportkosten mit der Einführung eines zusätzlichen Transportmittels gesteigert.
  • Magnetbahnen sind reine Personenverkehrsmittel. Sie eignen sich - auch wegen ihrer unausgereiften oder zu wenig belastbaren Technik - nicht für den Gütertransport. Letzterer macht jedoch bei der Bundesbahn immerhin rund die Hälfte der Verkehrsleistung und der Einnahmen aus. Damit wäre also auch bei Existenz eines Magnetbahnnetzes in jedem Fall ein paralleles Massentransportsystem und die Vorhaltung entsprechender Schienenwege erforderlich, was die gesellschaftlichen Kosten im Transportsektor weiter steigert. Im übrigen muß ein derart heruntersubventionierter Transportpreis zur weiteren Verkehrsinflation beitragen. Dies wird an anderer Stelle am Beispiel der Strecke Hamburg-Berlin verdeutlicht.
  • Immer wieder ist es die Geschwindigkeit, die als entscheidendes Argument für den Transrapid angeführt wird. Mit Tempo 300 bis 500 durch deutsche Lande, z. B., so die Idee des ehemaligen bayerischen Wirtschaftsministers Jaumann, für einen „Sonntagsnachmittagsausflug von der Isar an die Alster", geschossen zu werden, das potenziert Mobilität und macht Potenzen mobil. Nun haben sich Bundesbahn und Bundesregierung für die Entwicklung und den Betrieb des ICE entschieden, der mit bis zu 300 km/h betrieben werden soll. Ironischerweise stellte der ICE bereits am 1. Mai 1987 mit 406 km/h einen neuen deutschen Geschwindigkeitsrekord für Schienenfahrzeuge auf, gewissermaßen ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Transrapid. Ein qualitativer Unterschied zur Magnetbahn (maximale Reisegeschwindigkeit 300 km/h, Spitzengeschwindigkeit 500 km/h) ist nicht erkennbar.
  • Tempo 300 oder 400 bei einer Magnetbahn zahlt sich nur aus, wenn möglichst Entfernungen von 400 und mehr Kilometern realisiert werden. In einem dichtbesiedelten Land wie der BRD gibt es jedoch einigen verkehrspolitischen Anlaß, spätestens alle 100 Kilometer einen Halt einzulegen. Man nehme nur die lange Zeit von ICE und Transrapid gleichermaßen umworbene Strecke Köln-Frankfurt. Zwischen den Anfangs- und Zielpunkten liegen mindestens drei (und bis zu fünf) sinnvolle Haltepunkte, die bisher im IC-Verkehr bedient werden: Bonn, Koblenz, Mainz, Wiesbaden, Frankfurt-Flughafen. Da die Kilometer bis zum Erreichen der Höchstgeschwindigkeit und diejenigen, die für das Abbremsen benötigt werden, insgesamt rund 25 ausmachen, löst sich der Vorteil der hohen Geschwindigkeit in Luft auf. Weshalb bei Einsatz des ICE und des Transrapid gleichermaßen deren Protagonisten dafür plädieren, Stopps, die für Regionen mit hunderttausenden Menschen wichtig sind, schlicht auszulassen. Wobei dieselben immer ausreichend Anlaß sehen, daß die Magnetbahn Flughäfen mit einem Stopp beehrt, womit die Hochgeschwindigkeitsbahn Zubringerdienste für den Flugverkehr leistet. Was mit dem folgenden Punkt zu tun hat:
  • Schließlich zielen Transrapid und ICE auf ein- und dieselbe Klientel - auf den Geschäftsverkehr. Nur dieses Marktsegment kommt - was die Masse des angepeilten Transportvolumens betrifft - für solch große Entfernungen im „Normalverkehr" und für die nicht gerade niedrigen Fahrpreise in Frage. Doch dieses Marktsegment macht gerade mal 12 Prozent der gesamten Verkehrsleistung der Bundesbahn aus. Unter solchen Bedingungen müßte die parallele Entwicklung und der gleichzeitige Betrieb von Regionalflugstrecken, Privatflugverkehr, ICE-, IC- und Magnetbahnstrecken für alle Beteiligten in einen ruinösen Wettbewerb münden. Die allseits entstehenden Verluste würden erneut vergesellschaftet und insbesondere die rasante Fahrt der Bahn AG in eine neue Pleite vorangetrieben 6).

Transrapid - ein preiswertes Transportmittel?

Die Transrapid-Manager nannten Ende der 80er Jahre noch Kosten von 20 Millionen DM für einen Doppelkilometer Magnetbahn. Die Strecke Hamburg-Berlin sollte im März 1994 für 5,6 Milliarden DM zu haben sein. Im September 1992 nannte Verkehrsminister Krause hierfür noch „ein notwendiges Investitionsvolumen von ca, 7,5 Milliarden Mark für die Infrastruktur ... und zirka 700 Millionen Mark für die Anschaffung der Fahrzeuge." Dies ergäbe bereits einen Kilometerpreis von 30 Millionen DM, vergleichbar dem für ICE-Neubaustrecken, wobei diese für Personen- und Güterverkehr gebaut sind.

Bei all diesen Preisvergleichen existiert ein kleiner Unterschied: Die ICE-Kosten sind teuer genug, jedoch real nachprüfbar, während für den Transrapid nur ein erster Kostenansatz aus den 80er Jahren zugrundegelegt wird. Der „Tornado-„ oder „Kalkar-Koeffizient" legt nahe, mit einer Verdoppelung der veranschlagten Kosten zu rechnen.

Energieverbrauch

Ebenfalls mit Vorsicht zu genießen sind die Angaben zum Energieverbrauch des Transrapid. Dieser soll gemäß Eigendarstellung sogar bei höherer Geschwindigkeit „niedriger als beim ICE" liegen. Der Transrapid-Kritiker Karlheinz Rößler schrieb hierzu: „In der Öffentlichkeit wird der Eindruck erweckt, die Magnetbahn sei energiesparsamer als die Eisenbahn. So bracht der Transrapid bei 250 km/h nur 30 Wattstunden pro Sitzplatzkilometer, während der ICE eine entsprechenden Verbrauch von 42 Wattstunden hat. Dieser Unterschied kommt jedoch vor allem dadurch zustande, daß bei der Magnetbahn auf derselben Grundfläche mehr Plätze untergebracht sind, da die Fahrgäste enger sitzen, weder einen Speisewagen noch sonstige Service-Einrichtung vorfinden und sich dreimal so viele Passagiere wie im ICE eine Toilette teilen müssen. Vergleicht man jedoch Gleiches mit Gleichem, dann dürfte der Energieverbrauch beider Züge ungefähr der gleiche sein." Im übrigen ist der ICE ein Energiefresser; der Vergleich eines Gigantomanie-Projektes mit einem anderen ändert nicht am grundsätzlichen Charakter beider: Magnetbahn und ICE verbrauchten je Personenkilometer bedeutend mehr Energie als ein IC 7).

Lärmwerte

Die Lärrnwerte des Transrapid sollen „in etwa gleich" denen des ICE ausfallen. Selbst wenn dies stimmen würde, ergibt sich die Frage, welche Kosten für Lärmschutzmaßnahmen anfallen. Bislang haben die Magnetbahnbetreiber solche Kosten nicht in Ansatz gebracht, im Gegensatz zur Bahn und dem ICE. Tatsächlich ist auch nach den offiziellen Angaben die Lärmentwicklung beim Transrapid im „Normalbetrieb" so groß, daß entlang den Magnetbahnstrecken eine breite Schneise unbesiedelten oder eines mit gewaltigen Schallschutzwänden gesicherten Gebietes erforderlich wäre: 93,5 dB/A in 25 Meter Entfernung bei Tempo 400 km/h. Als „stark verlärmt“ gilt ein Wohngebiet ab 60 dB/A. Rößler: „Ein Magnetbahn-Zug mit 450 km/h wird in 25 Metem Entfernung rund 100 dB (A) erzeugen und somit ebenso laut sein wie ein Preßlufthammer in nächster Nähe".

Flächenverbrauch

Als Flächenverbrauch nennen die Magnetbahnbetreiber in aller Regel nur die Fläche, die für die Stützpfeiler im Fall eines aufgeständerten Fahrwerks anfallen würden. Man kann jedoch bereits fragen, ob eine aufgeständerte Bahn dieser Art keine Fläche im umfassenden ökologischen Sinn verbraucht, Beispielsweise gibt es klimatologische Gutachten, die auf Stelzen geführten Straßen sehr wohl die Wirkung von Talsperren, ähnlich der von auf Dämmen geführten Fahrwegen, attestieren. Auch Brücken können wie Dämme und Talsperren wirken und hierdurch beispielsweise die Zahl der Inversionswettertage in einer entsprechenden Region erhöhen. Hierzu führen Meike Spitzner und Michael Weiss an: „Die vom Fahrweg überspannte Fläche wird nicht eingerechnet ... außerdem ist es mit einer einfachen Trasse auf Stelzen nicht getan. Weitere Flächen in wesentlichem Umfang werden für die zusätzliche Infrastruktur gebraucht, vor allem für die riesigen Parkhäuser bzw. Parkflächen und Zufahrtsstraßen zu den Transrapidbahnhöfen." 8)

Elektromagnetische Felder

Weiterhin muß eine Magnetbahn, wenn sie in der geplanten Höhe von etwa fünf Metern geführt wird, Schneisen in Waldgebiete schlagen. Elektrische Leitungen, die schließlich allgegenwärtig sind, müssen gekreuzt werden. Unten? Oben? Mit welcher Wirkung auf die Magnetfelder? Welche Wirkung haben solche Magnetfelder auf die Menschen? Darf Ex-Kanzler Helmut Schmidt an der Jungfernfahrt des Transrapid teilnehmen oder nicht? Immerhin schließen die japanischen Magnetbahnbetreiber Fahrgäste mit Herzschrittmachern bisher von diesem Fortschritt neuer Mobilität aus - aus Angst, die anstehenden elektromagnetischen Felder könnten diese lebenswichtigen Geräte beeinflussen.

Wird fortgesetzt.

1) „Aus dem Osten werden wirjährlich zehn bis zwölf Millionen Tonnen Getreide herausholen." So Hitlers Vision zur Breitspurbahn (damals und heute in Mitteleuropa geltende Norrnalspurz 1435 mm). Dr. Ing. Recker, der bei der Reichsbahndirektion Berlin mit der Führung der Breitspurbahn durch den neu zu bauenden Südbahnhof beauftragt war, erinnert sich, "daß man damals im Reichsverkehrsministerium der Meinung war, auch mit Güterwagen der Normalspur in zwei bis drei Monaten die gesamte Ernte der Ukraine abfahren zu können." Anton Juachimsthaler, Gigantomanie auf Rädern, in: Zug der Zeit, Zeit der Züge, herausgegeben von der Eisenbahnjahr Ausstellungsgesellschaft Nürnberg, Berlin 1985, S. 703 ff.

2) Joachim Wille, Die Transrapid-Kritik blieb ungedruckt. Wie es kam, daß ein Bundesbahner seine Argumente für sich behalten mußte, in: „Frankfurter Rundschau" (FR), 3.11.1992.

3) Vgl. die Beiträge in dem Diskussionsforum zur Bahnreform - bessere Bahn. u. a. mitherausgegeben von Heiner Monheim, Meike Spitzner, Tine Seebohm. Winfried Wolf, den VCD-Landesverbänden Niedersachsen, Bayern und Hamburg, Köln 1993.

4) Rede am 4.9.1992 in Neubrandenburg auf der Fachtagung der Bildungsakademie der Kammer der Technik e.V., "Bulletin", 9/1992, 9.9.1992.

5) Die Strecke München-Hannover-Berlin kommt auf 928 Schienenkilometer, die Direktverhindung auf 677 Kilometer. Für München-Hannover-Berlin benötigt der ICE 6 Stunden und 51 Minuten (Fahrplan 1995/96). Die Reichsbahn fuhr die Direktverbindung in 6 Stunden und 44 Minuten. Seit dem Ende der DDR war ausreichend Zeit, die Direktverbindung so auszubauen, so daß lCs mit Reisegeschwindigkeit 120 km/h fahren könnten. Damit allerdings reduzierte sich die Gesamtreisezeit auf 5 Stunden und 38 Minuten und damit auf ein Niveau, bei dem es nicht mehr zu rechtfertigen wäre, eine lCE-Neubautrasse zu bauen. Just diese soll jedoch - mit immensen Zerstörungen von Land- und Ortschaften - gebaut werden. Die Gründe sind vergleichbar denjenigen, die zum Transrapid-Beschluß führten.

6) Das offizielle Modell, das der Bahn AG zugrunde liegt, sieht vor, daß selbige im Jahre 1 ihrer Existenz völlig entschuldet ist,jedoch bereits zehn Jahre später erneut 20 Milliarden DM Schulden aufgetürmt hätte. Damit stünde die Bahn AG erneut vor der Pleite, zumal sie dann nicht mehr über den Staat als Fallschirm verfügt. Der Bundesrechnungshof war es. der im Herbst 1993 auf diese eingerechneten Schulden verwies und die von Dürr etc. behaupteten „Einsparungen" durch die Bahnprivatisierung als unseriös enttarnte. Siehe „bessere bahn", Nr. 2, Köln, Oktober 1993; „Handelsblatt", 12.6.1993, S. 8.

7) Karlheinz Rößler, Magnetbahn Transrapid - Das bessere Verkehrssystem?, in: „Bauwelt", 12/1989. In bezug auf den Vergleich Transrapid - ICE kam die zitierte unterdrückte Kritik aus dem Bundesbahnmanagement zum gleichen Schluß. Diese führt hier auch „das äußerst geringe Gewicht ... infolge der Verlagerung der Antriebsmotoren in der Form des Linearmotors in die Fahrbahn" an und debattiert die Möglichkeit einer vergleichbaren Technik im Rahmen des Rad-Schienen-Systems, eine „weiterentwickelte Eisenbahn“. Interessanter scheint hier allerdings der Verweis zu sein, daß die Bundesbahn mit der Einführung von Doppelstockwagen auch in Schnellzügen die Energiekosten je Platz um „30 bis 40 Prozent" reduzieren könne, was beim Transrapid-System nur mittels einer „erheblichen Vergrößerung des Fahrzeugquerschnitts und damit des Luftwiderstands" machbar sei. Nach: Die Transrapid-Kritik blieb ungedruckt ..., a. a. O. (Anm. 2).

8) M. Weiss, M. Spitzner. Argumente gegen die Stelzenbahn, hrsg. v. den Grünen im Bundestag, Bonn, August 1990.

Winfried Wolf

aus SIGNAL 9-10/1995 (Januar 1996), Seite 26-30

 

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