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"Mit der Übernahme der S-Bahn und
ihrer Anlagen wurden wichtige Voraussetzungen
für ein geschlossenes
Nahverkerskonzept geschaffen. Der
Senat wird es in diesem Jahr vorlegen." versprach Eberhard Diepgen in
seiner Regierungserklärung am 23.
Februar 1984. Das Versprechen wurde
nicht gehalten. Statt eines geschlossenen Nahverkehrskonzeptes gab es nur
"heiße Luft" (Tagesspiegel). Und
auch das Volksblatt Berlin schrieb am
11. Juli 1984: "ln Sachen S-Bahn übernimmt das Konzept die hinlänglich
bekannten Netzpläne, in Sachen U-Bahn althergebrachte Planvorgaben,
in Sachen Busverkehr ebenfalls schon
öffentlich gemachte Sparstrategien ...
Was gestem als Nahverkehrskonzept
beschlossen wurde, hat kaum taktischen Wert, weil es nur die
Zusammenfassung der aktuellen Verkehrspolitik ist."
Doch die Regierungserklärung mit
dem nicht eingehaltenen Versprechen,
ein "geschlossenes Nahverkehrskonzept" vorzulegen, war erst der Anfang
von zahlreichen Ankündigungen und
Versprechungen zur S-Bahn, die oft
wie Seifenblasen zerplatzen. "Was die
CDU verspricht, hält sie auch!" Dieser flotte Spruch auf dem
CDU-Flugblatt anläßlich der Wiederinbetriebnahme der Nordbahn am 1. Oktober
1984 wurde seither regelmäßig„ zuletzt
fast wöchentlich widerlegt.
So versprach Verkehrssenator Wronski
in einem Interview mit der Zeitung
"Der Nord-Berliner" vom 28. Dezember 1984: "Wir werden schon 1985 die
ersten Rolltreppen auf den wichtigsten
(S-Bahn-) Stationen fertiggestellt haben." Doch nichts geschah. Am 8.
Oktober 1985 hatte der Bausenator dem
Bezirksamt Schöneberg mitgeteilt,
daß in der zweiten Jahreshälfte 1987
mit dem Bau des S·Bahnhofes Kolonnenstraße begonnen werden solle.
Doch jetzt, Anfang 1989, ist noch nicht
einmal die Planung abgeschlossen. Diese Liste nicht eingehaltener
Ankündigungen ließe sich beliebig verlängern.
Aber Ende 1988 wurde ein neuer Höhepunkt erreicht. Daß die Politiker
kurz vor den Wahlen viel versgrechen,
ist ja nicht neu. Und da die S-Bahn u.a.
durch zwei erfolgreiche Bürgerbegehren ein wichtiges Thema wurde, waren
Wahlversprechen für die S-Bahn auch
allseits erwartet worden. Doch daß diese Versprechen schon vor den Wahlen
wie Seifenblasen zerplatzten, das war neu.
So hatte Finanzsenator Rexrodt Anfang
November angekündigt, einen Teil der
Gelder aus dem Bonner Strukturhilfefonds für die S-Bahn ausgeben zu
wollen. Von 40 Mio. DM war die Rede.
Und Verkehrssenator Wronski hatte
am 29. November 1988 vor dem Verkehrsausschuß angekündigt, mit Hilfe
dieser Strukturmittel könne der Baubeginn am Südring auf 1990 vorgezogen
werden. Doch inzwischen erfuhr die
überraschte Öffentlichkeit, daß die
Strukturhilfemittel ausschließlich für
die Verlängerung der U-Bahn-Linie 9
von Steglitz in Richtung Lankwitz eingesetzt werden sollen und das die
ersten GVFG-Mittel für den Südring in
Bonn erst für 1991 beantragt wurden!
Um den Schaden durch Bekanntwerden
der Falschinformation in Grenzen zu
halten, kündigte die Verkehrsverwaltung an, der für 1990 versprochene
Baubeginn solle nun mit Hilfe der
"Nachschlagzahlungen" (das sind übriggebliebene GVFG-Gelder, die
andere Bundesländer nicht ausgegeben
haben) realisiert werden. Das würde
jedoch bedeuten, falls es überhaupt
Nachschlagszahlungen gibt, daß erst ab
Herbst 1990, und dann zunächst auch
nur auf Sparflarnme, am Südring gebaut werden kann. Und das würde
ferner bedeuten, daß mit den Bauarbeiten
zur Verlängerung der U-Bahn-Linie 9
eher begonnen wird, als mit den Arbeiten zur Wiederinbetriebnahme des S-Bahn-Südrings.
Ein jahrelanges Versprechen "Der Südring hat absoluten
Vorrang!) soll plötzlich nichts mehr gelten.
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So könnte es sein: Die Karte zeigt das vorhandene Berliner S- und U-Bahn-Netz. Die in Berlin (West) stillgelegten S-Bahn-Strecken mit ihren Bahnhöfen sind an den dicken schwarzen Punkten zu erkennen. Zeichnung: Alternative Liste, Kartengrundlage: BVG |
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Fazit:
Mit den Strukturmitteln bekommt der Senat die unverhoffte
Chance, die Verlängerung der U 8, die
Modernisierung des 71 km-Netzes und
die Wiederinbetriebnahme des Südringes - wie geplant - aus den jährlich 160
bis 170 Mio. DM an GVFG-Geldern zu
finanzieren und zusätzlich Gelder zur
Wiederinbetriebnahme der S-Bahn-Strecken nach Pichelsberg/Spandau/
Staaken und Lichterfelde Süd einzusetzen. Anstatt diese besondere Chance
für die S-Bahn zu nutzen, will der Senat
die U-Bahn-Linie 9, die bei dem standardisierten Bewertungsverfahren im
Vergleich zur Ringbahn so überraschend schlecht abgeschnitten hatte,
mit Hilfe der Strukturmittel (und sicher nicht ohne Einfluß der mächtigen
Betonindustrie) vorziehen. Dabei
nimmt es der Senat in Kauf, langjährige Versprechen über den Haufen zu
werfen.
Besonders ärgerlich ist dabei immer
wieder die Unehrlichkeit, mit der der
Senat argumentiert, Wenn er doch
wenigstens die Courage hätte, sich zu
seiner U-Bahn-Politik zu Lasten der S-Bahn zu bekennen. Denn natürlich gibt
es auch gute Gründe für die U9, das hat
die IGEB nie bestritten, nur sind es u.
E. zu wenige, um die riesigen Kostenunterschiede zwischen U-Bahn·Neubau
und S·Bahn-Wiederherstellung auszugleichen. Zur Erinnerung: Bis der erste
U-Bahn-Zug auf der 3,5 km Iangen
U9-VerIängerung nach Lankwitz
fahren kann, müssen mindestens 600 Mio.
DM verbaut werden (Senatsschätzung
von 1984). Damit die S-Bahn wieder
auf den insgesamt 20 km langen Streken nach Lichterfelde Süd und
Staaken verkehren kann, werden
demgegenüber "nur" 420 Mio.
DM benötigt (Senatsschätzung von
1987)! Wenn der Senat also wenigstens
seine Gründe für den U-Bahn-Bau offenlegen würde, wenn er wenigstens
zugeben würde, daß seine Entscheidung
für die U-Bahn zwangsläufig eine Entscheidung gegen die S-Bahn sein muß,
so daß selbst auf den zum Senats-Zielnetz gehörenden S-Bahn-Strecken nach
Staaken und Lichterfelde Süd in diesem Jahrhundert kein Zug mehr
fahren wird Doch es wird wohl nicht
lange dauern, bis uns die Politiker wieder erzählen (ohne rot zu werden), sie
seien ja unbedingt für die S-Bahn, aber
leider, leider fehle das Geld dafür.
Gibt es für die IGEB also gar keinen
Anlaß, am 9. Januar 1989 zu feiern?
Nattürlich gibt es auch Gründe zu feiern. Denn
- daß die S-Bahn überhaupt vom Senat übernommen wurde,
- daß 1984/85 innerhalb eines Jahres wenigstens das jetzt befahrene 71-km-Netz erreicht wurde (zur Erinnerung:
1983 wurde ein Schrumpfnetz von nur 42 km Länge geplant, ohne den Nord-Süd-Tunnel und ohne die Nordbahn),
- daß auf der Anhalter Bahn kein Spurbus die S-Bahn-Trasse befährt,
- daß die S-Bahn in West·Berlin nach, einem Vierteljahrhundert Boykott heute
wieder ein positives Image in der Bevölkerung hat,
- daß die S-Bahn auch innerhalb der BVG allmählich als gleichberechtiger
Verkehrsträger neben U-Bahn und Bus akzeptiert wird,
- daß die BVG den 5. Jahrestag zum Anlaß nimmt, die S-Bahn-Übernahme
mit einer Ausstellung und einer Broschüre zu würdigen (wer hätte sich das
vor 5 Jahren träumen lassen),
- daß der Verkehrssenator mit der Abwicklung des standardisierten Bewertungsverfahrens
unter großem Zeitdruck stand, um noch vor den Wahlen, voraussichtlich am 9. Januar, die
Zukunftspläne konkretisieren zu können,
all das ist sicher auch ein Erfolg der
langjährigen intensiven Arbeit der
Fahrgastverbände und S-Bahn-lnitiativen. Auch die Tatsache, daß über die
Hälfte der Bonner Strukturmittel für
den Bahnbau ausgegeben werden sollen, ist sicherlich als Erfolg zu werten.
Doch angesichts der aktuellen Senatspläne, mit diesen Strukturmitteln allein
den U-Bahn·Bau vorzuziehen und auf
wichtige S-Bahn-Strecken zumindest in
diesem Jahrhundert zu verzichten, müssen die Erfolge der letzten 5 Jahre
naturgemäß verblassen. Doch die IGEB
kann und will sich mit dieser Entwickl nicht abfinden. Sie fordert deshalb:
- Die Strukturmittel den Bahnbau 10 Jahre lang 40 Mio. DM) müssen, wie
im November versprochen, bei der S-Bahn einggsetz werden, und zwar zur
Wiederinbetriebnahme der Strecken
nach Pichelsberg(Spandau/Staaken
(270 Mio. DM) und Lichterfelde Süd
(150 Mio. DM) . Nur so ist gesichert,
daß diese Strecken noch in diesem
Jahrhundert wieder befahren werden.
- Wenn es mit Hilfe der "GVFG"-Nachagszahlen" möglich ist, den
Baubeginn zur Wiederinbetriebnahme des
S-Bahn-Südringes auf 1990 vorzuziehen, dann muß es auch möglich sein,
mit Hilfe dieser Gelder bereits 1989
anzufangen. Technisch ist der Bausenator nach eigenem Bekunden dazu in der
Lage. Dann könnte bereits Ende 1992
das erste Teilstück Westend/Schöneberg wieder befahren werden.
IGEB
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