Während beim bisherigen Senat für
Autobahnen, Straßenausbauten, Tiefgaragen und Parkhäuser stets genug
Geld da war, wurden Ausbau und Betrieb des umweltfreundlichen öffentlichen Nahverkehrs allzu oft
wegen angeblicher Finanzierirungsprobleme und
zahlreicher anderer "Sachzwänge" gebremst. Insbesondere beim Ausbau des
1984 von der Deutschen Reichsbahn
übernommenen S-Bahn-Neztes ist der
Senat vollständig gescheitert. Senator
Wronski ließ sich von der Baulobby und
den "High-Technikern" regelrecht über
den Tisch ziehen. Der U-Bahn-Bau
wurde zu Lasten der S-Bahn weniger
eingeschränkt als versprochen; und die
Investitionsmittel für die S-Bahn wurden nicht nur für die Instandsetzung,
sondern für die Vergoldung, vor allem
für nicht notwendige High-Tech-Prestigeobjekte eingesetzt wie z.B. die neue
Zugsicherungstechnik EZS 800. Neben
notwendigen Modernisierungen verschlangen solche Objekte so viel von
den 1985 bis ’88 in die S-Bahn gesteckten rund 360 Mio DM an GVFG-Mitteln,
daß in den letzten vier Jahren mit
Ausnahme des zweiten Gleises nach
Frohnau und dem danach Ende 1986
eingeführten 10-Minuten-Takt keine
einzige Verbesserung für die Fahrgäste
erreicht wurde.
Nun soll alles besser werden. Das zumindest haben sich SPD und AL vorgenommen.
Als wesentliches Element einer ökologisch orientierten Stadtpolitik
soll es bei der Verkehrspolitik eine
Wende weg von der Bevorzugung des
Autoverkehrs hin zur Bevorzugung
von Bahnen, Bussen, Fahrradfahrern
und Fußgängern geben. Nachstehend
dokumentieren wir die Kurzfassung der Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen von SPD und AL zur
Verkehrspolitik vom 6. März 1989 im Wortlaut.
Eine Bewertung folgt in SIGNAL 4/89 .
Grundsatz
Die bisherige Politik der sogenannten
"Gleichrangigkeit der Verkehrsarten" hat zu einer nicht länger
hinnehmbaren Zunahme des
Autoverkehrs geführt, dessen heutiges
Ausmaß weder umwelt- noch stadtverträglich ist. Jede weitere Zunahme würde der
Lebensqualität in der Stadt
Schaden zufügen. Der Senat wird dem
ÖPNV, dem Fahrradverkehr und den
Fußgängern Vorrang gewähren und die
negativen Folgen des motorisierten Individualverkehrs abbauen.
S- und U-Bahn-Bau
Der Senat will langfristig das gesamte
in Berlin (West) vorhandene S-Bahn-Netz wieder in Betrieb nehmen. Die
Mittel für den Ausbau des öffentlichen Schienennahverkehrs sollen von
170 Mio. DM auf 380 Mio. DM jährlich erhöht werden.
Vordringliches Ziel ist es, den S-Bahn-Ring vom Bf. Gesundbrunnen bis S-Bf.
Sonnenallee wieder in Betrieb zu nehmen. Dabei wird die Inbetriebnahme
des Südringes verknüpft mit der Inbetriebnahme der Radialstrecke nach
Lichterfelde Süd (S6), die Inbetriebnahme des Nordringes mit der Inbetriebnahme der Radialstrecke nach
Rathaus Spandau (S5). Es wird angestrebt, vordringlich alle Maßnahmen zu
realisieren, die für den Fahrbetrieb erforderlich sind. Dabei wird angestrebt,
den Fahrbetrieb auf dem S-Bahn-Südring Ende 1992 aufzunehmen, auf der
Linie S6 Mitte 1993. Der Fahrbetrieb
auf dem S·Bahn-Nordring sowie auf
der S5 soll 1993/94 aufgenommen werden.
Der Senat ist der Auffassung, daß die
Fortführung des U-Bahn-Baus aus verkehrs-, wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Gründen sinnvoll ist;
die vorhandenen U-Bahn-Baukapazitäten
sollen kontinuierlich in Anspruch genommen werden. Im Anschluß an das
Ende des U-Bahn-Rohbaus in Reinickendorf werden die U-Bahn-Bauarbeiten mit der Verlängerung der
U9 mit
einem jährlichen Finanzvolumen von 60
Mio. DM fortgesetzt, um durch eine
Verknüpfung von U9 und S6 eine
Schnellbahnverbindung vom S-Bf.
Lankwitz nach U-Bf. Rathaus Steglitz
(niveaugleicher Anschluß an S6) zu erreichen. Nach Inbetriebnahme des S-Bahn-Rings
sowie der beiden Radialstrecken soll das Mittelvolumen für den
Bau der U9 so erhöht werden, daß diese 1996 in Betrieb gehen kann.
BVG-Tarife
Die beiden Verhandlungspartner stimmen darin überein, kurzfristig eine
übertragbare "Umweltkarte" (Netzkarte; je Monat 65,- DM bzw. 50,- DM im
Jahres-Abonnement) einzuführen. Die
Schülernetzkarte für 32,- DM je Monat und das Ausbildungsticket für 38,-
DM je Monat bleiben erhalten; im
Jahresabonnement beträgt der Preis
jeweils 30,- DM monatlich.
BVG-Verkehrsangebot
Die Attraktivität des ÖPNV soll
durch eine Ausweitung des Busspur-Netzes, eine Grüne Welle für Busse,
die Einrichtung von Haltestellen-Kaps,
die Verkürzun der Taktzeiten und
durch die Ausdehnung bedarfsorientierter Systeme erhöht werden. Die
Nutzbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel für Behinderte soll durch entsprechende Fahrzeuge und
Ausstattung der Bahnhöfe verbessert werden.
Straßenverkehr
Der Senat wird ein flächensparendes
Stellplatzkonzept zur Förderung der
Attraktivität des ÖPNV entwickeln.
Das gefährlich hohe Geschwindigkeitsniveau im Straßenverkehr soll durch
geeignete Maßnahmen gesenkt werden.
Tempo 50 soll nur noch in solchen
Straßen gelten, die eine eindeutig
überwiegende Verkehrsfunktion haben
und keine Unfallschwerpunkte aufweisen.
Der Senat wird den Fahrradverkehr
durch Velorouten und Fahrradstreifen
statt enger Gehweg-Radwege und
durch fahrradfreundliche Ampelregelungen fördern. Er wird den
Fußgängerverkehr durch bessere Ampelschaltungen, Bestandsschutz für
Gehwegflächen und neue Bahnhofszugänge sichern und Benachteiligungen aufheben.
Fernverkehr
Im Fernverkehr muß die umwelteundliche Eisenbahn wieder stärkere
Bedeutung bekommen. Über den Bau
der Hochgeschwindigkeitsstrecke nach
Hannover hinaus so der Eisenbahnverkehr durch Verbesserungen auf
den anderen Strecken sowie den Abbau von Wettbewerbsnachteilen der
Eisenbahn gegenüber den umweltschädlicheren Verkehrsträgern wieder
attraktiver werden.
Der Ausbau des Flughafens Tegel soll
ebensowenig weiterverfolgt werden
wie der Ausbau des Flughafens Tempelhof. Es wird angestrebt, die Zahl
der Flugbewegungen im Inlandsverkehr
mindesten auf den Stand des Sommerflugplanes 1987 zurückzuführen.
Dringend erforderlich sind Verbesserungen im Eisenbahn-Güterverkehr,
um die Belastung der Stadt durch den
zunehmenden LKW-Verkehr zu reduzieren. Die Planungen für den Aufbau
eines dezentralen Schienengüterverkehrssystems, insbesondere den gleichzeitigen Bau mehrerer
Güterverkehrszentren, werden unverzüglich
aufgenommen.
Die Verhandlungspartner stimmen darin überein, daß die Spandauer Schleuse
nicht ausgebaut wird.
Der geplante Grenzübergang am Schichauweg ist unter ökologischen Gesichtspunkten nicht
akzeptabel. In Verhandlungen soll erreicht werden, daß
stattdessen die umweltverträglichste
Alternative verwirklicht wird.
IGEB
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