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Ausschlaggebend für die erneuten Verhandlungen zwischen Senat und Deutscher
Reichsbahn war die Anfang der
80er Jahre an schweren rechtlichen
Mängeln gescheiterte Planung für den
Südgüterbahnhof, d.h. die Anlage eines zentralen Güter- und Rangierbahnhofes auf dem Gelände des
ehemaligen Rangierbahnhofes Tempelhof. Wegen der Nicht-Erfüllung des
Vertrages durch den Senat verweigerte
die Deutsche Reichsbahn die Übergabe
von Flächen des Anhalter und des
Potsdamer Güterbahnhofes sowie die
weitere Durchführung des Autobahnbaus am Sachsendamm in Höhe
des S-Bahnhofs Papestraße. Um gegenüber der DR nicht vertagsbrüchig
zu werden und zur Verwirklichung der
Pläne für die o.a. Flächen, waren deshalb neue Verhandlungen notwendig,
die nunmehr im weitgehend sentlichen
abgeschlossen werden konnten.
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Die Abbildung zeigt die vorgesehenen Ausbaustufen für den Containerbahnhof. Quelle: Anlage zu den Protokollvermerken Senat/DR |
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Die Vereinbarungen enthalten folgende
wesentliche Punkte:
- Übergabe verschiedener Flächen an
den Senat von Berlin. Es sind:
- der Potsdamer Güterbahnhof,
- die Fläche des ehem. Anhalter Personenbahnhofes,
- Teile des Anhalter Güterbahnhofes
(südlich des Verkehrsmuseums),
-
der Güterbahnhof Spreeufer ("Moabiter Werder"),
- das Gelände entlang der Wannseebahn zwischen Yorckstraße und Sachsendamm,
- bisher von der DR noch beanspruchte Teile des Görlitzer Bahnhofes,
- der westliche Teil des ehemaligen Rangierbahnhofes Tempelhof.
- Modernisierung und Ausbau des
Hamburg-Lehrter Güterbahnhofes
(Containerbahnhof) in zwei Baustufen,
- Konzentration des Güterverkehrs
und Bau neuer Umschlaghallen, z.B.
auf dem Güterbahnhof Moabit. Zur
Konkretisisierung sind allerdings noch
weitere Verhandlungen mit der Deutsche Reichsbahn vorgesehen.
- Sanierung der Bahnbrücken über
Hindenburgdamm, Kieler Straße und
Rubensstr .
- Durchstich der Autobahn bzw, des
Sachsendammes am S-Bf. Papestraße,
verbunden mit dem Abriß der bisherigen Brücken und dem Bau einer neuen
Brücke zur Anbindung des Postbahnhofes und des Anhalter Güterbahnhofes, Die Verbindung zwischen
Tempelhof (ehemaliger Rangierbahnhof) und Schöneberg (Vdp) entfällt.
Die Verbindung erfolgt nur noch über
den GBf. Tempelhof an der Ringbahn.
Die Ergebnisse bzw. beabsichtigten
Ziele wurden in umfangreichen Protokollvermerken festgehalten. Zu den Ergebnissen im einzelnen:
zu Punkt 1:
Die Übergabe der dargestellten Flächen an den Senat erfolgt z.T. sofort,
andere Flächen werden im Mai 1990,
entsprechend dem Baufortschritt bei
den oben beschriebenen Maßnahmen
übergeben. Davon sind der östliche
Teil des Potsdamer Güterbahnhofes
und die Flächen des Bfs Tempelhof betroffen.
Durch die Aufgabe der Flächen des
GBf.s Spreeufer und des Görlitzer
Bahnhofes können die grün- bzw.
stadtplanerischen Ziele für diese Flächen nun verwirklicht werden (u.a.
BUGA 1995), Die Fläche entlang der
Wannseebahn ermöglicht die geplante
Grüntangente, unter Umständen aber
auch die Verschwenkung der Anhalter
Bahn. Auf der Fläche des ehemaligen
Rangierbahnhofes Tempelhof könnte
der "Naturpark Südgelände" entstehen.
Unklar ist allerdings noch, ob - wie zur
Durchsetzung des Südgüterbahnhofes
schon einmal versucht - hier noch nach
Munition aus dem 2. Weltkrieg gesucht werden soll. Dies würde die Abräumung
der Spontanvegetation bedeuten!
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Der Kartenausschnitt zeigt im Maßstab 1:6000 den Bereich des vorgesehenen Autobahn-Durchbruches südlich de S-Bf.s Papestraße Karte: SenBauWohn |
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Die Flächen des Anhalter und Potsdamer Güterbahnhofes werden u.a.
dem Ausbau des Museums für Verkehr
und Technik sowie zur Verringerung
der Grün- und Freiflächendefizite der
angrenzenden Wohnquartiere dienen.
Eine wesentliche Bedrohung für die
Nutzbarkeit dieser Flächen wird -
nach den bisher vertretenen - Standpunkten von AL und SPD hoffentlich
wegfallen: die Westtangente (auch als
"Nord-Süd-Straße" verschleiert).
Auch die Ansiedlung von Firmen mit
Gleisanschluß soll möglich sein. Es
wird allerdings darauf zu achten sein,
daß auf den Flächen nicht “tabula rasa"
gemacht und noch nutzbare Baulichkeiten, die Zeugen der vergangenen
Eisenbahngeschichte sind, abgerissen
werden.
zu den Punkten 2 und 3:
In den kommenden Jahren soll der
Containerbahnhof großzügig ausgebaut
werden. Ab 1989 sollen m der ersten
Stufe die vorhandenen Gleis- und
Transportanlagen modernisiert und
erweitert werden. Hinzu kommt die
Erweiterung der Lagerflächen. Eine
zweite Stufe sieht bis 1993 u.a. den Bau
weiterer Gleisanlagen, eines modernen
Zentralstellwerkes sowie verschiedener Einrichtungen für den Kombi-Verkehr sowie den örtlichen
Ladungsverkehr vor. Moderne Transporttechnologien wie die "Rollende Landstraße",
Hucke-Pack-Verkehr bzw. der
Wechselbehählter/Containerverkehr sollen dadurch weiterentwickelt werden.
Der Ausbau des Containerbahnhofes
Richtung Westen bedeutet allerdings
auch eine Reduzierung des Flächenpotentials für eine zukünftige Wagenabstellanlage
für den Eisenbahn-Reiseverkehr.
Die Gesamtkosten werden etwa 350
Mio. DM betragen. Dies entspricht
etwa dem 1979/80 für den Südgüterbahnhof ausgehandelten Finanzvolumen.
Der Ausbau des Containerbahnhofes sowie weiterer noch auszuhandelnder Bahnhöfe ist Teil einer von der
kritischen Fachöffentlichkeit schon verschiedentlich geforderten dezentralen
Entwicklun des Güterverkehrs. Ob
dahinter aüerdings ein abgestimmtes
Konzept steht, erscheint zweifelhaft.
Der Ausbau des Containerbahnhofes
an dieser Stelle wird den LKW-Verkehr
in der Innenenstadt weiter verstärken.
Ein Gesamtkonzept für den Güterverkehr würde nach stadtverträglicheren
Standorten für den Containerbahnhof
suchen (z.B. im Bereich des GBfs Grunewald).
Ein weiterer Aspekt der Vereinbarungen ist die weitgehende Verlagerung
von Rangieraufgaben auf Bahnhöfe
außerhalb von Berlin (West). Statt
über einen zentralen Rangierbahnhof
innerhalb der Stadt sollen sie zukünftig
in Wustermark bzw. Seddin erbracht
werden. Im Regelfall soll der eingehende Verkehr in Wustermark zu Nahgüterzügen
zusammengestellt werden
und über Spandau in die Stadt gelangen, der ausgehende Verkehr dagegen
über Seddin abgewickelt werden. Das
erste Problem dieser Planung ist der
vorgesehene Zusammenhang mit der
bisher favorisierten Neubaustrecke von
Hannover nach Berlin, die auch dem
Güterverkehr dienen soll. Wenn mit
der Neuordnung des Güterverkehrs
bis zur Fertigstellung dieses Milliardenprojektes, dessen Verwirklichung
noch nicht einmal gesichert ist, gewartet werden soll, wird leicht noch ein
Jahrzehnt vergehen. Auch aus diesem
Grund verbietet sich eine politische
Fixierung auf die Neubautrasse. Das
zweite Problem könnte sich als viel
gravierender erweisen. Die Zusammenstellung der Güterzüge außerhalb
der Stadt macht die Laufzeiten der
Wagen für die Bahnkunden unberechenbar. Ohne ein Gerüst von Ganzzügen,
die Berlin (West) zu durch Fahrplänen garantierten Zeiten verlassen,
könnte der Güterverkehr deshalb möglicherweise sogar unattraktiver werden.
zu Punkt 4:
Die Sanierung verschiedener Bahnbrücken entlang der Wannseebahn
deutet darauf hin, das dieser Strecke
offenbar weiterhin eine Aufgabe im
Rahmen des Güterverkehrs-Netzes zugedacht wird.
zu Punkt 5:
Die Auflösung des "Autobahn-Nadelöhrs" am Sachsendamm dürfte das
ausschlaggebende Argument für den
bisherigen Senat gewesen sein, neue
Verhandlungen mit der DR zu führen.
Auf wenigen hundert Metern fehlt
ihr ein Stück zur Schließung des
Stadtautobahn-Ringes zwischen Neukölln und Wedding. Täglich quälen
sich hier zehntausende Pkw durch den
vierspurigen Engpaß. Daß daneben
das Angebot der Ringbahn bald ein
Jahrzehnt stilliegt, gehört zu den
Kennzeichen der (Auto)Verkehrspolitik des bisherigen Senats...
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Querschnitt des Autobahn-Durchstichs im Vergleich: Planung des Senators für Bau und Wohnungswesen Skizze: SenBauWohn |
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Ziel der Vereinbarung mit der Deutschen Reichsbahn ist die zügige Durchführung des
Durchstiches für den Sachsendamm (vier Fahrspuren) und die
Stadtautobahn (sechs Fahrspuren) bis
1994. Dafür müssen die alten S- und
Fernbahn-Brücken abgerissen und
durch neue mit erheblich größerer
Spannbreite ersetzt werden. Mit Ausnahme einer Verbindung zum Post-/Anhalter GBf. sollen alle übrigen
Fernbahnbrücken nicht wieder aufgebaut werden. Umstritten ist die Art
des Durchstiches. Die mit der DR abgestimmte Planung des Senators für
Bau- und Wohnungswesen sieht eine
nebeneinanderliegende Führung von
Autobahn und Sachsendam vor. Dazwischen soll ein Zug zum S-Bf.
Papestraße liegen. Einschließlich der
für den Bau abzuräumenden Flächen
bedeutet diese Planung eine Schneise
von über 100 Metern. Als Argument
für diese flächenverschwendene und
ökologisch fragwürdige - weil den
Nord-Süd·Grünzug auseinanderreissende - Planung werden, im Vergleich;
der unten dargestellten Alternative,
geringere Kosten und eine leichtere
Baudurchführung unter Aufrechterhaltung des Straßenverkehrs genannt.
Der Bezirk Schöneberg hat erhebliche
Kritik an der beschriebenen Planung
angemeldet und einen eigenen Entwurf
vorgelegt, der eine Führung von Sachsendamm und Autobahn übereinander
vorsieht. Als Vorteile werden genannt:
- geringere Breite der Schneise, also
leichtere Herstellung einer "Biotop-Brücke" (Gesamtbreite 33 bis 39 Meter).
- geringerer Flächenverbrauch, d.h.
eine umweltverträglichere und auch
städtebaulich bessere Lösung.
- Verringerung der Lärmbelastung für
Fußgänger, Radfahrer und Umsteiger
zur S-Bahn.
Diese Lösung, die zwar angeblich
während der Bauzeit größere Verkehrsprobleme durch Einschränkungen
für den Verkehr auf dem Sachsendamm brächte, ist langfristig stadtverträglicher. Sie wurde deshalb im
Dezember 1988 von allen (!) Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung Schöneberg befürwortet.
Ein dritter, von der AL bzw. verschiedenen Initiativen geäußerter Vorschlag
sieht das "Durchpressen" von Tunnelröhren durch den vorhandenen Bahndamm vor.
Beim Bau der Westtangente (!) Bochum unter Gleisen der DB
wurde dieses Verfahren bereits angewandt. Dabei wird im Prinzip der vorgefertigte
Tunnel durch den Damm
gedrückt. Dieser auch vom Bezirk
eher skeptisch bewertete Vorschlag
würde die Erhaltun der alten Bahnbrücken und sämtlicher Vegetation ermöglichen,
schafft aber erhebliche Trassierungsprobleme für Autobahn
und Straße (vgl. hierzu das Interview
mit Baustadtrat Uwe Saager).
Inzwischen wurden durch den Bausenator - gerichtlich abgesegnet - erste Fakten geschaffen.
Noch auf Grundlage
des Planfeststellungsbeschlusses
den Südgüterbahnhof von 1980, dessen
materiell-rechtliche Grundlage (nämlich der geplante Bahnhof) bereits entfallen ist, wurden auf den Brücken
über den Sachsendamm Ende Februar
Bäume gerodet. Da ein neues Planfeststellungsverfahren für die nunmehr
angestrebte Planung ohnehin erst frühestens gegen Ende 1989 abgeschlossen
werden kann und eine Fällgenehmigung
für die betroffenen Bäume voraussichtlich auch in der Wuchsperiode zu erhalten gewesen wäre,
sollten hier offenbar noch möglichst vor der neuen Kabinettsbildung Tatsachen geschaffen
werden und die ökologischen Argumente für die "Durchpreß-Variante"
entkräftet werden. Dennoch ist bei einem SPD/AL-Senat mit einer Überprüfung und Neubewertung der
Alternativen für den Durchstich zu rechnen.
Offenbar nicht behandelt wurde bei
den Verhandlungen die Frage des
Verschwenks der S2 über die Ringbahn (S4) zur Wannseebahn (S1) sowie
die Weiterführung der Westtangente unter der Ringbahn hindurch. Dies
ist deshalb bemerkenswert, weil bei
Abschluß der Verhandlungen wohl
niemand mit der Niederlage des
CDU/F.D.P.-Senats gerechnet hatte
und die Westtangente eines der vorangigen Projekte nach dem Wahlsieg
werden sollte. SPD und AL haben in
ihren Wahlprogrammen die Westtangente abgelehnt. Ohne deren Bau entfällt
auch der wichtigste Anlaß zur Verschwenkung der S2, so daß es nun
auch keine Begründung mehr gibt, die
Ringbahn nicht schnellstens über
Schöneberg hinaus Richtung Tempelhof/Neukölln wieder in Betrieb zu
nehmen (vgl. hierzu auch das Interview
mit Baustadtrat Uwe Saager).
Aus den bekannten Ergebnissen der
Verhandlungen ergibt sich folgendes
Fazit:
- Der "Zugewinn" an Flächen bietet
bei überlegter Planung große Chancen
für die Stadtentwicklung.
- Der Ausbau des Containerbahnhofes und möglicher weiterer Güterbahnhöfe in Berlin (West) bedeutet eine
Verbesserun der Konkurrenzfähigkeit
des Bahnverkehrs. Das Fehlen eines
Gesamtkonzeptes bringt im Zusammenhang mit diesem Ausbau aber auch
deutliche Probleme für die Stadt.
- Die "Auslagerung" des Rangierverkehrs nach Wustermark und Seddin ist
wegen der damit geschaffenen zeitlichen Unsicherheiten für den Bahnkunden
zunächst kritisch zu bewerten.
- Bei Verwirklichung der vom Bezirk
Schöneberg vorgeschlagenen Art der
Trassenführung von Sachsendamm und
Autobahn (übereinander) werden die
ökologischen Eingriffe auf ein "Minimum" reduziert. Der Attraktivitätsgewinn für den Straßenverkehr dürfte
schwerwiegend sein, so daß die Lückenschließung nur mit dem fortgeschrittenen Autobahnbau und der zu
erwartenden Verkehrsentlastung in den
umgebenden Straßen zu begründen ist.
Aus den Ergebnissen sind aber auch
Forderungen abzuleiten:
- Der Ansatz für eine Modernisierung
und dezentrale Entwicklung des Eisenbahn-Güternetzes ist stadtverträglicher
als das bisherige Projekt des Südgüterbahnhofes. Es ist nun an der Zeit, ein
Güterverkehrskonzept für die Stadt zu
entwickeln, das den Dezentralisiergedanken konsequent fortsetzt
und das Aussagen für alle Eisenbahfllächen und die weitere Güterverkehrspolitik enthält.
Dazu gehört auch die
Standortsuche für den Containerbahnhof und die Überprüfung der "Auslagerung” des
Rangierverkehrs, ggf. auch dessen Neuorganisation.
- Die Verhandlungen mit der DR
über den Eisenbahnverkehr und dessen Flächen sind weiterzuführen, etwa
um die mit der Ringbahn-Wiedereröffnung diskutierte Verlängerung der U8
bis zum Bahnhof Hermannstraße und
die Öffnung der S-Bf. Potsdamer
Platz und Bornholmer Straße zu ermöglichen (s. auch Nahverkehr, S. ).
- Die Verbesserungen im Eisenbahn-Güterverkehr dürfen nicht die Neubaustrecke zur
Voraussetzung haben, sondern sie sind unabhängig von dieser zügig zu realisieren.
- Eine Abräumung der Flächen des
Anhalter und Potsdamer Güterbahnhofess nach der Übergabe durch die
Deutsche Reichsbahn darf nicht vor
Erstellung eines ökologischen und
denkmalpflegerischen Konzeptes für
den Umgang mit der vorhandenen
Substanz erfolgen. Auch für die vorhandenen Betriebe sind befriedigende
Lösungen zu entwickeln. Ihre Verlagerung darf nicht zu Lasten von Kleingärten
an anderer Stelle der Stadt erfolgen.
IGEB
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